InterviewEsch2022 und Cueva: Théid Johanns über Zensur und schlechtes Make-up

Interview / Esch2022 und Cueva: Théid Johanns über Zensur und schlechtes Make-up
Théid Johanns Foto: Editpress/Tania Feller

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Ein Blatt vor den Mund nahm Théid Johanns noch nie, er redet Klartext. Der Escher Künstler sah sich Mitte der Woche dazu veranlasst, eine Klarstellung in Sachen Esch2022 zu veröffentlichen, in welcher er die Verantwortlichen der Escher Gemeinde Zensur und Diktatur vorwirft. Im Gespräch mit dem Tageblatt erklärt der 67-Jährige den Streit, zieht eine Zwischenbilanz der Cueva-Ausstellung in der Metzeschmelz und spricht über die Zukunft des Künstlerkollektivs.   

Im Tunnel: Kein gutes Haar an Esch2022 lässt das Escher Urgestein Théid Johanns
Im Tunnel: Kein gutes Haar an Esch2022 lässt das Escher Urgestein Théid Johanns Foto: Philippe Reuter/Revue

Tageblatt: In einem Facebook-Post werfen Sie dem Escher Bürgermeister Georges Mischo und dem Kulturschöffen Pim Knaff Zensur und Diktatur vor. Sie seien wegen Ihrer Kritik an Esch2022 „gecancelt“ worden. Was meinen Sie genau damit?

Théid Johanns: Die Order ist herausgekommen, dass ich in keiner Publikation und keinem Videoclip der Gemeinde erscheinen dürfe, weil ich gegen Esch2022 bin. Dabei ist das Quatsch. 

Ihr Post liest sich, als wäre Ihnen der Kragen geplatzt. Warum reagieren Sie gerade jetzt?

Vor gut einem Monat habe ich erfahren, dass ich „gecancelt“ werde. Ich habe mir lange überlegt, wie ich reagieren sollte. Nun standen die Streikgedenkfeiern auf dem Programm und ich sah Bürgermeister Georges Mischo vor meinem inneren Auge schon über den Widerstand und die Wichtigkeit der freien Meinungsäußerung sprechen. Da dachte ich mir, mit dieser Hypokrisie darf er nicht durchkommen und habe den Post geschrieben. 

Mischo war während der Feiern im Ausland, hielt also keine Rede. Was werfen Sie ihm noch vor?

Ja, das habe ich jetzt auch erfahren. Deshalb bin ich auf der Streikgedenkfeier gewesen. Mischo war zweimal bei der BMW-Ausstellung, aber noch nicht hier. Er begründet das damit, dass er nie eingeladen wurde. Aber bei Cueva wird niemand eingeladen, dahin kommt man einfach. Cueva ist so etwas wie eine Bürgerinitiative. An denen fehlt es in Esch, oder sie werden abgewimmelt. Prinzipiell sucht er immer die Schuld bei anderen. Im letzten Zeitungsinterview waren die Bürger schuld. „’t deet mer leed, mee ech hunn dee gefriess.“ Und das hat nichts mit Parteipolitik zu tun (Johanns saß für „déi Lénk“ im Escher Gemeinderat, trat zu den Kommunalwahlen 2017 nicht mehr an; Anm. der Red.). Aber wie soll es auch funktionieren mit all den Ämtern, die er bekleidet? Das ist einfach viel zu viel.

Esch hatte immer ein Gesicht, durch Esch2022 hat es sein Gesicht verloren. Denn das Gesicht wurde nur geschminkt. Und zwar von schlechten Make-up-Spezialisten.

Cueva Metzeschmelz noch bis zum 30. Oktober

Seit 2015 gibt es das Künstlerkollektiv Cueva. Der Ort, die Künstler, die verschiedenen Kunstrichtungen sowie die Geselligkeit rund um das Event machen den Erfolg der Ausstellungen aus. Partizipation ist Trumpf – auf allen Ebenen. „Alles hat als ‚Foire de l’artiste‘ begonnen und ist dann immer größer geworden. Es ist quasi Punk, und Punk kann auch seriös sein“, blickt Théid Johanns, der vor seiner Pensionierung als Reprograf und technischer Assistent beim Tageblatt arbeitete, in seiner ureigenen Art zurück: „Und es ging darum, sich nicht denjenigen unterordnen zu müssen, die sich in der Kultur hochgearbeitet haben.“
Die momentan siebte Ausstellung ist die bisher größte und längste ihrer Art. Ende März begonnen, läuft sie noch bis zum 30. Oktober. Dabei verändert sich die Ausstellung permanent, da regelmäßig neue Künstler hinzustoßen. Waren es zu Beginn noch rund 30, so sind es nun doppelt so viele.
Cueva ist jeweils an den Wochenenden von 10.00 bis 19.00 Uhr geöffnet. Eingebettet ist die Ausstellung in „Happenings“, meist musikalischer Natur. So treten an diesem Wochenende Parity, Kaiju Ultra und Atomic Rocket Seeders auf. Am 19. September folgt mit Konzerten von Petrograd und Tëschegas ein weiteres Highlight. Alle Infos gibt es auf der Facebookseite Metzeschmelz CUEVA 2022. (P.M.)

Sie nennen das Kulturjahr in Ihrem Post „ein riesengroßes ‚kulturelles‘ Fake ohne jegliche Nachhaltigkeit“ …

Es ist Fake. Esch2022 sollte eine Verankerung mit Künstlern haben, die sich mit der Region befassen. Ich will nicht sagen, dass das lokale Künstler sein müssen. Sie können von egal woher kommen, solange sie sich mit der Region befassen. Solche Künstler gibt es kaum bei Esch2022. Und wenn, dann werden sie mit Krümeln abgespeist. Der große Kuchen geht an Eventfirmen. Die Kultur wird also outgesourct und im Ausland von spezialisierten Wanderzirkussen eingekauft, die nichts mit der Region zu tun haben. Esch hatte immer ein Gesicht, durch Esch2022 hat es sein Gesicht verloren. Denn das Gesicht wurde nur geschminkt. Und zwar von schlechten Make-up-Spezialisten. Es geht nur um das Verteilen von Geld.

Verwundern tut es nicht, wenn solche Aussagen den Verantwortlichen nicht gefallen …

Ja, aber gegen so was muss man doch gegensteuern, dagegen aufbegehren. Klar, ich hätte eine andere Funktion oder Posten, wenn ich angepasster wäre, das will ich aber nicht. Ich will allerdings auch nicht dahingestellt werden als jemand, der gegen das Kulturjahr war. Das ist nicht so, im Gegenteil. Ich bin aber dagegen, wie es abläuft. Kultur bedeutet auch, Gegenströmungen zuzulassen. Streitkultur heißt nicht umsonst so. Sie gehört zu Esch2022, doch wird hier jede Kritik im Keim erstickt.

Was läuft Ihrer Meinung nach falsch in der Kultur hierzulande? 

Ein Basquiat würde in Luxemburg Einkaufwagen schieben, er hätte keine Chance. Hier ist nicht so wichtig, was man „um Terrain“ macht. Wichtiger ist, dass man Dossiers schreiben kann. Die Kultur ist bürokratisiert, budgetiert und von Hierarchien bestimmt. 

Von 600 eingereichten Dossiers wurden für Esch2022 132 ausgewählt. Künstler mussten sich Sponsoren suchen. Weshalb wurde Ihr Dossier abgelehnt?

Mein Dossier schaffte es in die zweite Runde, dann wurde es aussortiert. Weshalb, weiß ich bis heute nicht, Gründe dafür bekam man nicht. Aber das ist mir auch egal. Es hat nichts mit meiner heutigen Kritik zu tun. Im Gegenteil, so etwas motiviert mich, weiterzumachen. 

Davon kann man sich momentan bei der Cueva-Ausstellung in der Metzeschmelz überzeugen. Sie ist seit der Eröffnung im März immer größer geworden. Was unterscheidet Cueva von Esch2022?

Hier wird Freiraum für Kreativität in der Großregion geschaffen. Man muss kein Dossier abgegeben, um dabei zu sein. Es geht darum, die Leute zu begeistern, etwas zu machen. In den letzten Monaten hat sich so eine kleine Szene gebildet, die an diesem Dorf interessiert ist und die immer wiederkommt. Bis jetzt waren schätzungsweise 4.000 bis 5.000 Menschen hier. Auch viele aus dem Ausland waren dabei. Die sind wegen Esch2022 gekommen und bekamen dann den Tipp, unbedingt hierherzukommen. Das freut mich und die Künstler, die hier ausstellen. Mit der Kunst ist es eigentlich wie mit einem Appartementhaus: Im Erdgeschoss ist das, was dekorativ und ansehnlich ist. Für das „normale Volk“ also. Im Penthouse dagegen geht es elitär zu. Die aus dem Erdgeschoss können nichts damit anfangen. Das Penthouse ist das Mudam, das Casino oder die Konschthal. Cueva ist so etwas wie der Lift von unten nach oben.    

 Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Im welchem Stockwerk ist Esch2022 angesiedelt? 

Auf der einen Seite ist Esch2022 Folklore, ein großer Zirkus. Auf der anderen Seite aber auch elitär, wie z.B. in der Konschthal. Da werden Namen eingekauft, ein Programm für eine Großstadt gemacht, aber nicht für Esch. Auch im Bridderhaus sind bekannte Namen unterwegs. Aber die kennt hier niemand. Das Bridderhaus ist zudem so nobel renoviert worden, da müssen die Künstler erst mal Plastik auf dem Parkettboden auslegen, bevor sie arbeiten können.  

Das hier ist die siebte Auflage und ich würde sagen, das wäre ein guter Abschluss

Zurück zur Metzeschmelz. Wie geht’s weiter mit Cueva? 

Die Ausstellung läuft noch zwei Monate. Bis Ende des Jahres müssen wir hier raus sein. Dann kommen wir zusammen und schauen, wo wir dran sind. Das hier ist die siebte Auflage und ich würde sagen, das wäre ein guter Abschluss.

Also wird es keine achte Auflage geben?

Es wird schon weitergehen, aber ich denke nicht unter der Bezeichnung Cueva. Es gibt ein paar Ideen. Eine Art Wanderzirkus zum Beispiel, mit zwei Zelten, die man für zwei Tage an einem Ort aufschlägt und im nächsten Monat woanders. Ich kann mir aber auch eine Art permanentes Künstlerdorf irgendwo in der Großregion vorstellen. Nur eins ist sicher: Ohne Unterstützung einer Gemeinde wird es nicht mehr gehen. Die Künstler sollen nicht mehr in die eigene Tasche greifen müssen, um dabei zu sein. Sie müssen nichts verdienen, dürfen aber auch nicht auf ihren Unkosten sitzen bleiben. Das ist momentan bei Cueva der Fall. Diejenigen, die von Esch2022 abgelehnt wurden und hier mitmachen, müssen ihre Kosten selbst tragen, während beim Kulturjahr ein Riesenbudget verteilt wird.