Strafvollzug„Eran, eraus … an elo?“ erneuert Forderung nach Arbeiterstatut für Häftlinge

Strafvollzug / „Eran, eraus … an elo?“ erneuert Forderung nach Arbeiterstatut für Häftlinge
Viele Häftlinge verlassen das Gefängnis mit weniger Geld als bei ihrer Einlieferung Foto: Editpress/Archiv

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Häftlinge sollen für ihre Arbeit anständig entlohnt und mit klaren Pflichten und Rechten ausgestattet werden, die in einer Art Arbeitsvertrag festgehalten werden. Davon profitiere nicht nur der oder die Betroffene selbst, sondern die ganze Gesellschaft, betont Grégory Fonseca von „Eran, eraus … an elo?“.

Die Häftlingsvertretung setzt sich seit Monaten für ein geregeltes Arbeitsverhältnis im Gefängnis ein, inklusive Mindestlohn und Sozialabgaben. Das Thema sei lange Zeit tabu gewesen, habe seit der letzten Pressekonferenz der Vereinigung im Juni allerdings an Fahrt aufgenommen, wie Sprecher Grégory Fonseca gegenüber dem Tageblatt bestätigt. Bei der Justizministerin habe man ein offenes Ohr vorgefunden und auch die Gewerkschaften und andere Sozialpartner hätten Bereitschaft signalisiert, mit der Vereinigung an einer Lösung arbeiten zu wollen. Darum sei es jetzt wichtig, an dem Dossier dranzubleiben und dafür zu sorgen, dass sich dieser Elan nicht im Sand verläuft.

Denn: Die Häftlinge, die im Gefängnis einer Arbeit nachgehen, befinden sich laut Fonseca nach wie vor in einem juristischen Leerraum. „Sie unterstehen keinem Statut und auch keinen klaren Regeln, die ihr Arbeitsverhältnis umrahmen“, so der junge Mann. Dies führe mitunter zu skurrilen Situationen. Einerseits seien die Pflichten der Häftlinge nicht geregelt. Andererseits seien die Betroffenen der Willkür ihrer Aufpasser ausgesetzt. Wenn zum Beispiel der Chef einer Arbeitsstätte in den Urlaub fährt oder krankheitshalber ausfällt, falle auch die Arbeit und damit ein Teil der Bezahlung aus. „Außerdem werden auch die kleinsten Ordnungswidrigkeiten und Regelverstöße mit einem Arbeitsentzug bestraft“, kritisiert Fonseca.

Neun Werkstätten, sieben Bezahlstufen

Der Sprecher der Vereinigung ist sich der Brisanz dieses Dossiers durchaus bewusst. Er könne auch verstehen, wenn Außenstehende Arbeit im Gefängnis als Privileg verstehen, das sich Häftlinge verdienen müssten. Er sei sich jedoch auch sicher, dass die Gesellschaft bereit sei für einen Paradigmenwechsel. „Arbeit ist weder Belohnung noch Strafe. Wir müssen uns von dieser Auffassung lösen“, fordert Fonseca. Die eigentliche Strafe eines Häftlings sei der Freiheitsentzug. „Man verliert nicht nur die Freiheit, sondern jegliche Form der Selbstbestimmung. Nicht mal duschen darf man auf eigene Faust“, erklärt der Sprecher von „Eran, eraus … an elo?“.

Viele Möglichkeiten, ein regelmäßiges Einkommen zu erzielen, haben die Häftlinge derzeit nicht. Einzige Option in Schrassig sind die neun Werkstätten – vorausgesetzt, man erfüllt die nötigen Bedingungen für eine Anstellung. Die Bezahlung ist in sieben Stufen aufgeteilt und kann je nach Atelier variieren. Im „Façonnage“ müssen beispielsweise nur einfache, repetitive Aufgaben erledigt werden, wie etwa das Füllen von Nikolaus-Tüten mit Süßigkeiten. Tätigkeiten, die auch außerhalb der Gefängnismauern nicht mit hohen Gehältern entlohnt werden.

Eine höhere Bezahlung erhalten Betroffene in der „Buanderie“. Die Wäscherei des Gefängnisses wird von vielen Krankenhäusern und Pflegeheimen beliefert. Diese Einrichtungen sind auf die Erfüllung der Aufträge angewiesen, weshalb dort höhere Ansprüche an die Arbeitnehmer gestellt werden, als in anderen Ateliers. Das spiegelt sich auch im Lohn wider.

Häftlinge werden in der Regel je nach Dauer ihrer Anstellung, Können und Engagement eingestuft und „befördert“. Ein Häftling verdient je nach Einstufung zwischen 390,40 und 793,50 Euro für 140 geleistete Arbeitsstunden pro Monat. Macht einen Stundenlohn zwischen 2,79 und 5,66 Euro. Dieser Betrag werde regelmäßig angepasst, wie der Direktor der Gefängnisverwaltung, Serge Legil, bereits in einem früheren Interview mit dem Tageblatt verriet.

In dem gleichen Zusammenhang hat Legil auch darauf hingewiesen, dass eine Festanstellung mit einem herkömmlichen Arbeitsvertrag aus unterschiedlichen Gründen im Gefängnis recht kompliziert sei. Deswegen unterliegen „Angestellte“ im Gefängnis einem ganz speziellen Statut, das den Häftlingen nur wenige Pflichten vorschreibt und dem Arbeitgeber auch nur begrenzte Rechte einräumt.

Legil gab etwa zu bedenken, dass Hätflinge nicht immer von einem heiligen Arbeitseifer befallen seien: Jeden Tag komme es vor, dass ein Teil der Betroffenen nicht zur Arbeit erscheine. „Wir können sie aber nicht zwingen“, so Legil. Auch müssten Betroffene im Gefängnis keine komplette Arbeitswoche leisten. „Wir reden hier von 20, maximal 30 Stunden die Woche. Mehr als 30 Stunden hat niemand“, so der Direktor. Außerdem hätten die Häftlinge kaum Ausgaben. Kost und Logis seien quasi frei und kulturelle Angebote stelle man auch bereit.

Eine Belastung für Häftlinge

Argumente, die Fonseca und seine Mitstreiter von „Eran, eraus … an elo?“ nicht gelten lassen. Insassen hätten Bedürfnisse und finanzielle Verpflichtungen wie andere Menschen auch, so ihr Argument. „Viele Betroffene haben neben gängigen Ausgaben im Gefängnis auch Familien, die sie unterstützen wollen. Doch haben sie am Ende des Monats kaum etwas übrig. Das belastet so manchen Insassen enorm“, so Fonseca. Außerdem käme es später zu Problemen bei der Auszahlung der Renten, da die Häftlinge während der Haft keine Beiträge einzahlen.

Aus diesem Grund fordert die Vereinigung nicht einfach nur ein Arbeiterstatut, sondern auch den Mindestlohn. „Mit sämtlichen Rechten und Pflichten, die andere Arbeitnehmer auch beachten müssen“, unterstreicht Fonseca. Dazu gehören auch Sozialabgaben und Rentenbeiträge. Insassen sollen nicht nur lernen, dass ehrliche Arbeit sich bezahlt macht, sondern auch langsam wieder an die Gesellschaft herangeführt werden, indem sie ihren finanziellen Beitrag beisteuern.

Und dann wäre da noch die Sache mit dem Schadensersatz, den viele Verurteilte an ihre Opfer leisten müssen. Bei den aktuellen Entwicklungen – Inflation und Preisexplosionen machen auch vor den Gefängnismauern nicht Halt – bliebe den meisten Betroffenen am Ende des Monats nicht viel übrig. „Mit einem ordentlichen Gehalt erhalten die Häftlinge die Möglichkeit, auch diesen Verpflichtungen regelmäßig nachzukommen“, erklärt Fonseca.

Darüber hinaus schlägt „Eran, eraus … an elo?“ vor, monatlich einen Teil des Gehalts in eine Art Solidaritätsfonds fließen zu lassen, aus dem die Opfer noch zusätzlich entschädigt werden – also zuzüglich zu den regelmäßigen Abgaben, die jeder Häftling im Rahmen seiner Strafe zu leisten hat. Als eine Art Kompensation für freie Kost und Logis, die vom Steuerzahler finanziert werden. „Damit leisten die Betroffenen nicht nur einen zusätzlichen Beitrag zur Gesellschaft, sondern es gibt den Opfern auch die Möglichkeit, schneller mit dem Geschehen abzuschließen. Anstatt noch Jahre auf die Zahlung der Täter warten zu müssen“, betont Fonseca.

Kein politischer Diskurs

Tatsächlich sind die geschädigten Zivilparteien nicht selten auf dieses Einkommen angewiesen. Aus diesem Grund legt die Generalstaatsanwaltschaft viel Wert darauf, dass diese Schuld beglichen wird. „Beim Häftling soll zumindest ein gewisses Bestreben dafür erkennbar sein“, so der Direktor der Gefängnisverwaltung gegenüber dem Tageblatt. Die Höhe der Rückzahlung sei weniger ausschlaggebend. Vielmehr werde auf die Mittel geachtet und was der Häftling davon abgibt. Bestrebungen zur Begleichung eines angerichteten Schadens seien ein wichtiger Teil zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Auf politischer Seite sind derzeit noch keine Bestrebungen zu erkennen, eine Art Grundeinkommen für Häftlinge im normalen Strafvollzug einzuführen. Im Koalitionsvertrag sind derartige Pläne nicht vorgesehen. Das Thema birgt gewissen Sprengstoff. Das wissen auch die Verantwortlichen der Häftlingsvertretung. Dabei hat die Gefängnisverwaltung gegenüber dem Tageblatt bereits durchblicken lassen, dass man nicht kategorisch gegen die Einführung eines Mindesteinkommens für Häftlinge sei – vorausgesetzt, diese entrichten die nötigen Sozialabgaben. Wie andere Menschen auch.

viola
1. August 2022 - 18.19

"repetitive Aufgaben erledigt werden, wie etwa das Füllen von Nikolaus-Tüten mit Süßigkeiten. Tätigkeiten, die auch außerhalb der Gefängnismauern nicht mit hohen Gehältern entlohnt werden."

Ja, die bekommen über 13€ pro Stunde, nicht 2,79€.

JJ
1. August 2022 - 9.12

Auch Verbrecher haben ihre Rechte. Verrückte Welt. Es fehlt noch eine Knacki-Gewerkschaft.