VerhandlungenEine Tripartite, die keine war – Gewerkschaften distanzieren sich von „Event“

Verhandlungen / Eine Tripartite, die keine war – Gewerkschaften distanzieren sich von „Event“
Für OGBL-Präsidentin Nora Back sind die von der Regierung angekündigten Maßnahmen, darunter die Verlängerung der Kurzarbeit, nicht ausreichend Foto: Editpress/Julien Garroy

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Die Gewerkschaften OGBL, LCGB und CGFP haben in einer gemeinsamen Erklärung praktisch kein gutes Haar an der Sitzung des Koordinationskomitees der Tripartite gelassen. Das hatte am Montag zum zweiten Mal seit Beginn der sanitären Krise getagt.

Im Schreiben vom Dienstag wird sogar der Vorwurf erhoben, dass es sich am Montag auf Schloss Senningen um keine Veranstaltung gehandelt habe, die den Namen „Tripartite“ überhaupt verdient: Die Regierung verstehe eine solche jedenfalls offenbar „nicht als Prozess, sondern als ein Event“.

„Das, was das Gesetz vorsieht, war diese Sitzung nicht wirklich“, bekräftigt OGBL-Präsidentin Nora Back gegenüber dem Tageblatt den Vorwurf. Jede der drei Gesprächsparteien habe eine Präsentation abgehalten, was aber zu keinem richtigen Austausch geführt habe: „Das waren einfach nur drei Monologe – es wurde nicht wirklich verhandelt oder aufeinander reagiert!“

Schon das Timing wurde als problematisch empfunden: Man traf sich mehr als ein Jahr später als ursprünglich geplant – und dann auch erst drei Tage vor der Abstimmung zum Haushalt 2022 in der Abgeordnetenkammer. So „konnte ja nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Gespräche noch irgendeinen Einfluss auf die Haushaltsorientierung haben würden“, heißt es in der gemeinsamen Mitteilung der Gewerkschaften. Laut OGBL-Chefin Back habe man die Situation durchaus kommen sehen, aber „vielleicht nicht gedacht, dass es so krass kommen würde“: So habe es in der laufenden Sitzung eine kurze Unterbrechung gegeben, „wo es vonseiten der Regierung hieß: Okay, wir haben euch jetzt angehört, wir ziehen uns jetzt zurück“. „Und dann kamen sie zurück mit dem Sechs-Punkte-Programm, das wir jetzt kennen, das aber nicht wirklich Resultat irgendwelcher Diskussion war.“

Die schriftliche Mitteilung der Gewerkschaften beklagt, von der „oft wochenlangen Aushandlung nationaler Tripartite-Abkommen wie in der Vor-Gambia-Zeit sind wir meilenweit entfernt“.

„Widerspruch zur Lebenswirklichkeit“

Back fügt hinzu, dass die verkündeten Maßnahmen, darunter die Verlängerung der Kurzarbeit, wobei der Ausfalllohn nicht unter den Mindestlohn sinken darf, natürlich grundsätzlich richtig seien – nur eben nicht ausreichend. Besonders frappierend sei, dass die Regierung nicht habe anerkennen wollen, dass die Kaufkraft der Luxemburger bedenklich eingebrochen sei: „Damit können wir aber nicht leben. Wir wissen, was passiert: dass die Mieten- und Wohnpreise in die Höhe schießen, dass viele Menschen in Kurzarbeit nur 80 Prozent ihres normalen Einkommens zur Verfügung hatten, dass Energie- und Gaspreise explodieren.“

Die Analyse der Regierung beziehe sich dagegen nur auf einen „globalen inflationsbereinigten Mittelwert“, beklagen die drei Gewerkschaften in der gemeinsamen Erklärung. Doch dass die Kaufkraft in der Pandemie „stabil“ geblieben wäre, stehe „ganz offensichtlich in Widerspruch zu der Lebenswirklichkeit von breiten Teilen der Bevölkerung“. 

Die Reaktion der Regierung auf die Argumente und Forderungen der Gewerkschaften sei generell „von einer Überheblichkeit ohnegleichen geprägt“: So habe der Premierminister wiederholt erklärt, die meisten von den Gewerkschaften angesprochenen Probleme hätten keinen Platz in der Tripartite, sondern seien außerhalb mit den jeweiligen Ressortministern zu diskutieren. „Die Tripartite ist ein Antikrisen-Instrument und wir haben ganz offensichtlich eine Wohnungskrise in Luxemburg“, empört sich Nora Back. „Worüber sollen wir dann sonst sprechen?“

Schwierige Zeit für Mobilisierung

Als weiteren Affront verstanden die Gewerkschaften die Ansage Bettels, dass der Zustand der öffentlichen Finanzen keine weiteren gezielten Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft erlaube – „obwohl diese zuvor als die solidesten in ganz Europa dargestellt wurden“. Der einzig echte Fortschritt sei die klare Absage der Regierung an die Patronatsseite gewesen und an dessen Versuche, den Index infrage zu stellen. Das am Montag Erreichte könne aber aus gewerkschaftlicher Sicht nicht zufriedenstellen.

„Die Gewerkschaften werden jedenfalls weiter für eine Stärkung der Kaufkraft und für eine Bekämpfung der wachsenden Ungleichheiten eintreten“, versprechen OGBL, LCGB und CGFP – auch wenn Nora Back im Gespräch mit dem Tageblatt eingesteht, dass gewerkschaftliche Mobilisierung momentan nicht einfach sei. Zunächst einmal sei das so aus dem naheliegenden Grund, dass man in der Pandemie die Gesundheit der Menschen schützen wolle und also Versammlungen und Beratungen schwieriger abgehalten werden könnten.

Man lebe aber auch in einer Zeit, „in der viel gespalten wird und unter den Leuten viel Missstimmung herrscht“: Als Gewerkschaft nehme man viele der Proteste zur Kenntnis, diese ständen aber oft in Widerspruch zu grundsätzlichen eigenen Positionen: „Wir sind ja für die Impfung und wollen auch, dass Leute sich möglichst impfen lassen. Darum distanzieren wir uns ganz klar von der ‚Marche blanche‘ und den ganz harten Impfgegnern, wir distanzieren uns von der Radikalisierung dieser Gruppen“, erklärt Back und stellt fest: „Wenn wir jetzt demonstrieren, riskieren wir, dass sich uns Randgruppen anschließen, die wir nicht in unseren Reihen haben wollen.“

Mit dem Beginn des neuen Jahres werde man aber „gewerkschaftliche Maßnahmen“ suchen und ergreifen, um auf die Zustände einzuwirken – und die Regierung daran zu erinnern, dass sie noch zwei Jahre Zeit hat, ihr Mandat zu erfüllen: „Seit der ‚Rentrée syndicale‘ im September haben wir das Gefühl, dass die Regierung schon zum Stillstand kommt!“