Esch-BelvalEine Frage der Lebensqualität in der am stärksten belasteten Gegend des Landes

Esch-Belval / Eine Frage der Lebensqualität in der am stärksten belasteten Gegend des Landes
Jeannot Behm (l.) von der Gemeinde Esch und Jacques Mersch von BioMonitor Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Die Anwohner wehren sich gegen die Lärm-, Staub-, Licht- und Geruchsbelästigung durch das Belvaler Stahlwerk. Nach einer Bürgerversammlung vor drei Wochen sind Ende Januar Gespräche mit ArcelorMittal programmiert. Dann wird es auch um die Schadstoffbelastung im Viertel gehen. Die ist in den letzten 25 Jahren dank immer strengerer Normen stetig gesunken. Trotzdem bleibt die Umweltbelastung in Esch landesweit am höchsten. 

Es war der damalige Escher Schöffe Félix Braz, der Anfang des Jahrtausends Messungen zur Schadstoffbelastung der Kleingartenanlage „An Elsebrech“ und der umliegenden Wohngegend veranlasste. Damals gab es noch regelmäßig Probleme mit dem Ultragift Dioxin. Die Menschen pflanzten Gemüse in den Gärten an und hielten dort auch Tiere. Heute sind die Kleingärten weg, hier soll in (ferner) Zukunft das Südspidol gebaut werden.

Braz wollte zusätzliche Messungen zu denjenigen der Umweltverwaltung. Und so kam die Firma BioMonitor ins Spiel, die nunmehr seit 2005 eigene Messungen durchführt. Während die Hochöfen in erster Linie schwarzen Eisenstaub ausstießen, rückte die akute Belastung bei der Inbetriebnahme des ersten Elektroofens 1993 in den Fokus. Denn es wird Schrott eingeschmolzen, und dabei auch Reste von Öl, Farben oder Plastik. „So wie es vor 15 Jahren war, ist es heute nicht mehr“, erklärt Jacques Mersch von BioMonitor. Vor allem die immer strengeren internationalen Richtlinien hätten für eine wesentliche Verbesserung gesorgt, sagt Mersch und verweist auf die Messungen, die er seit vielen Jahren durchführt. Demnach ist die Schadstoffbelastung in den vergangenen Jahrzehnten in unmittelbarer Nähe der Belvaler Schmelz stark zurückgegangen.

„Im Moment ist die Situation akzeptabel im Vergleich zu dem, wie sie einmal war“, sagt Mersch. Jeannot Behm vom Umweltamt der Stadt Esch fügt hinzu: „Ein Null-Risiko gibt es nicht. Unser Job ist die Analyse und die Risikoabschätzung. Wenn etwas zu hoch wäre, dann hätten wir schon Alarm geschlagen. Es nutzt aber auch nichts, Panik zu verbreiten.“ Behm ist bei der Gemeinde die Anlaufstelle für die Beschwerden der Bürger. Sie werden an den Stahlkonzern zwecks Stellungnahme weitergeleitet, gegebenenfalls mit Kopie an die Umweltverwaltung. Momentan geht es hauptsächlich um Lärmbelästigung, aber auch um Staubwolken aus dem Stahlwerk. Bei Behm laufen die Fäden zusammen. Er ist mit seinem Dienst beauftragt, die Messergebnisse in Zukunft zu publizieren, um eine größere Transparenz gegenüber dem Bürger herzustellen. Am Dienstag wurde die jüngste Versuchsreihe abgeschlossen, wobei die Schadstoffbelastung über Rückstande auf Pflanzenblätter bestimmt wird. 

Das Stahlwerk und seine Umgebung
Das Stahlwerk und seine Umgebung Foto: Editpress/Alain Rischard

Zu verstecken gibt es dabei nichts, denn die meisten Werte liegen heute auf dem Niveau der Referenzgemeinde Beckerich von vor 20 Jahren. Sie sind 2015 noch einmal abgeflacht, weil strengere Auflagen respektive Richtlinien in Kraft traten. Trotzdem kann es immer wieder zu Ausschlägen nach oben kommen, wie zum Beispiel beim Cadmium im Jahr 2022. „Die können nur aus der Industrie kommen“, sagt Jacques Mersch. „Wir haben natürlich bei ArcelorMittal nachgefragt“, ergänzt Jeannot Behm, „als Antwort bekamen wir, dass sie sich das auch nicht erklären können“.   

Was wohl nur die halbe Wahrheit ist, spielt ArcelorMittal doch nicht immer mit offenen Karten. Eine Interview-Anfrage des Tageblatt nach den Protesten des Interessenvereins (IV) Brouch lehnte der Konzern mit Verweis auf die Zusammenkunft mit Gemeinde und Vertretern des IV im Januar ab. Früher gab es eine „Comité de suivi“ für Grenzüberschreitungen oder andere Probleme. Es ist der Wunsch der Stadt Esch, dass ein solcher wieder eingesetzt wird. Auch das soll Ende Januar besprochen werden.

Am stärksten belastet

Bei allen Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten bleibt es Fakt, dass die Gegend um das Hauptquartier des Bussyndikats TICE am Boulevard Charles de Gaulle die am stärksten durch die Schwerindustrie belastete Gegend in Luxemburg ist. „’An Elsebrech’ liegt genau in der Luftschneise des Südsüdwest-Windes. Der häufigste hier“, erklärt Jeannot Behm. Dass Differdingen mit dem noch zentraler in der Ortschaft liegenden Stahlwerk bessere Werte hat, liegt an der zentralen Position der Schornsteine. „Wir sind jedenfalls noch nicht am Ende mit der Verbesserung der Filteranlagen, auch wenn es mitunter schwer ist, den Industriefirmen das zu vermitteln. Schlussendlich sind die Investitionen in die Verbesserung nichts im Vergleich zu den Investitionen in die Produktion“, sagt Jacques Mersch. In die Produktion werden nun 67 Millionen Euro für einen neuen Elektrolichtbogenofen investiert, wobei ArcelorMittal dafür vom Staat mit 15 Millionen Euro bezuschusst wird. 

Unter dem Strich aber bleibt die Feststellung, dass sich die Umweltbelastung durch das Belvaler Werk in den vergangenen Jahr(zehnt)en deutlich reduziert hat. Das zeigen die Messungen von BioMonitor und auch die Langzeitstudien der Umweltverwaltung. Der Impakt auf die Gesundheit der Menschen ist durch die starke Reduktion der Schwermetalle und Dioxine erheblich gesunken. Der weiße Schlackenstaub, der in den vergangenen Monaten regelmäßig rund um die Gegend niederging, hat keinen direkten Einfluss auf die Gesundheit, aber er verschmutzt Häuser und Autos. Und ist demnach eine Frage der Lebensqualität, genau wie es die vom Interessenverein Brouch angeprangerte regelmäßige Überschreitung der Lärmschutzgrenzwerte des Stahlwerks ist. Die Zeiten haben sich geändert. Da kaum noch ein Anwohner in der Schmelz arbeitet, ist auch die Toleranz gegenüber Grenzüberschreitungen des Stahlwerks gesunken.        


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