Nelkenrevolution Düdelingerin erzählt von ihren portugiesischen Wurzeln und ihrem „Doheem“ in Luxemburg

Nelkenrevolution  / Düdelingerin erzählt von ihren portugiesischen Wurzeln und ihrem „Doheem“ in Luxemburg
Die Geschichte Portugals und die von ihrer Familie prägt auch das Leben von Patricia Marques Foto: Editpress/Julien Garroy

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Der 25. April 1974 bedeutet für die Portugiesen die Hoffnung auf ein angstfreies Leben. Auch in Düdelingen lebt eine große portugiesische Gemeinschaft, die hier eine neue Heimat gefunden hat und sich jedes Jahr an dieses Datum erinnert. Patricia Marques erzählt, wie jener 25. April sie heute noch beeinflusst, obwohl sie damals noch gar nicht geboren war.

In der „Forge du Sud“ leben 106 verschiedene Nationalitäten. Davon macht die portugiesische Gemeinschaft einen großen Anteil aus, darunter auch jene, die sich für die doppelte Staatsbürgerschaft entschieden haben. Dazu gehört die 34-jährige Patricia Marques. Wie sie selbst sagt, ist Luxemburg ihr „Doheem“: „Ich bin in zwei Kulturen aufgewachsen und hatte portugiesische wie auch luxemburgische Freunde“, sagt die Psychologin, die im Rathaus Düdelingens den psychosozialen Dienst leitet.

Sie und ihre Schwester sind die zweite und dritte Generation jener Familien aus Portugal, die sich im Großherzogtum niedergelassen und hier ein neues Leben aufgebaut haben. Viele sind damals vor der dortigen Diktatur geflüchtet. Von 1933 bis 1974 hat in Portugal der „Estado Novo“ („Neue Staat“) geherrscht, unter der Leitung des Präsidenten António de Oliveira Salazar. In diesem autoritären System ist der Alltag geprägt vom Kampf gegen die Armut. 1950 können 42 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben.

Das Leben wird in dieser Zeit von der Angst geprägt, dass Familienmitglieder zum Arbeiten in portugiesische Kolonien geschickt werden, in den Krieg ziehen müssen oder nach Lissabon ins Gefängnis müssen – etwa weil sie sich negativ gegen das Regime geäußert haben. Der PIDE (der Internationale Polizei- und Staatsschutz) ist sehr aktiv und funktioniert ähnlich wie die Gestapo in Deutschland. Viele Kinder können nicht einmal die Grundschule beenden, da sie mit ihren Eltern auf dem Feld oder in der Fabrik arbeiten müssen. Die Frauen, die studiert haben, werden hingegen darum gebeten, keine Kinder zu bekommen, damit sie nicht auf ihrem Posten fehlen.

Der 25. April brachte Hoffnung

Der 25. April 1974, auch bekannt als Tag der Nelkenrevolution, ist zu einem wichtigen Datum in der portugiesischen Geschichte geworden: Es ist der Tag der Befreiung von einer Diktatur, der gleichzeitig Hoffnung auf ein besseres Leben macht. In Lissabon haben sich damals die Menschen unter die Soldaten gemischt und eine rote Nelke in die Gewehrläufe gesteckt. So wurde die Nelke zum Symbol der Revolution. Auch heute noch stellen sich am 25. April viele Portugiesen diese Blumen ins Haus.

Doch vor jenem schicksalshaften Tag im Jahr 1974 sind viele Portugiesen vor der Diktatur ins Ausland geflüchtet, neben Luxemburg sind sie nach Belgien, Kanada und auch in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Patricias Vater hat sich 1971 mit 21 Jahren in Luxemburg niedergelassen. Ihre Mutter ist drei Jahre später nachgekommen. Sie sagen heute, das sei das Beste, was ihnen hätte passieren können. Patricias Eltern leben mittlerweile länger in Luxemburg als in Portugal, deswegen wollen sie auch nicht mehr ganz zurück in ihre erste Heimat.

Für die 34-Jährige und ihre Schwester gehört diese Zeit auch zur eigenen Geschichte dazu, „obwohl wir das Glück hatten, diese Armut und Angst nicht miterleben zu müssen“, so Patricia. Der 25. April ist auch heute noch Thema in der Familie. An dem Datum schauen sie die Nachrichten und sehen, wie die Menschen in Portugal feiern. Diejenigen, die diese Zeit miterlebt haben, erinnern sich an die damaligen Geschehnisse. Für sie sind jene Erlebnisse heute fast schon irreal. Doch sie wissen noch genau, wo sie sich an dem Tag aufgehalten haben und wann sie alles im Radio gehört haben.

Zusammentreffen vieler Kulturen

Patricias Vater ist sehr dankbar, dass er damals hier aufgenommen wurde, dass er hier eine Arbeit bekam, einen geregelten Tagesablauf, eine Krankenkasse und einfach Sicherheit. „Das sind eigentlich banale Dinge, doch in der Zeit der Diktatur war vieles davon Luxus“, sagt Patricia. Und auch sie ist so erzogen worden, dass sie dankbar sein soll, hier aufgewachsen zu sein und hier ein Zuhause gefunden zu haben. Sie und ihre Generation sind hier geboren, hier zur Schule gegangen und beherrschen die Landessprachen. Ihre Verbindung zu Portugal haben sie dennoch nicht verloren. Diese fließt mit in ihre Arbeit ein und in die Art und Weise, wie sie denken. Für viele gehört es einfach dazu, mindestens einmal im Jahr die Familie in Portugal zu besuchen.

Dass über 100 verschiedene Nationalitäten in Düdelingen leben, bedeutet auch, dass viele unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Die „Forge du Sud“ ist die einzige Stadt Luxemburgs, die 2019 dem Programm „Intercultural Cities“ des Europarats beigetreten ist. Die einzelnen Dienste organisieren Veranstaltungen und Feste, damit sich die Menschen untereinander kennenlernen, dazu gehören die „Fêtes des cultures“, „Journée de la famille“ oder auch das portugiesische Fest zu Ehren des São João (Heiliger Johannes).

Der „Service Ensemble Quartiers Dudelange“ setzt sich dafür ein, dass die verschiedenen Gemeinschaften in den Vierteln zusammenkommen. Ein weiterer Gemeindedienst, der „Service à l’égalité des chances“, soll ebenfalls für ein besseres Zusammenleben untereinander sorgen. Auch beim Gemeindepersonal treffen verschiedene Kulturen und Staatsangehörige aufeinander. „Für mich ist dies eine Bereicherung, weil ich viel von ihnen lernen kann“, findet Patricia.

Die Nelkenrevolution ist auch ein Symbol für den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen. Als Psychologin beim psychosozialen Dienst ist Patricia Marques dafür zuständig, den Angestellten die Möglichkeit zu geben, sich auf ihrer Arbeitsstelle wohlzufühlen, aber auch ihre Rechte hervorzuheben. Während der Diktatur sei davon keine Rede gewesen, erzählt Patricia. 

Trotzdem sieht sie lieber den Menschen, der hinter dieser Nationalität oder Kultur steckt. Und auch seine Arbeit mache einen Teil der Identität aus. „Wir verbringen sehr viel Zeit auf unserer Arbeitsstelle, deswegen ist es wichtig, dass wir uns dort wohlfühlen.“ Schließlich muss auch dort das Zwischenmenschliche funktionieren.

Blücher
23. April 2021 - 7.03

Nach all den Rassismusvorwürfen der letzten Zeit in den Medien, eine erfreuliche Reportage über eine Frau und ihre Familie die bestes Beispiel, dass Integration gelingen kann.Ein Vorbild und vor allem der Dank eines Luxemburger an Sie mit welch Respekt Sie unserer Sprache, Kultur ,Land gegenübertraten , der Bereitschaft ihre kulturellen Wurzeln mit den Unserigen zu vermischen.