Hussigny bei DifferdingenDie Lok aus Ali Babas Höhle: Wenn eine seltene Bergbaumaschine zu neuem Leben erwacht

Hussigny bei Differdingen / Die Lok aus Ali Babas Höhle: Wenn eine seltene Bergbaumaschine zu neuem Leben erwacht
Unter dem gestrengen Auge des Steigers bleibt alles unter Kontrolle! Foto: Francis Wagner

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Die Gerüchte klangen zu schön, um wahr zu sein: Ganz tief, da unten im Bergwerk, sei nach dessen Schließung eine ganze Menge von antikem technischem Material zurückgelassen worden, darunter eine äußerst seltene Grubenlok. Fantastereien alter Männer? Nun, zwei „Minettsdäpp“ beschlossen, der Sache auf die Spur zu gehen …

Ende der 1980er Jahren hatten pensionierte Bergleute dem Historiker und Jazzsaxofonisten Luciano Pagliarini erzählt, dass 1978, als das Minette-Bergwerk „Godbrange-Hussigny-Tiercelet“ (GHT) geschlossen wurde, längst nicht alle Maschinen der Schrottverwertung zugeführt worden seien. Da unten gebe es noch ein paar Juwelen zu entdecken.

Die Gendarmerie nimmt Witterung auf

Zusammen mit dem (2002 verstorbenen) Escher Bergmann a.D. und Grubenbahn-Modellbauer Emil „Bubi“ Kreins, verschaffte sich Pagliarini „inoffiziell“ Zugang zu GHT, dies über einen alten Abbaustolllen des im Nachbartal gelegenen Bergwerkes Moulaine.

„Und als wir dann vor Ort, tief unter der Erde, eintrafen, wollten wir unseren Augen nicht trauen“, erzählt Pagliarini: „Es war, als hätten wir Ali Babas Höhle entdeckt!“

Die Alten hatten recht: Neben mehreren Dutzend Buggys und Abbaumaschinen stand da tatsächlich eine antike Lokomotive des deutschen Herstellers Deutz, die technikgeschichtlich eine große Rarität darstellt.

Mit dem Maschinisten Mike Stracks im Führerstand, fährt die 97-jährige Deutz zurück in die Grube
Mit dem Maschinisten Mike Stracks im Führerstand, fährt die 97-jährige Deutz zurück in die Grube Foto: Francis Wagner

Und dann wurde dieses Juwel natürlich schleunigst ans Tageslicht geholt? „Ähm, zwar nicht“, seufzt Pagliarini: „Fast wären wir nämlich im Gefängnis gelandet. Uns wohlgesinnte Leute aus der Gegend hatten uns nämlich gewarnt, dass wir bei der Gendarmerie verpfiffen worden seien, und man uns für jene Metalldiebe halte, die tatsächlich in der Gegend ihr Unwesen trieben. Die Staatsmacht wollte uns bei unserer nächsten Expedition in die Unterwelt auflauern und einlochen!“

So weit sollte es dann aber doch nicht kommen. Der zwischenzeitlich in Luxemburg gegründete, indes heute französische Verein „Archéologie et histoire industrielle“ (AHI) nahm Kontakt mit der Gemeindeverwaltung von Hussigny – das auf luxemburgisch „Héiseng“ heißt – auf und fand tatsächlich bei dem damaligen „adjoint au maire“ (Schöffen) Bruno Trombini ein offenes Ohr: Der Mann fand die Umtriebe der jungen „Minettsdäpp“ gar nicht unsympathisch und bot ihnen eine Konvention an, aufgrund derer die AHI offiziell die Berechtigung erhielt, das „au front de taille“ hinterlassene Material zu bergen. Die Lok sollte äußerlich („kosmetisch“) restauriert und im Zentrum von Héiseng als Monument aufgestellt werden.

1998 war dies dann auch, sehr zur Freude beider beteiligter Parteien, nach vielen freiwillig geleisteten Arbeitsstunden der Fall: Der alte Schmelz- und Bergbauort verfügte über ein würdiges Denkmal für die „Gueules jaunes“, wie die Minette-Bergleute in Lothringen genannt werden.

Und Bruno Trombini ist übrigens heute nicht mehr Schöffe … dafür aber Präsident der AHI.

Eine Grubenlok des Herstellers Thomson-Houston vor ganz speziellen Buggys, die der Luxemburger Arbed-Ingenieur Hames entwickelt hatte
Eine Grubenlok des Herstellers Thomson-Houston vor ganz speziellen Buggys, die der Luxemburger Arbed-Ingenieur Hames entwickelt hatte Foto: Francis Wagner

Mit dem Klang eines Fischkutters

Was macht die kleine Deutz-Lok aus dem Jahre 1926 denn nun so selten? Nun, sie verfügt über einen Motor, der ursprünglich als ein mit Benzol betriebener Ottomotor konstruiert worden war. Weil Benzol aber leider hochentzündlich und zudem krebserregend ist, konnte sich die Benzoltechnik nie richtig durchsetzen: Das Diesel-Verfahren lief ihr den Rang ab. Und Deutz entwickelte, u.a. unter Verwendung neuer Zylinderköpfe und Einspritzpumpen, das Benzolaggregat zu einem Selbstzünder weiter.

Dieser Dieselmotor verfügt aber unverändert über mehrere, aus der doch recht urigen Benzoltechnik ererbten Merkmale: Der Einzylinder-Motor muss mithilfe zweier massiver Schwungräder am Laufen gehalten werden, und produziert einen Sound, der eines vorsintflutlichen Fischkutters durchaus würdig wäre. Dieser eine Zylinder hat dabei einen Hubraum von neun (!) Litern, aus welchen aber eine Leistung von gerade mal 14,7 kW (oder 20 PS) herausgekitzelt wird. Diese spärlichen Pferdestärken reichen aber allemal, um die acht Tonnen Masse der Lok auf die beeindruckende Höchstgeschwindigkeit von immerhin acht km/h zu beschleunigen.

Am Haken einer anderen Deutz-Lok kommt der Eröffnungszug mit den Festgästen wieder ans Tageslicht
Am Haken einer anderen Deutz-Lok kommt der Eröffnungszug mit den Festgästen wieder ans Tageslicht Foto: Francis Wagner

Bereits bei ihrer Aufstellung als statisches Ausstellungsstück in Héiseng, waren die AHI-Aktivisten zur Überzeugung gelangt, dass es möglich sein müsse, die kleine Deutz wieder in Betrieb zu nehmen. Gesagt, getan: Vor vier Jahren wurde die Veteranin mit Zustimmung der Gemeindeverantwortlichen wieder vom Sockel geholt und in die Unterwelt zurückbefördert. Vor Ort wurde sie dann in sämtliche Stücke zerlegt, welche allesamt einer gründlichen Verjüngungskur unterzogen wurden. Am Samstag, den 6. Mai war es dann endlich so weit: Im Rahmen einer äußerst sympathischen Feier konnte das Maschinchen offiziell in seine zweite, nunmehr touristische Karriere starten.

Der Eingang zur Héisenger Grube befindet sich übrigens bloß 300 Meter von der luxemburgischen Grenze bei Differdingen entfernt. Die AHI bietet Besichtigungen des Bergwerkes an, bei welchen u.a. die kleine Deutz-Veteranin zum Einsatz kommt. Näheres auf der Facebook-Seite „Mine Hussigny-Godbrange A.H.I.“