Die französische Eisenbahn vor der Revolution

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Veraltete Züge, veraltete Gleise und 46 Milliarden Euro Schulden. Dem französischen Eisenbahnunternehmen SNCF geht es schlecht. Die Regierung will es nun reformieren. Ein waghalsiges Unternehmen, zudem es am Montagmorgen neue Informationen geben wird.

Die französische Eisenbahngesellschaft SNCF ist ein Gigant, der auf sehr schwachen Füßen steht. Die Züge sind alt, selbst der TGV kommt in die Jahre und lässt beim Komfort Wünsche offen. Investiert wurde überwiegend in den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecken.

Im Norden und im Zentrum des Landes fahren Züge aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Wer von Paris nach Amiens fährt, in die Heimatstadt des französischen Staatspräsidenten, der sitzt in Zügen mit Abteilen für acht Personen und Toiletten, die sich unmittelbar auf die Gleise entleeren. Eigentlich müsste der Fahrgast für die Nutzung dieser „Intercité Corail“-Züge bezahlt werden.

Katastrophale finanzielle Situation

Die Frachtsparte der SNCF ist ein dauerhafter Restrukturierungsbereich. Mit der Fracht macht die SNCF Verluste. Dort, wo der Lastwagenverkehr auf die Schiene umgeleitet werden soll, geschieht das Gegenteil. Der Frachtbereich soll nun in eine Tochtergesellschaft umgewandelt werden, um durch mehr Eigenständigkeit flexibler handeln zu können. In Sachen Personal ist die SNCF ein eigenes Königreich. Lokführer gehen mit Mitte 50 in Rente. Mitarbeiter der SNCF dürfen samt Familie kostenlos Bahn fahren.

Geradezu katastrophal ist die finanzielle Situation des Staatsunternehmens. Es hat bisher 46 Milliarden Euro Schulden aufgebaut. Jedes Jahr kommen drei Milliarden neue Schulden hinzu. Der Schuldenberg kommt aus einer besonderen Situation heraus. In der Europäischen Kommission herrscht die Idee vor, dass man die Bereiche des Gleisbaus und des Betriebs trennen muss.

Der Betrieb der Züge zahlt dann Benutzungsgebühren an den Gleisbaubereich. Theoretisch sollen die Gebühren die Kosten des Gleisbaus bezahlen. Tun sie aber nicht. Der Bereich Netz/Gleisbau ist im Wesentlichen verantwortlich für den Schuldenberg. Er ist aber auch verantwortlich für den schlechten Zustand der traditionellen Strecken und die daraus resultierenden – teils schweren Unfälle mit Toten.

Falsche Investitionspolitik

Überdies muss sich die SNCF mit zwei Bereichen herumschlagen: Sie sollte einerseits rentabel sein, andererseits Aufgaben der Strukturpolitik erfüllen, sprich: Gegenden mit Eisenbahnverkehr versorgen, in denen die Züge nie rentabel fahren werden. Die falsche Investitionspolitik hat die Regionen Frankreichs zur Tätigkeit gezwungen. Der frühere Präsident der Region Lothringen, Gérard Longuet, hat in den 1990er Jahren bereits erkannt, dass nur mit Hilfe der Regionen der Eisenbahnverkehr vernünftig gestaltet werden kann.

Longuet folgte der Region Bretagne, die ihre eigenen Züge kaufte und sie der SNCF zum Betrieb zur Verfügung stellte. Die SNCF zahlt dafür Miete in Millionenhöhe und finanziert so die Züge. Longuet war dazu allerdings auch gezwungen, weil die Situation der Grenzgänger nach Luxemburg und in das Saarland unerträglich wurde. Dass der Bahnhof von Luxemburg-Stadt eines Tages zu klein werden würde für die Menge der Züge, war so damals nicht vorauszusehen.

Die Bretagne, Lothringen, das Elsass, die Gegend der Loire-Mündung sind die Regionen, die heutzutage gut ausgerüstet mit Taktverkehr im Nah- und Regionalverkehr funktionieren. Wer nicht frühzeitig seine Züge bestellt hat, muss warten. Das gilt beispielsweise für die Normandie, Flächenland mit keiner wirklichen Metropole und zu nahe an Paris, die den Zug der Zeit verpasst hat.

Regierung zielt auf Betrieb

Und: Wenn sich Regionen untereinander nicht verstehen, dann gibt es Reibereien. Die Normandie kann im Umgang mit ihrem mächtigen Nachbarn Bretagne ein Lied davon singen. Ein anderes Königreich ist das des Großraums Paris. Jeder dritte Eisenbahnpassagier lebt in diesem nach dem Ruhrgebiet zweitgrößten Industrie- und Ballungsraum Europas, der ebenfalls mit teilweise veralteten Zügen versorgt wird.
Was macht man mit einem Unternehmen, das dermaßen eingezwängt ist und in dieser Situation immer nur Verluste produzieren wird?

Staatspräsident Macron hat der SNCF angeboten, ihre Verluste zu übernehmen, wenn sie sich reformiert. Eine Reform soll im Bereich des Betriebes stattfinden, im Bereich des Beamtenstatuts der Mitarbeiter und in dem der Rente. Die französische Regierung will sich zunächst auf den Betrieb selbst konzentrieren.

Macron hat dafür seine Strategie verändert. Hatte er bisher die Gewerkschaften sehr früh in einen Entwicklungsprozess eingebunden oder Unternehmer und Gewerkschaften ein Problem lösen lassen, hat er nun einen Bericht über den Zustand der SNCF erstellen lassen, dabei aber die sozialen Probleme und die Frage des Statuts ausklammern lassen.
Sie sollen später diskutiert werden, wenn es sich um den öffentlichen Dienst und die Rentenreform drehen wird. Es ist dieses „alte“ Verfahren, das vor allem die radikale Gewerkschaft CGT liebt. Sie kann sich nun an einem Papier abarbeiten. Das tut sie, indem sie es ablehnt und für den 22. März bereits zu einem Aktionstag aufgerufen hat.

SNCF als Aktiengesellschaft?

Jean Cyril Spinetta, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Fluggesellschaft Air France, hat die SNCF mit ihrem Betriebssystem unter die Lupe genommen. Er schlägt die größten Veränderungen vor, die die SNCF seit ihrer Gründung 1937 erlebt hat. Grundvoraussetzung für Veränderungen ist seiner Meinung nach die Übernahme der Schulden durch den Staat.
Weiter sollte das Eisenbahnunternehmen in seiner Struktur verändert werden. Der bisher schon bestehenden Holding sollen zwei Aktiengesellschaften untergeordnet werden. Eine als Betriebsgesellschaft, eine andere als Netzgesellschaft.

Die Betriebsgesellschaft könne sich als Aktiengesellschaft besser und schneller den europäischen Anforderungen anpassen. Ende des Jahres muss das nötige Gesetz beschlossen sein. 2021 dürfen auch ausländische Gesellschaften dann innerhalb Frankreichs fahren.

Frankreich hat in der Liberalisierung des Eisenbahnverkehrs dann gegenüber Deutschland einen Rückstand von 20 Jahren. So lange dürfen Unternehmen wie die französische Transdev schon im deutschen Regionalverkehr der Deutschen Bahn Konkurrenz machen. Die CGT, führende Gewerkschaft bei der Eisenbahn, sieht diese Öffnung eher als Gefahr an.
Die Umwandlung des Netzwerkbereiches in eine Aktiengesellschaft hat einen einfachen Grund: „In einer Aktiengesellschaft werden Finanzen und Verschuldung besser kontrolliert. Die bisherige Leichtigkeit der Verschuldung muss gestoppt werden“, sagt Spinetta.

Keine Konkurrenz für die SNCF

Er schlägt im strukturellen Bereich weiter vor, die Bahnhöfe der Netzwerkgesellschaft zuzuordnen. Insgesamt müsse das Unternehmen mit seinen Zuständigkeiten klarer gefasst werden. Aber auch hier opponiert die CGT. Die Umwandlung in Aktiengesellschaften eröffne die Möglichkeit eines Börsengangs, „Teufelswerk“ in den Augen der CGT. Allerdings hatte Staatspräsident Hollande unter dem Eindruck der CGT noch dafür gesorgt, dass ausländische Konkurrenten komplette SNCF-Mannschaften zu den SNCF-Bedingungen übernehmen müssen.

Vorteile der Konkurrenten werden damit ausgeschlossen. Konkurrenz im eigentlichen Sinne gibt es nicht, die Kostenbasis entspricht der der SNCF. Sie müsse auch eine Vorherrschaft behalten, meint der Bericht. Konkurrenz sieht anders aus. Die größte Schwierigkeit liegt in der „Entschlankung“ des Streckennetzes. Aus der Aufgabe heraus, die Fläche zu bedienen, haben sich viele Linien entwickelt, die nicht rentabel zu gestalten sind, oder deren Züge nicht gefüllt sind, weil die Fahrpläne falsch gestaltet sind und nicht den Bedürfnissen der Fahrgäste entsprechen.

Die Folge: Der Autoverkehr nimmt zu. Auch ein Ersatz-Busverkehr wird in der Regel abgelehnt. Busse seien unkomfortabel und benötigten mehr Zeit, lautet die Begründung. Spinetta hält entgegen, dass man zwei Milliarden Euro für zwei Prozent der Passagiere ausgebe.

Grenzgänger nach Luxemburg

Das Aushängeschild der französischen Eisenbahn, der TGV, wird von Spinetta ebenfalls auf den Prüfstand gestellt. Eine weitere Ausweitung lehnt er ab. Er verweist auch darauf, dass der TGV in weiten Bereichen als Nahverkehrszug genutzt wird.

Die 400 Kilometer der Strecke Paris-Rennes werden nonstop in einer Stunde 45 Minuten gefahren. Danach braucht der Zug für 158 Kilometer nach Brest eine Stunde 56 Minuten mit zwei Halten. Spinetta verweist darauf, dass viele TGV-Strecken nicht mehr als Hochgeschwindigkeitsstrecken, sondern als Strukturstrecken verwendet werden. Seitdem geht die Furcht in Frankreichs Mittelstädten um, den TGV-Haltepunkt zu verlieren.

Der SNCF stehen für die TGV-Strecken Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe wenn nicht sogar in Milliardenhöhe bevor. Bei seinen Untersuchungen hat der frühere Luftfahrtmanager festgestellt, dass die ersten TGV-Strecken dringend renovierungsbedürftig sind. Paris-Lyon, Paris-Tours du Paris-Lille seinen „regenerierungsbedürftig“, heißt es in seinem Bericht.

Spinetta spricht in seiner 60-seitigen Analyse, die der Redaktion vorliegt, insgesamt neun Punkte an, die die SNCF völlig neu aufstellen wird, von denen allerdings keiner gewerkschaftliche Zustimmung findet. Die französischen Eisenbahn darf sich auf einen heißen Frühling einstellen.

Helmut Wyrwich
26. Februar 2018 - 17.45

Premierminister Edouard Philippe hat am Montag erklärt, dass er sich am integrierten Unternehmensmodell der Deutschen Bahn orientieren werde. In Deutschland gibt es Konkurrenz im Bahnbereich seit 20 Jahren . Dort hahen private Gesellschaften und auch der französische Betreiber Transdev den Regionalverkehr weitgehend übernommen. Der gesamte Technikbereich bleibt in der Obhut der Deutschen Bahn. Die Konkurrenten sind nur Betreiber mit eigenem, modernen Material. . Dieses System stellt man sich auch in Franjkreich vor. Private Gesellschaften gehen übrigens auch modernste Umwelt schonende Wege. In der Region Bremen Cuxhaven fahren Wasserstoffzüge mit Brennstoffzelle. Wenn also die Konkurrenz gut eingerahmt wird und sich auf den Betrieb beschränkt, muss man keine Sorgen haben.

Jacques Zeyen
26. Februar 2018 - 10.44

Konkurrenz in einem " Sicherheitsbetrieb " wie Eisenbahn ist äusserst gefährlich. Denn wenn's ums Geld geht wird schnell geschlampt. Der Staat sollte beim öffentlichen Transport seine Kontrollfunktion nicht so schnell aufgeben. Bildung,Gesundheit,Transport..alles sehr teuer,aber zum Wohle der Menschen. Und die sind "der Staat" Und "Schulden" ist ja mittlerweile kein Begriff mehr der Angst einjagt. Wie hoch sind wir den alle verschuldet? USA,Deutschland,Japan ( und die leisten sich 2020 eine Olympiade ). Und wenn in Frankreich täglich Militärjets ihre sinnlosen Runden drehen nur um das Material zu nutzen und Assad Angst einzujagen,dann kann man doch auch vielleicht die Bahn erneuern.