Sonntag9. November 2025

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Gespräch mit BuchautorDie bewegte Entstehungsgeschichte des Luxemburger Satellitenbetreibers SES

Gespräch mit Buchautor / Die bewegte Entstehungsgeschichte des Luxemburger Satellitenbetreibers SES
November 1986: Bauarbeiten an der Zentrale in Betzdorf Quelle: Foto aus dem Buch „Die Astra-Story“ 

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Im Jahr des 40. Geburtstags des Luxemburger Satellitenbetreibers SES hat Paul Zimmer, der damals aktiv mit dabei war, die überaus spannende Entstehungsgeschichte des Unternehmens in einem Buch zusammengefasst.

Tageblatt: Was ist der geschichtliche Hintergrund der SES-Entstehung?

Paul Zimmer: Damals war eine schwierige Zeit. Das Land hatte mit vielen Problemen zu kämpfen. Aus der Ölkrise 1973 war 1975 die Stahlkrise entstanden. Zwar begann der Finanzplatz, sich zu entwickeln, doch wir  wollten nicht von nur einem Sektor abhängig werden.

Was war der Trigger?

RTL war eine sehr wichtige staatliche Einnahmequelle. Es war eine richtige Geldmaschine. Anfang der 80er hat das Unternehmen dem Staat und den Aktionären Milliarden Franken pro Jahr eingebracht. Nach dem Wegbrechen der Arbed (1974) war RTL der wichtigste Steuerzahler des Landes geworden. 99 Prozent des Geldes kamen aus dem Ausland, wie auch 99 Prozent der Aktionäre. Die von Luxemburg ausgestrahlten Radiosender hatten Werbung – alle anderen Sender Europas waren staatliche Monopole ohne Werbung. Es war ein Markt ohne Konkurrenz. Doch es kam eine technologische Revolution: UKW ersetzte die alten, ab Luxemburg nutzbaren Frequenzen und das alte, auf Radios basierende Geschäftsmodell war bedroht.

Die französische Regierung wollte nicht riskieren, die Kontrolle über ihre Medien zu verlieren

Fernsehen sollte die Lösung bringen …

Fernsehen wurde nach und nach populärer. Wir wollten darauf setzen. Die erste Idee, die zum Ende der 70er-Jahre verfolgt wurde, war eine europaweite Ausstrahlung per Satellit. Dazu entwickelte die RTL-Geschäftsführung das Projekt LuxSat.

Das hat aber nicht geklappt …

Frankreich hatte eine Sperrminorität bei RTL und wollte das nicht. Die französische Regierung wollte nicht riskieren, die Kontrolle über ihre Medien zu verlieren. RTL hatte sich in der Vergangenheit bereits nicht an deren Wünsche und Forderungen gehalten, etwa bei der Berichterstattung über den Algerienkrieg oder bei den Studentendemos im Mai 1968. Frankreich wollte keine unkontrollierbaren ausländischen Medien. Im Gegenzug zum Einhalten der französischen Regeln bot man RTL Zugang zu einem französischen Satelliten an.

Paul Zimmer: „Die SNCI und die BCEE, wie auch die privaten Erstaktionäre, haben ihre Investitionen mehr als 30-fach zurückerhalten.“
Paul Zimmer: „Die SNCI und die BCEE, wie auch die privaten Erstaktionäre, haben ihre Investitionen mehr als 30-fach zurückerhalten.“ Foto: Editpress/Alain Rischard

Es entstand ein echter Konflikt zwischen Luxemburg und Frankreich …

Die Franzosen haben versucht, im Rahmen von Eutelsat (Verband der nationalen Fernmeldeverwaltungen) alle anderen Länder gegen Luxemburg aufzubringen. Frankreich erklärte Luxemburg quasi den Krieg. Unsere Medienmonopole gehen verloren, warnten sie. Sie setzten auf ihre eigenen nationalen Satelliten. Die damals erforderlichen Erlaubnisse zum Aufstellen von Satellitenschüsseln sollten für Luxemburger Satelliten verweigert werden. Kein europäischer Satellitenproduzent war bereit, mit uns zu reden.

Das Projekt ging also nicht voran.

Pierre Werner sagte 1982, dass man andere Wege suchen müsste, wenn RTL nicht mitmacht. Schlussendlich fragte man über den Luxemburger Botschafter in den USA, Adrien Meisch, der über seine Frau, die US-Amerikanerin Candace Johnson, gute Beziehungen im Telekommunikationssektor des Landes hatte, in diesem Land nach. Von dort kam dann eine brillante Idee: Satelliten, die nicht nur fünf Programme ausstrahlen können, sondern 16. Zusammen mit drei skeptischen Ingenieuren der Luxemburger Post war ich dann einige Wochen in den USA, wo uns bewiesen wurde, dass die Technik sehr wohl umsetzbar war. Der amerikanische Promotor des Vorhabens fand aber keine privaten Investoren in Europa. Die Gesellschaften des Kontinents setzten weiterhin auf die alte, obsolete Technik.

Stimmte damals das ganze Land zu?

1984 fand ein böser Wahlkampf statt. LSAP-Spitzenkandidat Jacques Poos war gegen den Luxemburger Satelliten. Das Projekt war umstritten. Bei RTL machte man sich Sorgen um Arbeitsplätze. Sie machten massiv Propaganda gegen das CSV-DP-Projekt. Mit dem OGBL wurde sogar demonstriert. Schlussendlich kam es auch zu einem Koalitionswechsel: Projekt-Befürworter Jacques Santer (CSV) wurde Premier und Poos wurde Vize. Man einigte sich darauf, doppelgleisig weiterzumachen: Weiter mit Frankreich verhandeln und gleichzeitig das Luxemburger Projekt weiterverfolgen.

Jacques Santer hatte damit entschieden, 7,5 Prozent des Staatshaushaltes oder 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in ein kontroverses Start-up zu investieren

Doch ohne RTL kein Projekt …

Die ursprüngliche Idee, Luxemburg zu einer europäischen Medienmetropole mit Fernsehprogrammen für viele nationale Märkte zu machen, war nicht mehr möglich. Da RTL dagegen war, gab es keinen Projektträger mehr. Es wurde umgeplant: Luxemburg soll Standort zum Übertragen von nationalen Programmen aus ganz Europa werden.

Im Privatsektor wollten sich keine Geldgeber finden.

Laut unserer Rechnung würden wir langfristig für die erforderlichen Investitionen zehn Milliarden Franken benötigen. Die Regierung beschloss, über SNCI und Spuerkeess 20 Prozent am Kapital zu nehmen und wir schafften es, acht private Aktionäre zusammenzubringen, die jeder 30 Millionen Franken mitbrachten. Es gab viele Fragen zu klären: Gibt es genug Kunden? Wie ist es mit der Technik? Mit der Werbung? Und es hat geklappt. Zwar haben die großen strategischen Aktionäre, die wir als Alliierte wollten (beispielsweise Philips, Siemens, Paribas), nicht mitgemacht – doch wir erhielten Kapital aus Skandinavien und von Luxemburger Banken. Mit dazu zählten etwa die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, die BGL und die BIL. Die deutschen Finanzinstitute zeigten ihre Dankbarkeit gegenüber dem Staat Luxemburg.

Paul Zimmer (ganz rechts) bei einem Besuch vom deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl (M.) in Betzdorf
Paul Zimmer (ganz rechts) bei einem Besuch vom deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl (M.) in Betzdorf Quelle: Foto aus dem Buch „Die Astra-Story“ 

Wie groß war das Risiko für den Staatshaushalt?

In die am 1. März 1985 gegründete SES brachte der Staat (BCEE und SNCI) Risikomittel von einer Milliarde Franken ein, 20 Prozent des Kapitals. Fünf Milliarden wurden mit Bankkrediten, für die der Staat eine Garantie übernahm, finanziert. Der Staat trug in der kritischen Phase 60 Prozent des gesamten Risikos. Santer hatte damit entschieden, 7,5 Prozent des Staatshaushaltes oder 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in ein kontroverses Start-up zu investieren.

Ohne die Sperrminorität wäre die SES längst weg

Das war gewagt …

Nach dem Einbruch des Stahlsektors hatten wir etwas gebraucht, um unsere Wirtschaft neu zu erfinden und breiter aufzustellen. Der Stahlsektor war weg. Der SES-Erfolg verschaffte uns Sichtbarkeit in der Hightech-Welt, sogar in Übersee, und verhalf Luxemburg zu einem soliden Platz in den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnik.

Und dann klappte es. Ab dem ersten Tag war die SES ein wirtschaftlicher Erfolg.

Ja. Der Durchbruch kam 1987/88. In Großbritannien hatte sich Medientycoon Rupert Murdoch vergeblich um die nationale Satelliten-Konzession beworben. Dann entschied er, Astra zu benutzen. In der Folge machte British Telecom ein Gemeinschaftsunternehmen mit der SES in Großbritannien, um so ihre Monopolstellung zu halten. Das Monopolkartell von Eutelsat begann, auseinanderzubrechen.

Man war in Eile …

Für die vielen Probleme wurden nach und nach Lösungen gefunden, und auch im Ausland wurden Alliierte und Unterstützer gefunden. Plötzlich gab es Astra-Supporter, die die neu entstehende Medienvielfalt begrüßten. Damit alles schneller vorangeht, bestellte die Start-up-Gesellschaft einen bereits im Bau befindlichen Satelliten.

Dann entwickelte sich die SES zur Geldmaschine.

Noch bevor der Satellit betriebsbereit war, buchte Murdoch vier Kanäle (von 16 verfügbaren) für zehn Jahre. Dafür zahlte er im Voraus sogleich sieben Milliarden Franken. Da das Projekt insgesamt 8,5 Milliarden Franken gekostet hatte, wussten wir nun, wie enorm rentabel es werden wird. Die SNCI und die BCEE, wie auch die privaten Erstaktionäre, haben ihre Investitionen mehr als 30-fach zurückerhalten. Es war ein großes Risiko, aber auch sehr gewinnbringend. Der Staat hat es geschafft, einen neuen Wirtschaftsbereich aufzubauen: Ich würde sagen, dass dies auch der Ursprung des heutigen ICT-Sektors ist.

Die Börse irrt sich immer, mit grotesken Unter- und Überbewertungen

Was sagen Sie zur immer wiederkehrenden Kritik am staatlichen Einfluss bei SES?

Im Gegenzug für das übernommene Risiko sicherte sich der Staat 1985 besondere Stimmrechte. Es ist eine Giftpille gegen jede feindliche Übernahme. Die Idee war, die SES-Präsenz in Luxemburg dauerhaft sicherzustellen, im Gegensatz zu dem, was Luxemburg mit der RTL-Gruppe erleben musste. Ohne die Sperrminorität wäre die SES längst weg.

 Foto: Editpress/Alain Rischard

Es hat bereits mehrere Übernahmeversuche gegeben.

1991 versuchte die französische Aérospatiale, die SES unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie hatten bereits mit einer ganzen Reihe Aktionären geredet und ihnen satte Gewinnmargen versprochen. Schlussendlich hat Jacques Santer jedoch ein Machtwort gesprochen und über die staatlichen Aktionäre die Pläne vereitelt.

Ein paar Jahre später starteten die drei Medientycoons Murdoch-Berlusconi-Kirch einen anderen Versuch: Sie wollten ein Drittel der Gesellschaft kaufen und boten der SES viel Geld, um die vier nächsten Satelliten exklusiv allein nutzen zu können. Für das neue digitale Fernsehen hätten sie damit jeder von ihnen ein De-facto-Monopol auf seinem Markt geschaffen. Wieder war es Santer, der sein Veto eingelegt hat.

30 Jahre später war die Aktie auf einem Höhepunkt. Dann ging es abwärts. Wurde etwas falsch gemacht?

So ist das Wirtschaftsleben. Jedes Produkt altert. Wer sich nicht ständig neu erfindet, verliert an Gewicht. Das hat auch Luxemburg mit dem Finanzplatz lernen müssen. Die ursprünglichen monetären Gründe für das Entstehen der Eurobanken waren schon nach fünf Jahren nicht mehr da. Wir haben uns immer Gedanken darüber gemacht, was wir neu erfinden sollen. Die SES hat mit Fernsehen sehr viel Geld verdient. Heute ist TV jedoch ein Auslaufmodell. Die Wende hin zu Konnektivität und Netzwerken hat noch nicht den großen finanziellen Erfolg gebracht.

In meinem Buch äußere ich mich zur absurden Unterbewertung des SES-Börsenkurses, nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass die Börse sich immer irrt, mit grotesken Unter- und Überbewertungen. Spekulanten suchen nach potentiellen Kurssprüngen von 30 Prozent in einem Jahr – nicht nach einem stabilen Plus von 5 Prozent jedes Jahr. Immerhin ist nun, seit dem Erscheinen meines Buches, der SES-Kurs um über 60 Prozent angestiegen, wofür ich natürlich keine Verdienste beanspruche.

Leute zu entlassen, bringt nichts

Ein Kommentar zu den aktuellen Entlassungen?

Leute zu entlassen, bringt nichts. Das ist kontraproduktiv und verunsichert unweigerlich alle Mitarbeiter nur, demotiviert viele und bringt leicht die tüchtigsten dazu, sich nach einem respektvolleren Arbeitgeber umzusehen. Hinzu kommt, dass die Gehaltskosten bei den Ausgaben von einem Unternehmen wie der SES kaum ins Gewicht fallen.

Wird es der SES gelingen, Intelsat zu kaufen? Mit Blick auf die neue Machtsituation von Elon Musk.

Der Kauf wird die Größe der SES in jeder Hinsicht verdoppeln. Ich bin zuversichtlich, dass es klappen wird. Der Erhalt der Genehmigungen ist weitgehend abgeschlossen. Spannender wird es, zu sehen, wie es mit den staatlichen US-Aufträgen, militärisch wie zivil, weitergeht. Im Wesentlichen bietet die SES hier Dienste an, die Starlink nicht leisten kann.

Hätte die Luxemburger Politik auch heute noch den Mut, ein derartiges Projekt anzugehen?

Das ist schwer zu beurteilen. Santer hatte damals seine Karriere aufs Spiel gesetzt. Jedenfalls wird heute über unterschiedliche Fonds viel in neue Sektoren investiert. Was auch sicher ist, ist, dass die deutlich steigenden Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben viele neue Chancen bieten. Auch das europäische Projekt IRIS2 bietet große Chancen.

Der Autor: „Luxemburgs Mr. Satellite“

Der studierte Volkswirt Paul Zimmer ist seit nunmehr 13 Jahren in Rente. Seine Karriere begonnen hatte er in den Jahren 1973-83 bei der Luxemburger Finanzaufsicht „Commissariat au contrôle des banques“, heute CSSF. Hier hat er die Statuten der Vorgängerorganisation der Luxemburger Zentralbank, „Institut monétaire luxembourgeois“ (IML), mitgeschrieben und die einseitig beschlossene Abwertung des belgisch-luxemburgischen Frankens miterlebt. In solchen Krisenmomenten hatte ihn Premierminister Pierre Werner kennengelernt, der „mich gebeten hat, aus dem Bereich Finanzen in den Weltraum zu wechseln“. Mit 35, als „premier conseiller“ im Staatsministerium, wurde Paul Zimmer zu „Luxemburgs Mr. Satellite“. Um ihm Gewicht zu verleihen, wurde er Regierungskommissar bei der Spuerkeess. Nach der Weltraum-Karriere wechselte er noch zweimal den Beruf. Erst war er zehn Jahre (1993 bis 2003) Generaldirektor von Saint-Paul, damals Herausgeber des Luxemburger Wort, danach zehn Jahre (2003 bis 2013) Chefvolkswirt bei der Staatsbeamtengewerkschaft CGFP. Aktiv ist er auch weiterhin. Er ist Mitglied im Verwaltungsrat der staatlichen Luxemburger Entwicklungsbank SNCI und beschäftigt sich mit Lokalgeschichte und Genealogie.

Das Buch

Titel: Die Astra-Story; Autor: Paul Zimmer; Preis: 26 Euro; Verlag: Editions Schortgen; 328 S.; Erscheinungstermin: März 2025; Sprache: Deutsch; ISBN-13: 9782919792795

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 Foto: Editpress/Alain Rischard