Keine SelbstverständlichkeitDas ArcelorMittal-Stahlwerk Rodange hat seinen 150. Geburtstag hart erkämpft

Keine Selbstverständlichkeit / Das ArcelorMittal-Stahlwerk Rodange hat seinen 150. Geburtstag hart erkämpft
Entgegen aller Widrigkeiten hat das Werk von Rodange kürzlich feierlich seinen 150. Geburtstag feiern können – zu dem auch Großherozog Henri seine Glückwünsche (Mitte) mitbrachte Foto: ArcelorMittal

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Letzte Woche hat das ArcelorMittal-Werk in Rodange seinen 150. Geburtstag gefeiert. Dass es dazu kam, war keine Selbstverständlichkeit. Der Standort war mehrfach von der endgültigen Stilllegung bedroht, hat den Unwägbarkeiten der Geschichte aber standgehalten. Heute hat das Werk, mit der Herstellung hochwertiger Nischenprodukte, seinen Platz im Konzern gefunden. In die Zukunft schaut man mit Optimismus.

Eisenerz wurde in der Minett-Gegend bereits vor mehr als 2.000 Jahren von Kelten und Römern abgebaut und verarbeitet. In den Jahrhunderten danach ist in dieser Hinsicht jedoch nicht mehr viel passiert. Erst mit dem Bau von Schienennetzen, die den kostengünstigen Transport von Kohle und Stahl möglich machten, ist die Industrie im 19. Jahrhundert erneut richtig durchgestartet. Gleichzeitig hatte die Luxemburger Regierung entschieden, Konzessionen für den Abbau von Eisenerz zu erteilen, jedoch unter der Bedingung, dass die Transformation im Lande selber stattfindet.

Zu den bekannten Vorzeigewerken von ArcelorMittal in Luxemburg zählt Rodange nicht. Und dennoch: In dem Werk an der Grenze zu Belgien verfügt man über ein beachtlich breit gefächertes Fachwissen.
Zu den bekannten Vorzeigewerken von ArcelorMittal in Luxemburg zählt Rodange nicht. Und dennoch: In dem Werk an der Grenze zu Belgien verfügt man über ein beachtlich breit gefächertes Fachwissen. Foto: Editpress/Julien Garroy

In diesem Umfeld wurde, im Jahre 1872, die Gesellschaft „Hauts-Fourneaux de Rodange“ von dem irischen Eisenbahn-Ingenieur Thomas Byrne und den Brüdern Charles und Jules Collard gegründet. Ersterer brachte Grundstücke und Konzession in das neue gemeinsame Unternehmen ein – die beiden Brüder das notwendige Fachwissen und die industrielle Erfahrung.

Im Oktober 1874 war das Hüttenwerk Rodange bereit, mit der Produktion zu beginnen. Dennoch wurde der erste Hochofen erst 1878 in Betrieb genommen. Hintergrund war die damalige Wirtschaftskrise, die den Produktionsstart hinauszögerte. Die von Wien ausgehende Krise führte zu Hunderten von Bankpleiten, da Investoren zu viele Kredite in Immobilien investiert hatten. In der Folge kam es zu zahlreichen Unternehmensinsolvenzen. Gleich nach der Geburt hatte Rodange eine erste Krise somit erfolgreich überlebt.

Hart von Stahlkrise getroffen

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wuchs das Werk, mittels Fusionen und Investitionen, weiter. Um einige wichtige Meilensteine zu erwähnen: 1913 wurde ein fünfter Hochofen gebaut. Nach 1944 wurden die Anlagen wieder aufgebaut, die Gesellschaft in „Société anonyme minière et métallurgique de Rodange“ (MMR) umbenannt. 1969 wurde erstmals Gas als Energieform im Werk eingesetzt. 1972, beim 100. Geburtstag, war Rodange immer noch ein eigenständiges Unternehmen. 1973 wurden die Werke Rodange und Athus (Belgien) zusammengelegt und die „Métallurgique et Minière de Rodange Athus“ (MMR-A) gegründet. Zu seinen Glanzzeiten zählte der Standort etwa 5.000 Mitarbeiter.

Von der großen Stahlkrise Mitte der 1970er und 1980er Jahre wurde Rodange jedoch hart getroffen. Es ging Schlag auf Schlag. Rodange wird 1978 Teil der Arbed-Gruppe. Athus wird geschlossen. Hochofen, Bergwerke, Gießerei und Stahlwerk in Rodange werden stillgelegt. Doch das Werk überlebte. 1994 wird MMR-A mit dem Schifflinger Stahlwerk in einer Gesellschaft zusammengelegt und in „Aciéries Rodange/Esch-Schifflange“ (Ares) umbenannt. Als Teil der Arbed wurde das Werk 2003 Teil von Arcelor und 2006 Teil von ArcelorMittal.
Nachdem in der Folge der Finanzkrise von 2008 die Konjunktur eingebrochen war, und mit ihr auch die Nachfrage nach Stahl, wurde es erneut sehr eng für das Werk. 2011 wurde das Schwesterwerk in Schifflingen stillgelegt. An eine Zukunft für das kleine Werk Rodange glaubten nur noch wenige.

Spezialprodukte ersetzen Massenwaren

„Im Gegensatz zu Schifflingen werden im zweiten Werk von AMRS (ArcelorMittal Rodange & Schifflange), in Rodange, weiterhin Produkte hergestellt“, erklärte der damalige Direktor Roland Bastian im Februar 2013 in einem Gespräch mit dem Tageblatt. Das Werk stehe vor ernsthaften Herausforderungen. „Jeder Tag ist ein Kampf.“ Als Reaktion auf die eingebrochene Nachfrage war bereits vor zwei Jahren entschieden worden, das Produktionsvolumen zu verringern und nur noch Spezialprodukte herzustellen. Auf denen ist die Gewinnmarge höher als bei Massenwaren.

Doch „unser Problem ist das Volumen der Produktion“, so Roland Bastian in dem damaligen Gespräch weiter. „Unsere Produktvielfalt ist zwar eine Stärke, da wir aber von jedem Produkt nur wenig produzieren, müssen wir die Profile auf den Walzstraßen oft auswechseln“ – das kostet Zeit und Geld. Eine weitere Schwäche des Werks: Das Rohmaterial für die Produktion musste Rodange im Ausland, mit hohen Transportkosten, einkaufen. Dieses wird dann in einem Gasofen auf 1.300 Grad erhitzt, und auf den Walzstraßen geformt.

Management und Gewerkschaften Hand in Hand

Henri Reding, Chief Sustainability Officer bei „Luxembourg Produits Longs“<br />
Henri Reding, Chief Sustainability Officer bei „Luxembourg Produits Longs“
 Foto: Editpress/Alain Rischard

Doch die Pessimisten sollten Unrecht behalten. Heute ist das Werk immer noch aktiv. „Nach der Fast-Schließung im Jahr 2013 haben wir uns bewiesen“, so Henri Reding, von 2014 bis 2022 Direktor des Werks. „Wir haben gezeigt, dass man mit dem Team arbeiten kann. Wir haben die Qualität verbessert, das Kundenvertrauen gesteigert, und die Kosten gesenkt. Das hat dem Management Vertrauen in uns gegeben.“

Zur 150. Geburtstagsfeier kam Großherzog Henri nach Rodange. Und die Gewerkschaft OGBL meldete sich mit einer Pressemitteilung zu Wort: „Vor einigen Jahren wurde der Standort Rodange von einigen für tot erklärt, aber der OGBL hat nie aufgehört, an ihn zu glauben und zu kämpfen, um ihn zu dem zu machen, was er heute ist: ein Werk mit Zukunft“, so die Vertreter des Personals. „Wenn alle sagen, dass es vorbei ist, hat man nur zwei Möglichkeiten: den Niedergang zu begleiten oder mit allen Mitteln zu zeigen, dass der Standort noch lebensfähig ist. Wir haben uns für die zweite Lösung entschieden“, wird Michel Cougouille, damaliger Präsident der OGBL-Delegation des Standorts Rodange, zitiert.

Dass es schlussendlich zum Überleben des Werkes kam, ist eine Gesamtleistung aller Beteiligten, so Henri Reding letzte Woche im Gespräch mit dem Tageblatt weiter. „Eine Zusammenarbeit zwischen Management und Gewerkschaften, die in kritischen Situationen, Hand in Hand, das Werk vor einer Schließung bewahrt haben.“ Das Team von Rodange habe nie aufgegeben, auch nicht in schwierigen Zeiten. Es habe keine Anstrengungen gescheut – auch nicht, um neue Wege zu gehen.

200 unterschiedliche Produkte

Heute, rund zehn Jahre nach der letzten großen Krise, schaut das Werk wieder mit deutlichem Optimismus in die Zukunft. „Rodange hat seine Spezialität gefunden“, so Reding. „200 unterschiedliche Produktprofile anbieten, das kann nicht jeder. (…) Eine solche Vielzahl an Produkten zu entwickeln, lohnt sich nicht für jeden. (…) Doch damit sind wir immer auf einem Markt, der gut läuft.“

 Foto: Editpress/Julien Garroy

Aktiv ist das Werk mit seinen rund 230 Mitarbeitern heute in drei Produktfamilien. Das derzeit wichtigste Produkt sind Schienen. Sie stehen für fast die Hälfte der Produktion. Dazu zählen Schienen für Krane (etwa für Containerhäfen). „Wir bieten 28 verschiedene Arten an“, so Henri Reding. „Damit sind wir weltweit führend.“

In den letzten Jahren war die Produktpalette weiter ausgebaut worden: Seit 2016 sind auch Schienen für Straßenbahnen im Angebot. Beliefert wurde auch bereits Luxemburg-Stadt. 15 verschiedene Profile gibt es mittlerweile. „Innerhalb von kürzester Zeit sind wir so zur Nummer zwei in Europa in diesem Bereich geworden“, so Reding. „Zudem finden wir immer neue Anwendungen für unsere Schienen – etwa für ein schließbares Dach über dem Center Court des Tennisstadions Roland Garros in Paris.

Die zweite Produktfamilie, die in Rodange hergestellt wird, sind Winkel und U-Eisen. Diese werden z.B. benötigt, um Gittermasten für Stromleitungen zu errichten. „Wir machen hier die ganz großen“, so Reding. „Davon gibt es nur zwei Hersteller in der Welt, Rodange und Hyundai in Korea. Zu den wichtigsten Kunden dieser Produktklasse zählt Deutschland, wo aktuell eine Stromtrasse gebaut wird, um die Windenergie aus der Nordsee nach Süden zu transportieren. U-Eisen werden beispielsweise zur Stützung der Wand der Baugrube beim Bau eines Hochhauses genutzt, oder als Stahlgerüst, um alte Fassaden zu stützen.

 Foto: Editpress/Julien Garroy

Die dritte Produktfamilie sind sogenannte „Spezialprofile“. Früher wurden Minen-Stützen hergestellt. Heute sind es Kathodenstahl (stromleitende Balken aus Stahl, die in Aluminiumwerken zum Einschmelzen des Metalls genutzt werden) und Raupenprofile (Raupenketten für den Maschinenbau, etwa für Bagger).

„Die Zukunft strahlt hell“

Auch ist Rodange nicht mehr ein allein stehendes Werk. Seit dem ersten April dieses Jahres sind die Werke von ArcelorMittal in Rodange, Differdingen und Esch-Belval zu einer Einheit („Luxembourg Produits Longs“) zusammengelegt worden. Unter einer gemeinsamen Direktion und einer Verwaltung. Die neue Einheit besteht somit aus zwei Stahlwerken (Differdingen und Esch-Belval) und vier Walzwerken (eins in Rodange, eins in Differdingen und zwei in Esch-Belval). Esch-Belval ist auf kleine Träger und auf Spundwände spezialisiert, Differdingen auf große, sogenannte Grey-Träger, und Rodange auf viele unterschiedliche Nischenprodukte.

Für das kleinste der drei Werke, Rodange, ist diese Entwicklung überaus wichtig. Zu dem Plan der Zusammenlegung zählen nämlich auch kräftige Investitionen. Besonders die in Esch-Belval sind für Rodange wichtig. Mittelfristig werden sie dazu führen, dass Rodange seine Rohstoffe künftig nicht mehr aus weit entfernten Werken in Polen und Deutschland beziehen muss. Spätestens 2030 soll all der zur Produktion in Rodange benötigte Stahl (mit den unterschiedlichen benötigten Qualitäten) aus Belval kommen. Die Transportkosten werden demnach erheblich fallen.

Zusammen „sind wir jetzt ein großes Werk“, so Reding. „Und die Standorte ergänzen sich gegenseitig. (…) Wir stehen sehr gut da für die Zukunft. Mit Massen- und Nischenprodukten. Die Zukunft strahlt hell.“
Auch in Rodange selber wird investiert. Dazu zählen unter anderem Projekte, um die Qualität und die Effizienz der Herstellung zu steigern. Zudem wird aktuell an einem Ausbau im Bereich der Schienen gearbeitet. Eine Halle auf dem Werksgelände wird umgebaut, um die Tramschienen so fertig machen zu können (biegen, schneiden, bohren, lackieren und vormontieren), dass sie gleich von hier aus geliefert und direkt auf die Straße gelegt werden können.

Von Schließung und Stilllegung ist heute keine Rede mehr. In der Pressemitteilung der ArcelorMittal-Gruppe zum Geburtstag wird Rodange als „eines der wesentlichen Räder im industriellen Gefüge der Gruppe in Luxemburg“ bezeichnet.

 Foto: Editpress/Julien Garroy
Zu den bekannten Vorzeigewerken von ArcelorMittal in Luxemburg zählt Rodange nicht. Und dennoch: In dem Werk an der Grenze zu Belgien verfügt man über ein beachtlich breit gefächertes Fachwissen.
Zu den bekannten Vorzeigewerken von ArcelorMittal in Luxemburg zählt Rodange nicht. Und dennoch: In dem Werk an der Grenze zu Belgien verfügt man über ein beachtlich breit gefächertes Fachwissen. Foto: Editpress/Julien Garroy
 Foto: Editpress/Julien Garroy
 Foto: Editpress/Julien Garroy
 Foto: Editpress/Julien Garroy

Grober J-P.
10. Oktober 2022 - 9.47

"Spätestens 2030 soll all der zur Produktion in Rodange benötigte Stahl (mit den unterschiedlichen benötigten Qualitäten) aus Belval kommen." Warum soooo lange? AES ist damals auch an der Qualität des "fremd" gelieferten Stahls zu Grunde gegangen.