Relevant (6): BestatterinEin Leben mit dem Tod

Relevant (6): Bestatterin / Ein Leben mit dem Tod
Sandra Bous ist Bestatterin in Diekirch Foto: Cédric Feyereisen

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Sich in Krisenzeiten durch Auszeiten oder Heimarbeit schützen, das geht nicht in jedem Beruf. Wir haben uns in der Serie „Relevant“ mit „Helden des Alltags“ unterhalten, die immer auf Posten sein müssen – oft, ohne dass der Öffentlichkeit das richtig bewusst ist. Als Bestatterin der „Pompes funèbres Bous-Goergen“ in Diekirch muss Sandra Bous (32) Hinterbliebene täglich auf dem schwierigsten Weg ihres Lebens begleiten. Zwischenmenschliche Kontakte sind dabei Voraussetzung.

Tageblatt: Einfach aus Neugierde, Frau Bous: Wie nennen Sie Ihren Beruf?

Sandra Bous: Früher ging immer vom „Schräiner“ die Rede oder vom „Doudegriewer“. Diese Bezeichnung wird auch heute noch gerne genutzt, auch wenn sie nicht mehr passt. Auf meinen Vater, der Jahrzehnte lang Löcher auf dem Friedhof ausgehoben hat, trifft sie noch zu. Doch was wir heute tun, ist weitaus mehr. Eigentlich gibt es keinen richtigen Begriff im Luxemburgischen. Am Telefon benutze ich „Pompes funèbres“ oder Bestatter.

Nur die wenigsten Kinder träumen davon, Bestatter zu werden. Wie kommt man eigentlich dazu, Menschen zu beerdigen?

Über die Familie. Mein Vater war lange Totengräber für die Stadt Diekirch und hat eng mit dem örtlichen Bestatter zusammengearbeitet. Als Pflegerin wurde auch meine Mutter regelmäßig mit dem Tod konfrontiert. Ich bin mit dem Thema aufgewachsen, meine Eltern haben mich glücklicherweise nie davor abgeschirmt. 2004 haben sie das Bestattungsinstitut von Erny Schaack übernommen, sieben Jahre später bin ich hinzugestoßen. 2013 habe ich mich dann auch offiziell im Betrieb engagiert.

War Bestatterin Ihre erste Wahl?

Eigentlich wollte ich Krankenschwester werden. Da meine Eltern aber über die Jahre auch mit Bekannten zu tun hatten, habe ich mich mehr mit dem Beruf befasst. Und wenn man älter wird, lernt man, die Dinge auch von einer anderen Seite zu betrachten. Ich habe diese Wahl nie bereut.

Sie werden täglich mit Tod und Trauer konfrontiert. Wie geht man damit um?

Besonders am Anfang war es nicht leicht. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich zunächst einen anderen Pfad einschlagen wollte. Ich hatte damals einen guten Schulfreund verloren, was mich etwas aus der Bahn geworfen hat. Bis heute ist der Tod nicht zur Routine geworden. Das wird auch nie eintreffen. Doch man lernt, mit dem Thema umzugehen und den Tod als Teil des Lebens zu betrachten. Dabei hilft der Glaube. Und ein intaktes Familienleben.

Hilft es, dass Sie in einem Familienunternehmen arbeiten?

Ein guter sozialer Hintergrund ist das beste Fundament. Die familiäre Atmosphäre in unserem Betrieb hilft in schwierigen Momenten. Wir reden viel miteinander. Wenn es zu persönlich wird, kann man die Arbeit auch mal an Kollegen abgeben. Natürlich gibt es Momente, in denen die Tränen kullern. Das ist normal, schließlich handelt es sich um eine ganz emotionale Angelegenheit: Wir helfen Menschen, den wohl schwierigsten Weg ihres Lebens zu beschreiten.

Relevant – Die Serie

Das Coronavirus hatte Auswirkungen auf fast jeden Beruf in unserer Gesellschaft. Einige dieser Jobs standen weniger im Fokus der Öffentlichkeit. Und trotzdem waren auch sie auf eine gewisse Weise „relevant“. Was macht diese Berufe aus – und die Menschen, die sie ausüben? Für unsere Serie „Relevant“ haben wir uns mit ihnen unterhalten.

Was geht am meisten an die Substanz?

Bei jungen Kunden ist es immer etwas schwieriger. Mich berührt vor allem aber, wenn sich die Hinterbliebenen keinen Rat mehr wissen. Oft wissen die Betroffenen nicht, was erlaubt ist und wie weit sie überhaupt gehen dürfen. Wir versuchen ihnen den Abschied dann so angenehm wie möglich zu gestalten.

Für viele Menschen sind Sie die erste Anlaufstelle in einem der dunkelsten Momente ihres Lebens. Wie bereitet man sich auf diese Begegnung vor?

Manche Kollegen absolvieren zusätzliche Ausbildungen im Ausland. Hierzulande aber kann man den Beruf nicht über den normalen Bildungsweg erlernen, weil der Berufsstand noch immer nicht offiziell anerkannt ist. Ich habe von den Erfahrungen meiner Eltern gelernt. Und was den psychologischen Teil angeht, kann ich auf die meiner Schulung als Krankenschwester zurückgreifen. Was man nicht lernen kann, ist der Umgang mit Menschen in unterschiedlichen Situationen. Nicht jeder reagiert gleich. Manche weinen, andere lachen. Und es gibt Menschen, die in ihrer Trauer recht aggressiv werden …

Sie sind also Schreinerin, Kauffrau, Kosmetikerin, Psychologin …

Und Fotografin, Djane, Eventmanager, Nachlassberaterin … Wir unterstützen die Hinterbliebenen bei den Behördengängen und erklären, welche Prozeduren zu beachten sind. Wir sind Trauerbegleiter und Seelsorger, bieten den Menschen ein offenes Ohr. Und wir versuchen, auch außergewöhnliche Wünsche so weit es geht zu erfüllen.

Können sie uns Beispiele nennen?

Es kommt immer öfter vor, dass Hinterbliebene die Bestattung bis ins letzte Detail filmen wollen. Das geht von der Abschiedsnahme bis zur eigentlichen Bestattung. Das entspricht wohl dem allgemeinen Trend heutzutage, alles in Ton und Bild festhalten zu wollen.

Wie hat sich der Beruf sonst noch im Laufe der Jahre verändert?

 Foto: Cédric Feyereisen

Früher haben sich die Hinterbliebenen um alles gekümmert, heute übernehmen wir, falls nötig, sämtliche Prozeduren. Auch trauen sich die Leute heute mehr. Das geht von speziellen Urnen, über ausgefallene Blumenarrangements bis hin zum Dekor mit Bildern der Verstorbenen und anderen Details. Die Hinterbliebenen wollen ihren Liebsten einen möglichst individuellen Abschied bieten. So traurig eine Bestattung auch ist: Sie soll einen positiven Eindruck hinterlassen. Die Trauernden sollen sich ganz auf die Abschiedsnahme konzentrieren können.

Wo ziehen Sie im täglichen Umgang mit Tod und Trauer die Grenze?

Wenn man das Gefühl hat, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das ist mir dieses Jahr nach dem Verlust eines guten Freundes zum ersten Mal passiert. Ich musste die Bestattung an Mitarbeiter abgeben. In solchen Momenten ist man dankbar für gute Mitarbeiter, den Rückhalt der Familie und die Unterstützung des Partners.

Und doch hat der Beruf auch schöne Seiten?

Auch wenn Ihre Leser jetzt staunen: Mir macht der Beruf Spaß! Ich liebe es, neue Kontakte zu knüpfen. In ihrer Trauer und Verletzlichkeit lernt man die Menschen von einer ganz anderen, persönlicheren Seite kennen. In manchen Fällen wird man sogar als Teil der Familie wahrgenommen. Aus Kunden werden gute Bekannte, die beim nächsten Sterbefall wieder auf uns zurückgreifen und wissen, dass sie sich nicht verstellen müssen. Bei uns können sie sich gehen lassen. Wir fangen sie auf.

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