Tageblatt: Herr Spautz, nach der Sozialrunde ist vor den nächsten Diskussionen. Ist der soziale Frieden Ihrer Meinung nach wiederhergestellt?
Marc Spautz: Das werden wir in den nächsten Tagen und Stunden erfahren. Die Gewerkschaften haben angekündigt, dass sie ihre Mitglieder und ihre Basis zusammenrufen. Erst wenn die Gewerkschaften ihre Beratungen abgeschlossen haben, wissen wir, ob der Sozialdialog im Land wieder funktioniert oder nicht.
Sie haben als ehemaliger Gewerkschafter auch noch nicht mitbekommen, wie die Sachlage aussieht?
Nein. Soweit ich weiß, beraten sich die verschiedenen Gremien der Gewerkschaften heute erst mal. Mehr kann ich dazu auch noch nicht sagen.
Dadurch, dass keine Einigung während der Sozialrunde zustande kam, überlässt die Regierung den Gewerkschaften die Initiative. War das nicht ein strategischer Fehler?
Das kann ich nicht beurteilen. Die Regierung hat während der Sozialrunde festgestellt, dass keine Einigung möglich war. Deswegen hat sie entschieden, auf den drei Punkten (Kollektivverträge, Rentenreform, Öffnungszeiten im Handel während der Woche und am Sonntag; Anm. d. Red.) das vorzulegen, was wir nun kennen. Das wird jetzt im Parlament diskutiert. Ein Teil der Diskussionen wird ja in das „Comité permanent du travail et de l’emploi“ (CPTE) verlegt. Da müssen wir jetzt vorankommen, weil auch in anderen Dossiers, die nicht Bestandteil der Sozialrunde waren, wie beispielsweise dem der CNS, Handlungsbedarf besteht.
Sie haben das CPTE angesprochen. In der Frage der Kollektivverträge hat die Regierung einlenken müssen, bei der Arbeitszeitorganisation beginnen die Verhandlungen von vorne und Wirtschaftsminister Lex Delles wird künftig ebenfalls an den Diskussionen teilnehmen. Muss man das nicht als Missbilligung der bisherigen Arbeit von Arbeitsminister Georges Mischo lesen?
Ich erinnere mich an eine Zeit, als zwei bis drei Minister im CPTE teilgenommen haben. Deswegen würde ich das nicht unbedingt als „Désaveu“ lesen. Jeder betroffene Minister sollte sofort Bescheid wissen – egal ob das jetzt die wirtschaftliche, arbeitsrechtliche oder soziale Dimension betrifft.

Was die Anzahl der Minister anbelangt, vielleicht nicht unbedingt. Inhaltlich muss Arbeitsminister Mischo jedoch das zurückziehen, was er vorgeschlagen hat.
Soweit ich das verstanden habe, hat Arbeitsminister Georges Mischo lediglich eine Diskussion angestoßen. Es wurde ja auch in der Chamber eine Motion angenommen, laut der die Exklusivität der Gewerkschaften bestehen bleibt. Und auch die Regierung hat jetzt noch einmal bestätigt, dass sich am Kollektivvertragsgesetz nichts ändern wird und im CPTE über die Arbeitszeitorganisation diskutiert wird. Ich denke, dass hierin die Chance besteht, eine neue Dynamik zu entfachen – wobei das natürlich von dem abhängt, was die Gewerkschaften entscheiden.
Reichen die nun vorgelegten Vorschläge, um den sozialen Flügel der CSV wieder hinter der Regierung zu vereinen? In den vergangenen Monaten wurde, unter anderem auch von Ihnen, deutlich kommuniziert, dass die Regierungsmehrheit in der Chamber kippen könnte.
Besonders in puncto Sonntagsarbeit hat sich die Regierung doch um einiges bewegt. Ja, es gibt noch Unterschiede zwischen den verschiedenen Verhandlungspartnern, doch ich bin der Meinung, dass der jetzige Vorschlag, das über Kollektivverträge zu handhaben, von einer Mehrheit gestimmt werden kann. Einige Experten bescheinigen, dass dieses Gesetz einen wirtschaftlichen Wiederaufschwung zur Folge hat. Auch das werden wir im Blick behalten.
Die Gewerkschaften meinen, dass das Tripartite-Modell in Luxemburg tot sei. Sehen Sie das ähnlich?
Ich hoffe, dass dies nicht der Fall ist. Seit den 70er Jahren haben wir im Tripartite-Modell viel erreicht. In der Geschichte der Tripartite ist es bereits vorgekommen, dass die Politik, die Regierung mit Parlament, entschieden hat, dass sie die alleinige Verantwortung übernehmen muss. Es wäre jedoch nicht von Vorteil für den Standort Luxemburg – auch wenn die Sozialrunde nun dieses Ende gefunden hat –, wenn das Tripartite-Modell hinfällig sei.
Patrick Durys Apartheid-Rhetorik wurde in den vergangenen Monaten viel kritisiert. Nach dem Ende der Sozialrunde hat UEL-Präsident Michel Reckinger erklärt, dass er mit dem sozialen Flügel der CSV „Gott sei Dank“ nichts zu tun hat. Wie reagieren Sie auf diese Aussage?
Die UEL konnte sich historisch gesehen glücklich schätzen, dass es den sozialen Flügel der CSV gegeben hat. Wenn Michel Reckinger das so sagt, weiß jeder, wo er jetzt steht. Ich will mich nicht weiter dazu äußern – jedoch hat nicht zuletzt das Tageblatt bereits einen Artikel publiziert, der etwas näher auf die Äußerungen von Michel Reckinger gegenüber der Presse und den Gewerkschaften eingeht.
Ich würde das nicht unbedingt als „Désaveu“ lesen
Ein großer Punkt der bisherigen Sozialrunde war natürlich die Rentenreform. Sind Sie einverstanden mit der Aussage von Vizepremierminister Xavier Bettel, dass die Regierung kein Mandat für eine Reform hat?
Das Wichtigste ist, was im Koalitionsprogramm steht und dass wir die Renten absichern können. Im Reformpaket sind Maßnahmen enthalten, die es uns erlauben, die kritischen Stichdaten um vier bis fünf Jahre – je nach ökonomischer Lage – zu verschieben. Obwohl eine Beitragserhöhung beschlossen wurde, bleibt die Jahresendzulage bestehen. Das ist vorerst eine gute Sache, löst das Problem aber nicht auf lange Zeit. Jetzt braucht es Ideen, damit nachher jeder weiß, wie es weitergeht. Für mich gibt es aber noch einen wesentlichen Punkt. Dadurch, dass keine Erhöhung der Mindestrente beschlossen wurde, muss das Renten-Reformpaket zusammen mit dem Nationalen Aktionsplan zur Armutsprävention und -bekämpfung diskutiert werden. Die Schere zwischen Arm und Reich riskiert sonst immer weiter auseinanderzugehen. Das ist mir persönlich sehr wichtig, um zu verhindern, dass immer mehr Menschen mit weniger als dem Existenzminimum klarkommen müssen.
Die Regierung hat gemerkt, dass die Menschen nicht zufrieden mit ihren Vorschlägen waren
Noch mal zum Argument des Mandates: Es wurde mehrfach behauptet, dass keine Partei eine Rentenreform im Parteiprogramm stehen hatte. Auf Seite 15 des CSV-Wahlprogramms stehen jedoch ebenso wie im DP-Wahlprogramm einige Absätze zum Rentensystem drin. Interessanterweise steht in dem Absatz, dass zusammen mit den Sozialpartnern nach Lösungen für langfristige Lösungen aufgrund eines langfristigen Handlungsbedarfs gesucht werden soll. Kann man daraus nicht etwa ein Mandat für eine Rentenreform ableiten?
Es gibt gewisse Unterschiede bezüglich dessen, was bei uns im Wahlprogramm und im Koalitionsprogramm der Regierung steht. Für uns ist es wichtig, dass wir das zusammen mit den Sozialpartnern diskutieren. Das ist auch der Grund, weswegen ich es bedauere, dass keine Einigung gefunden werden konnte. „Mir musse lo net laang ronderëm de Bräi schwätzen“: Wir haben jetzt vier bis fünf Jahre Zeit gewonnen. Danach muss über eine grundlegende Reform diskutiert werden. Es sei denn, diejenigen, die dann das Regierungsheft in der Hand halten, entscheiden sich dafür, erneut nur vier bis fünf Jahre herauszuschlagen. Im März hat es bereits eine Debatte in der Chamber gegeben, wo sich jede Partei positioniert hat. Nun gibt es noch weitere Details – und ich bin gespannt, ob diejenigen, die sich jetzt am lautesten zu Wort melden, die Vorschläge auch in ihr jeweiliges Wahlprogramm schreiben.

Dann stellt sich jedoch die Frage, was die Konsultationskampagne „schwätzmat.lu“ sollte?
Ich glaube nicht, dass die Kampagne ein Fehler war. Nicht zuletzt konnten die Parteien ihre Vorschläge präsentieren und durchrechnen lassen, bevor sie in der Chamber diskutiert wurden. Aufgrund der gewerkschaftlichen Aktionen aber konnte die Regierung nicht mehr so weit gehen wie ursprünglich geplant. Die Regierung hat gemerkt, dass die Menschen nicht zufrieden mit ihren Vorschlägen waren. Deswegen hat sie ja bei den Renten und auch bei der Sonntagsarbeit und den Ladenöffnungszeiten eingelenkt. Die Regierung hat auch bei den Renten auf die Menschen und die Sozialpartner gehört und eher kurzfristige Änderungen als grundlegende Reformen geplant.
Dazu muss man jedoch anmerken, dass die Demonstranten sich vor allem an der Art und Weise und nicht unbedingt an der Zielsetzung der Reform störten. Dass eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit um fünf Jahre im „Etat de la nation“ dekretiert wurde, war eher Anstoß des öffentlichen Ärgernisses als das Ziel, das Rentensystem auf 15 Jahre hin abzusichern.
Ich habe mir mittlerweile einige Äußerungen zu den Verhandlungen angehört. Laut CGFP-Präsident sei in der Sozialrunde nicht wirklich verhandelt worden. Ich kann mich dazu nicht äußern, da ich nicht anwesend war. Sie haben als Journalist mehr aus dem Verhandlungsraum mitbekommen als ich. Ich kenne letzten Endes nur das Resultat.
Gibt es bereits einen Zeitplan, wie die kommenden Reformarbeiten abgehandelt werden sollen?
Nein, das Detail fehlt bisher noch. Wichtig ist, dass die beiden Gesetze zur Sonntagsarbeit und den Ladenöffnungszeiten parallel vorgelegt und diskutiert werden können.
Wenn Michel Reckinger das so sagt, weiß jeder, wo er jetzt steht
Sam Tanson, Sprecherin der politischen Sensibilität von „déi gréng“, hat Bedenken geäußert, inwiefern die arbiträre Grenze von 30 Arbeitnehmern, ab denen ein Kollektivvertrag zur Regelung der Sonntagarbeitszeit nötig sein soll, begründet werden soll.
Wie das argumentiert werden soll, kann ich nicht sagen, da es ein Mittelwert zwischen 15 und 50 zu sein scheint – Werte, die jeweils gesetzlich geregelt sind. Bis das Gesetzesprojekt vorliegt, kann ich jedoch nicht sagen, wie die Regierung das begründen will.
Welche Prioritäten sehen Sie für die kommende Rentrée?
Für die CSV ist es wichtig, dass die Sozialpartner auf den gesundheitspolitischen Dossiers, darunter dem der CNS, vorankommen. Dann steht noch die von Finanzminister Gilles Roth angekündigte Steuerreform ins Haus. Nicht zu vergessen natürlich das Budget, ohne das nichts geht. Die großen Reformen sollten bis spätestens 2026 durch sein, da die Reformfreudigkeit bekanntermaßen langsam abnimmt. Selbstverständlich müssen wir auch im Bereich des Logement und der Mobilität vorankommen. Das ist angesichts der zahlreichen Grenzpendler auch eine Frage des Wirtschaftsstandortes Luxemburg. Und natürlich müssen wir dafür sorgen, dass der Finanzplatz, der – entschuldigen Sie den Wortlaut – die Milchkuh der Luxemburger Wirtschaft ist, attraktiv bleibt.
Logement, Mobilität, Renten- und Steuerreform. Das alles kumuliert in der Frage des Wachstums. Wurde es in der Sozialrunde nicht eventuell verpasst, über das Luxemburger Wachstumsmodell zu diskutieren? Oder meinen Sie, dass das getrennt diskutiert werden sollte?
Für mich ist das eine separate Diskussion. Die Sozialrunde hat sich bestimmte Regeln gegeben und wurde dementsprechend auch nicht Tripartite genannt. Premierminister Luc Frieden hat versucht, verschiedene festgefahrene ‚Pisten‘ wieder zu lösen. Deswegen wurde auch nur über diese einzelnen Punkte diskutiert. Es ist jedoch unausweichlich, dass über das Wachstum diskutiert wird – zusammen mit den Sozialpartnern, weil das ganz konkrete Auswirkungen haben könnte. Ich plädiere für eine große Debatte, um die Meinungen klar herauszustellen. Wachstum bedeutet schließlich mehr Einnahmen auf der einen Seite, bringt auf der anderen Seite aber auch Probleme mit sich.
Meinen Sie, dass die Sozialpartner nach dieser Sozialrunde, unter diesem Premierminister noch einmal zusammenfinden, um über diese Themen zu diskutieren?
Ich würde es mir auf jeden Fall wünschen, weil diese Themen sowohl Auswirkungen in den Unternehmen als auch auf sozialer Ebene haben.

 
		    		 De Maart
                    De Maart
                
 
                               
                           
                           
                           
                           
                           
                           
                          
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können