LuxemburgBürokratie bei der Flüchtlingshilfe: „Wir dachten, dass es weniger lange dauert“

Luxemburg / Bürokratie bei der Flüchtlingshilfe: „Wir dachten, dass es weniger lange dauert“
Die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine ist auch in Luxemburg groß: Rund 1.500 Haushalte haben sich registriert, um Schutzsuchende bei sich aufzunehmen Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Mehr als 5,2 Millionen Menschen haben laut dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR seit dem 24. Februar die Ukraine verlassen, um im Ausland Schutz zu suchen. Auch in Luxemburg wird seitdem daran gearbeitet, Geflüchtete so gut es geht zu empfangen. Und doch gehört Geduld gerade in den ersten Wochen nach der Ankunft im Großherzogtum zum Alltag vieler Flüchtlinge wie ihrer Gastfamilien dazu. 

Fast neun Wochen sind es her, dass Russland den militärischen Angriff auf die Ukraine gestartet hat und immer mehr Menschen bringen sich seitdem im Ausland in Sicherheit. Insgesamt 4.976 Menschen aus der Ukraine (Stand: 21. April) haben in Luxemburg einen Antrag auf vorübergehenden Schutz gestellt. Einmal im Großherzogtum angekommen, kommen sie in Flüchtlingsstrukturen oder bei Menschen zu Hause unter. Denn viele Bürgerinnen und Bürger haben sich dazu bereit erklärt, ukrainische Staatsangehörige aufzunehmen.

Die freiwilligen Helferinnen und Helfer von „LUkraine“ sind tagtäglich im Informationszentrum in Rollingergrund mit Flüchtlingen in Kontakt – und merken dabei, dass nicht immer alles rundläuft
Die freiwilligen Helferinnen und Helfer von „LUkraine“ sind tagtäglich im Informationszentrum in Rollingergrund mit Flüchtlingen in Kontakt – und merken dabei, dass nicht immer alles rundläuft Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Gastfamilien können sich seit Anfang März bei einer von der Caritas oder Croix-Rouge luxembourgeoise betreuten Hotline registrieren und sollen eigentlich nach dem Ausfüllen eines Formulars von den Hilfsorganisationen für einen Kennenlerntermin kontaktiert werden. Doch damit scheint es nur langsam voranzugehen – wie der Präsident der Vereinigung „LUkraine“, Nicolas Zharov, im Gespräch mit dem Tageblatt bemängelt. Der gemeinnützige Verein steht Flüchtlingen in einem Informationszentrum in Rollingergrund bei Fragen zur Seite und ist tagtäglich mit Menschen aus der Ukraine in Kontakt. „Wir sind enttäuscht, denn es wurde viel Zeit vergeudet“, sagt Nicolas Zharov über die anstehenden Prozeduren, wenn Geflüchtete aus den Auffangstrukturen in Privathaushalte umziehen. 

Denn obwohl bereits Anfang März viele ihre Bereitschaft signalisiert haben, Menschen bei sich aufzunehmen, hätten erste Umzüge erst einen Monat später stattgefunden. Dass es bis zu einer Rückmeldung von offizieller Seite in der Tat dauern kann, zeigt das Gespräch mit Catherine Grandjean aus Oetringen. Anfang März entschied sie zusammen mit ihrem Mann, mehrere Zimmer in ihrem Haus zur Verfügung zu stellen. „Wir füllten das Formular aus und bekamen während drei Wochen keine Antwort“, beschreibt Catherine Grandjean, was in vielen zur Aufnahme bereiten Haushalten auch aktuell noch für leichte Verwunderung sorgt. 

Warten auf Rückmeldung

In der Zwischenzeit hatte sich ein Bekannter aus der Nachbarschaft gemeldet und gefragt, ob das Ehepaar eine Frau mit ihren zwei Kindern aus der Ukraine aufnehmen wolle. Diese Familie zog am 21. März ein. Erst einen Monat später stattete die Caritas der Familie Grandjean einen Besuch ab – nachdem die gewissenhafte Dame des Hauses dreimal nachgehakt hatte. „Ich hatte den Eindruck, dass sie einfach sehr viel um die Ohren haben.“ In einem anderen Fall erzählt eine Gastfamilie dem Tageblatt, dass der Termin mit dem Roten Kreuz erst an diesem Freitag stattfinden wird. Das, obwohl eine Ukrainerin auf private Initiative hin zu dem Zeitpunkt bereits seit mehr als sechs Wochen bei der Familie in Luxemburg lebt und der Haushalt sich vor acht Wochen registriert hat. Laut Nicolas Zharov habe „LUkraine“ den Hilfsorganisationen Unterstützung angeboten, aber: „Bis auf einige Kontakte kam da nicht wirklich viel zurück.“

Dabei zeigt der Blick auf die Zahlen: Caritas und Rotes Kreuz haben noch viel Arbeit vor sich. Denn rund 1.500 Haushalte sind bereit, Flüchtlinge in gemeinsam genutzten Häusern sowie Wohnungen oder auch separaten Unterkünften unterzubringen. Rund 700 davon übernimmt die Caritas – um die bei der Anmeldung angegebenen Informationen zu überprüfen und die Aufnahmefamilien kennenzulernen. Rund 305 Haushalte (Stand 25. April) wurden seit Anfang März von der Hilfsorganisation besucht. Ein Großteil der ersten Umzüge fand erst vergangene Woche statt: 60 Menschen sind so in privaten Haushalten untergekommen. Dass Bewohner und Gäste gut zusammenpassen, sei wichtig. „Es wäre traurig, wenn die Menschen nach einigen Wochen wieder zurück oder zu einer anderen Familie müssten. Die Flüchtlinge brauchen Stabilität“, erklärt man bei der Kommunikationsstelle der Caritas.

Das Rote Kreuz ist für die Besuche von 730 Haushalten zuständig. „Nach und nach“ sollen diese laut der Kommunikationsabteilung der „Croix-Rouge“ wahrgenommen werden. Konkret bedeutet dies, dass bis vergangene Woche rund 110 Treffen stattgefunden haben. Wie viele Umzüge es gab, will man bei der Hilfsorganisation nicht verraten. Es seien „wenige“, allerdings sollen es diese Woche und vor allem in den kommenden mehr werden. Bis vergangene Woche gab es von 60 der 110 besuchten Haushalten eine feste Zusage für die Aufnahme von Menschen aus der Ukraine. Denn wie man beim Roten Kreuz erklärt, wird bei diesen Treffen auch mit den Aufnahmefamilien über ihr Engagement gesprochen. Die Länge des Aufenthalts, aber auch mögliche Traumata der Gäste sind dabei Thema. Nach diesen Treffen müssen die Familien ihre Bereitschaft noch einmal bestätigen.

Lange herbeigesehnter Tag

Ein Umzug erfolgt laut „Croix-Rouge“ nur dann, wenn die Menschen aus der Ukraine nach einem Antrag beim Außenministerium den Status auf temporären Schutz erhalten haben. Und auch das kann aktuell dauern. Von 4.976 Antragstellern haben laut Ministerium bisher 2.237 diesen Status erhalten – also weniger als die Hälfte. Allerdings umfasst diese Zahl beispielsweise auch Antragsteller, die das Formular auf vorübergehenden Schutz zwar angefragt haben, sich allerdings noch nicht im Großherzogtum befinden und somit noch keinen Termin beim Ministerium wahrnehmen konnten. 

Bei der ukrainischen Familie, die in Oetringen bei Catherine Grandjean lebt, sind zwischen dem Ausfüllen des Antrages und dem Termin bei den zuständigen Behörden drei Wochen vergangen. „Noch am selben Tag oder am Tag danach hatten sie den Status. Wir hatten Glück, es hat nicht zu lange gedauert“, stellt Catherine Grandjean fest. Anders sah es bei zwei ukrainischen Familien aus, die ebenfalls in Oetringen bei der Familie Kolber-Heuertz und in Contern bei der Familie Kolber-Thomé untergekommen sind: Am 15. März füllten beide Familien – eine Mutter mit ihren zwei Söhnen sowie eine Mutter mit ihrem fünf Monate alten Baby – einen Antrag auf temporären Schutz aus.

„Seit diesem Zeitpunkt fragten unsere Gäste uns fast jeden Tag, wann sie einen Termin beim Ministerium erhalten. Wir haben in den letzten Wochen ein paar Mal versucht, da anzurufen und wurden immer wieder vertröstet“, heißt es von den Aufnahmefamilien. Nach mehr als einem Monat kam dann endlich der Brief mit dem notwendigen Termin, um danach den Status auf vorübergehenden Schutz zu bekommen. Das Treffen bei den Behörden fand am gestrigen Dienstag statt – sechs Wochen nach der Ankunft beider Familien aus der Ukraine. „Wir hatten gedacht, dass das Ganze weniger lange dauern würde. Wir verstehen aber, dass auch Luxemburg überrannt wurde und die Prozeduren Zeit brauchen“, erklären die Gastfamilien.  

Sie sind dankbar, dass sie mit finanziellen und materiellen Spenden aus dem Bekanntenkreis unterstützt wurden. Denn solange in privaten Haushalten untergekommene Flüchtlinge nicht den Status vom vorübergehenden Schutz haben, gibt es für sie keine Unterstützung von staatlicher Seite aus. Viele sind deshalb in dieser Zeit auf Spenden oder eben die Hilfe der Aufnahmefamilie angewiesen. Solange Geflüchtete den Status nicht haben, können sie zudem keiner Arbeit nachgehen. Die Familien Kolber-Heuertz und Kolber-Thomé nennen aber noch einen anderen Grund, warum der Termin bei den Behörden für die Menschen so wichtig ist: „Neben finanzieller und materieller Hilfe steht dieser auch als Symbol dafür, dass ihre Situation in Luxemburg geregelt ist.“ Sodass die Menschen – zumindest vorübergehend – ankommen können. 


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