45. JubiläumBei Einsamkeit, Sorgen oder auch Panikattacken: „SOS Détresse“ hilft, wenn man niemanden zum Reden hat

45. Jubiläum / Bei Einsamkeit, Sorgen oder auch Panikattacken: „SOS Détresse“ hilft, wenn man niemanden zum Reden hat
Ältere Menschen greifen zum Telefon, jüngere wenden sich laut Erfahrung von „SOS Détresse“ lieber per Nachricht an den Krisendienst Foto: dpa/Britta Pedersen

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Menschen in Krisen, Nöten und bei Sorgen telefonisch beistehen – damit begann „SOS Détresse – Hëllef iwwer Telefon“ vor 45 Jahren. Und dieses Jubiläum feierte der Krisendienst nun am 14. November mit einem ausgebuchten Festakt in der Hauptstadt. Im Gespräch gibt die Psychologin und Psychotherapeutin Nadja Bretz einen Einblick auf die alltägliche Arbeit bei „SOS Détresse“ und verrät, wie die Aktualität diesen beeinflusst. 

Tageblatt: Seit 45 Jahren gibt es „SOS Détresse“ nun bereits im Großherzogtum. Dennoch kennen einige die Mission des Krisendienstes vielleicht nicht. Wie würden Sie diese zusammenfassen? 

Nadja Bretz: Ziel von „SOS Détresse“ ist es, allen Menschen in Luxemburg eine diskrete Hilfe anzubieten. Das via Telefon und per Mail. Man muss keinen Termin vereinbaren und kann sich in Situationen der „détresse“ – also in Not oder bei Stress – an uns wenden. Egal mit welchem Thema. Im vergangenen Jahr haben wir mehr als 3.740 Gespräche geführt, in diesem Jahr waren es bisher bereits rund 3.200. Seit 2013 kann man sich außerdem auch online an uns wenden. 2021 wurden 694 eingehende Mailanfragen verzeichnet, für dieses Jahr sind es bisher rund 520. 

„SOS Détresse“ ist also nicht nur unter der Telefonnummer 45 45 45, sondern auch per Nachricht zu erreichen?

Genau, man kann sich auch online an uns wenden. Da Anonymität uns wichtig ist, legt man sich dazu einen Nickname an. Dann kann man uns schreiben. Aktuell werden eingehende Mails von neun ehrenamtlichen Beraterinnen und Beratern und zwei Psychologinnen beantwortet. Mit einer Antwort ist innerhalb von drei Werktagen zu rechnen. Am Telefon passiert das natürlich sofort. Wenn man mehrmals schreibt, wird die Nachfrage normalerweise auch von derselben Person beantwortet – anders als am Telefon. Denn da arbeiten 50 Freiwillige in verschiedenen Schichten, einen ,Suivi‘ gibt es telefonisch nicht. 

Wer greift zum Hörer und wählt die 45 45 45 – oder schreibt eine Nachricht?

Es melden sich Menschen aller Geschlechter und Altersklassen. Jüngere wenden sich allerdings eher per Mail an uns. Allgemein kann man sagen, dass die Personen etwa zwischen 30 und 70 Jahre alt sind. Von den 3.740 Telefongesprächen im Jahr 2021 kamen 1.060 von Anruferinnen und Anrufern aus der Alterskategorie von 51 bis 60 Jahre. Nur 43 kamen von Kindern oder Jugendlichen unter 20 Jahren. Für sie ist in Luxemburg das „Kanner-Jugendtelefon“ (KJT) da, das man auch per Chat erreichen kann. Wir müssen übrigens keine Namen wissen – unsere Freiwilligen nennen ihre aber auch nicht. 

Als feste Mitarbeiterin kümmert sich die Psychologin und Psychotherapeutin Nadja Bretz bei dem Krisendienst unter anderem um die Organisation der Beratungen und die Betreuung der Freiwilligen – und ist immer mal wieder auch am Telefon zu hören
Als feste Mitarbeiterin kümmert sich die Psychologin und Psychotherapeutin Nadja Bretz bei dem Krisendienst unter anderem um die Organisation der Beratungen und die Betreuung der Freiwilligen – und ist immer mal wieder auch am Telefon zu hören Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Mit welchen Problemen oder Sorgen melden sich die Menschen bei Ihnen? 

Es gibt zentrale Themen: unter anderem ist das Einsamkeit oder Isolation. Dass die Menschen es tatsächlich sind oder sich eben alleingelassen fühlen. Denn man kann auch zu fünft auf der Couch sitzen und trotzdem niemanden zum Reden haben. Das hören wir oft: „Ich kann mit niemandem sprechen“. Auch geht es häufig um Zwischenmenschliches: Familie, Ehe oder Partnerschaft: Er hat sich getrennt, sie ist gegangen – das sind schwierige Prozesse. Genauso wie Trauerphasen, wenn jemand gestorben ist. Es kann aber auch sein, dass jemand anruft und gerade eine Panikattacke hat. 

Dass diese Situationen für die Betroffenen schlimm sind, steht außer Frage. Da richtig zu reagieren, ist sicherlich auch für die freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung nicht einfach. 

Unsere Freiwilligen absolvieren eine 18-monatige Ausbildung zu unter anderem Themen wie Depressionen, Psychosen und auch Suizid. Hinzu kommen monatliche Weiterbildungen. Aber sie sind keine Psychologen. Und so kriegt man bei uns auch keine psychologische Beratung – diesen Anspruch haben wir auch nicht. Wir wollen ganz einfach ein offenes Ohr bei akuten Krisen bieten. Zuhören. Und gemeinsam Perspektiven finden, wenn die Person denn bereit dazu ist.

Bei „SOS Détresse“ wird also einfach mal zugehört. Wie kann das eine Unterstützung sein?

Über sich selbst zu reden, hilft oft dabei, sich selbst auch besser zu verstehen. Ganz ohne, dass man dabei infrage gestellt wird. Die Menschen bedanken sich oft bei uns dafür, dass sie einfach mal reden konnten. Dass jemand emphatisch ist und sagt: „Ich spüre, sie sind verzweifelt.“ Statt gleich verurteilend zu fragen: „Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?“ Manchmal gibt es übrigens aber auch ganz konkrete Fragen dazu, an wen man sich wenden soll. Da geben wir dann Auskunft. Ein Extremfall als Beispiel: Bei häuslicher Gewalt gegen Frauen verweisen wir an „Femmes en détresse“, wenn ein Mann Gewalt erlebt, dann an „infoMann“. 

Aktuell bereiten gleich mehrere Themen den Menschen Sorgen. Merken Sie das bei der täglichen Arbeit beziehungsweise lässt sich davon ausgehen, dass schon sehr bald mehr Anrufe und Nachrichten beim Krisendienst eingehen?

Der Bedarf ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen und das Angebot wird viel in Anspruch genommen – das sieht man schon alleine daran, wie auch wir gewachsen sind. Bei Krisen haben wir immer gemerkt, dass es mehr Anrufe gibt: die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Geschehnisse im Iran, jetzt die Inflation und die steigenden Energiekosten. Mit ihren Ängsten und Sorgen wenden sich die Menschen an uns und erzählen davon, dass sie trotz Arbeit nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen. Oder sagen zum Beispiel: „Haben Sie gehört, was Putin gesagt hat?“ Das Weltgeschehen spiegelt sich immer in unserer Arbeit.

Und wie wird es für den Krisendienst nun weitergehen, was sind die Pläne für die Zukunft?

Es wird auf jeden Fall nicht weniger werden. Im kommenden Jahr soll ein Chat online gehen. Es ist geplant, dass dieser zunächst einmal pro Woche zur Verfügung steht. Nach und nach werden wir das dann aufbauen – so wie wir es auch mit der Mailberatung gemacht haben. Damit werden wir sicherlich ein eher jüngeres Publikum ansprechen. Mit 30 Jahren wendet man sich nicht mehr an das KJT. So werden wir der Entwicklung gerecht, dass heute viele eben lieber schreiben als reden. Trotzdem gibt es eine direkte Reaktion und einfach mehr Interaktion. Dabei wird ein Nickname verwendet werden. Denn wichtig ist und bleibt die Anonymität. 

Ein offenes Ohr

Seit 1977 können sich die Menschen in Luxemburg mit Krisen, Nöten und Sorgen telefonisch und seit 2013 auch per Online-Nachricht an „SOS Détresse“ wenden. Die Telefonnummer ist die 45 45 45, der Assistent zum Nachrichtenschreiben findet sich auf der Webseite 454545.lu. Bei „SOS Détresse“ weist man allerdings darauf hin, dass in akuten Notsituationen auf den Telefondienst zurückgegriffen werden soll. Dieser dient auch der Suizidprävention und ist täglich von 11 bis 23 Uhr zu erreichen. Freitags und samstags sogar bis 3 Uhr nachts. Bei dem Krisendienst arbeiten aktuell sieben Angestellte und 50 Freiwillige. Wer auf ehrenamtlicher Basis Teil von „SOS Détresse“ werden will, kann sich an info@sosdetresse.lu oder unter der Telefonnummer melden. Die Aktivitäten werden vom Familienministerium sowie durch Spenden finanziert.