FilmAus der Zeit gefallen: „Little Duke“ von Andy Bausch

Film / Aus der Zeit gefallen: „Little Duke“ von Andy Bausch
Schumi (Luc Feit), Stammkunde Bernie (Marco Lorenzini) und Mil (André Jung) am Tresen des „Little Duke“ © Patricia PERIBAÑEZ

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Nach Frank Hoffmanns klamaukigem „Café Terminus“ wagt sich nun Kultregisseur Andy Bausch mit „Little Duke“ an eine weitere Kneipenfiktion, in der die steigenden Mietpreise einer immer unbewohnbarer werdenden Stadt, Drogenabhängigkeit und das Altern in einer Welt, die man immer weniger versteht, zu einem nostalgischen, sozialkritischen und persönlichen Film verdichtet werden. Der fehlende Tiefgang verleitet „Little Duke“ aber manchmal dazu, an den Debatten seiner Zeit vorbeizudiskutieren.

Das Little Duke ist eines dieser Irish Pubs, die einst in Luxemburg florierten, weil eine Reihe von Expats damit nicht nur ein Wirtschaftsmodell im Großherzogtum fanden, sondern mit dem Trinklokal gleich ein Stück Heimat in die Fremde importierten.

Dem trinkfesten Luxemburger gefiel das genauso gut wie dem hungrigen Luxemburger die italienische und die portugiesische Küche – nicht unbedingt aus Gründen der Toleranz, sondern aus Freude am geteilten Saufgelage fand sich in diesen Orten fortan eine gemischte Gesellschaft aus trinkfreudigen Irländern und Luxemburgern.

Dass solche Orte im vorangeschrittenen neuen Jahrtausend nicht mehr zeitgemäß sind, sieht man dem Pub an – im Lokal scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, vor den neoliberalen Mutationen der Außenwelt war das Little Duke jedoch nur sicher, weil Besitzer O’Hara sich zwischen seine Kneipe und die Wirklichkeit stellte. Zu Beginn des Films liegt der 93-jährige jedoch im Krankenhaus – „et gesäit net gutt aus“, kommentiert der von Steve Karier verkörperte sozialistische Pfarrer.

Nur wenige Filmminuten später stirbt der hochverschuldete Lokalbesitzer – und schon kreisen die Aasgeier um die Pfaffenthaler Kneipe, darunter Immobilienhaie, Bauprojektträger oder Vertreter der Brauerei, die das Little Duke am liebsten durch eines dieser trendigen Lokale ersetzen würden, in denen teure Molekularcocktails von schnurbarttragenden Hipstern, eingekleidet in einer Remix-Version des Hawaiihemdes, serviert werden.

Wie aus der Zeit gefallen sind auch die alteingesessenen Stammkunden dieser Wirtschaft: So schaut sich Bernie (Marco Lorenzini), der quasi als versoffene Synekdoche für alle anderen hartgesottenen Dauertrinker steht, Tag für Tag das gleiche Fußballspiel an – und freut sich immer wieder wie ein Kleinkind über Irlands erstes Tor gegen die verfeindeten Engländer. Dass das Spiel eigentlich 1988 ausgetragen wurde, stört Bernie herzlich wenig. Seine Freude ist tagtäglich so unverfälscht wie sein Gram, wenn man ihm mitteilt, dass bereits „last call“ ist.

Der Alltag im Little Duke ähnelt somit einer alkoholisierten, zwielichtigen Variante von „Groundhog Day“ – und ist somit ein eher suboptimales Umfeld für den kleinen Jules (Mayson Bossi), dessen Erziehung der in der Kneipe lebende Großvater Mil Knepper (André Jung) übernimmt, weil Mutter Dani (Eli Johannesdottir) zu sehr in der Spirale der Drogenabhängigkeit versunken ist, um für ihren Sohnemann aufzukommen.

Nach dem Tod von O’Hara wird die Kneipe an ihn und seinen besten Freund Victor „Schumi“ Schumacher (Luc Feit) vermacht – O’Hara war der Ziehvater der beiden Waisenkinder. Als heterosexuelle weiße Männer sind Knepper und Schumi zwar durchaus privilegiert, ihre soziale Abstammung – oder vielmehr die Abwesenheit einer solcher – hinderte beide aber daran, ihre Lebensträume zu verwirklichen: Knepper arbeitet als Sicherheitsbeauftragter vor einem Luxusladen in der City, Schumi erzählt jedem davon, wie er auf Knokke ein schickes Restaurant eröffnet hat, schuftet in Wahrheit aber nur in einer Frittenbude, deren aggressiver Besitzer (Hervé Sogne) ihn tagtäglich erniedrigt. Nachdem Schumi erfährt, dass O’Hara im Krankenhaus liegt, schmeißt er das Handtuch und macht sich auf den Weg nach Luxemburg.

Wiedersehen macht Sorgen

Marie Jung spielt die Lehrerin, die sich Sorgen um Jules (Mayson Bossi) macht 
Marie Jung spielt die Lehrerin, die sich Sorgen um Jules (Mayson Bossi) macht  © Patricia PERIBAÑEZ

Angesichts der zahlreichen Notlagen währt die Wiedersehensfreude der beiden Jugendfreunde nicht lange: Knepper ist Bauschs Hiobsfigur – für ihn gilt es, nicht nur die Kneipe, sondern auch seinen Enkel Jules (vor dem Sozialamt) und seine Tochter Dani (vor sich selbst) zu retten.

Zudem kümmert er sich mit väterlicher Genervtheit um die verlotterten Stammkunden und schaut mit gesunder Skepsis zu, wie sein Jugendfreund sich im Netz seiner Lügengeschichten verstrickt und in eine von Valérie Bodson gespielte französische Witwe verliebt. Trotz etwaiger Schicksalsschläge ist Knepper ein sensibles Stehaufmännchen – und wird damit zum emotionalen Kern des Films. Dank André Jungs makelloser Darstellung funktioniert die Identifikation mit dieser Figur, insbesondere wegen ihres ergreifenden Verhältnisses zum kleinen Jules, dessen Cuteness-Faktor Bausch gekonnt ausspielt, äußerst gut.

„Little Duke“ rückt die Opfer der als Modernisierungsansprüche getarnten Geldgier einer seelenlosen Stadt ins Rampenlicht – dass der Film kurz nach der DP-CSV-Hetzjagd gegen die hauptstädtischen Bettler in die Kinos kommt, könnte eine starke symbolische Tragkraft haben. So nistet sich Bauschs Kino zwischen dem Naturalismus eines Ken Loach, der parodischen Überspitztheit der Coen-Brüder und dem US-amerikanischen Familiendrama-Mainstreamkino ein. Seine Figuren sind „Rusty Boys“, bei denen selbst die Rebellion gegen eine Welt, deren Verständnis ihnen abhandengekommen ist, eingerostet ist, sie sind marginale Underdogs, die ihre soziale Abtrünnigkeit im Rahmen einer eigens am Tresen geschliffenen Mythologie der Verweigerung zelebrieren, sind alkoholgetränkte Vertreter des Melvillschen „I’d rather not“.

„Little Duke“ ist nicht nur semantisch, sondern auch formal eine nostalgische Zeitreise: Bauschs Darstellung seiner weltfremden Figuren, die den Kampf gegen die Windmühlen der Modernität meist am Boden des Whiskeyglases ausführen, ist deshalb verklärt, weil er sich in ihnen widergespiegelt sieht. Der Referenzreigen – es gibt Verweise auf Troublemaker Thierry van Werveke, eine alte Tonaufnahme von Fernand Fox … –, Carlo Thiels fachmännische, schnörkellose Kameraarbeit, Serge Tonnars Titelsong (und sein Cameo-Auftritt als schmieriger Bauspekulant), das Casting, das wie eine alljährliche Familienweihnachtsfeier (viele alte Gesichter, unter die sich stets ein paar neue mischen) wirkt: „Little Duke“ entzieht sich jedem zeitgenössischen Trend, verlässt sich auf handwerkliche Arbeit – und auf die Vertrautheit des eigenen fiktionalen Mikrokosmos.

Bauschs Versuch, sein filmisches Universum in einem Film zu verdichten, grenzt manchmal an Selbstparodie; diese Grenze überschreitet „Little Duke“ jedoch nicht, weil die auch hier vorhandene Überspitztheit und die etwas grobkörnige Figurenzeichnung stets klarer Bestandteil seiner Fiktionswelten waren. Dass verschiedene Bausch-Idiosynkrasien nicht mehr ganz zünden, liegt viel eher daran, dass „Little Duke“, wie seine Figuren, aus der Zeit gefallen ist.

Diese Homogenisierung von Form und Inhalt stört allerdings nur dort, wo Bauschs Film an den Spannungsfeldern seiner Zeit vorbeidiskutiert – da wären die lahmen Witze über Bettels Homosexualität, die Hautfarbe der Drogendealer, die Dani vor dem Polizeirevier in der rue Glesener abholen (Stichwort „Capitani“) oder die manchmal arg karikaturartig geschriebenen Figuren (die aber immer wieder mit tollen One-Linern punkten).

Indem Bausch sich hauptsächlich um die Sorgen seiner zentralen Figuren – „schnéiwäiss al Männer“, würde Guy Rewenig schreiben – kümmert und Unterhaltung über analytische Tiefe stellt, vereinfacht er einige soziale Krisenherde zu sehr. So dient eine Szene, in der Knepper eines sexuellen Übergriffs angeklagt wird, lediglich dazu, die Hauptfigur erneut als Mann aller Schicksalsschläge darzustellen, anstatt, was semantisch durchaus legitim gewesen wäre, häusliche Gewalt zu thematisieren.

Schlussendlich wirkt auch das etwas zu versöhnliche Ende, während dem sich ein Deus ex machina an das nächste reiht, zu einfach: Das Land flüchten, um eine Utopie in den belgischen Ardennen zu konstruieren, ist ein etwas simpler Ausweg. Trotzdem bleibt „Little Duke“ ein unterhaltsamer, streckenweise ergreifender Film, der trotz – oder gerade wegen – seines nostalgischen Flairs das (Über-)Leben in Luxemburg sozialkritisch porträtiert.

Der von Paul Thiltges vertriebene „Little Duke“ läuft ab heute in den Luxemburger Kinos an


Weiterführende Lektüre:

Essay / Die Kneipe als Ort der proletarischen Identität