Max-Ophüls-Festival „Asshole meets Shithole“

Max-Ophüls-Festival  / „Asshole meets Shithole“
Einmal im Jahr treffen sich die Reichen und Mächtigen in Davos. Der Alltag der Bewohner sieht ganz anders aus.  Quelle: European Film Conspiracy

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Systemkritik, Aufweichen der Demokratie, Globalisierung und Protest von unten: Der diesjährige Wettbewerb Dokumentarfilm ist nach einer eher schwachen Ausgabe letztes Jahr ein hochpolitischer. Die jungen Dokumentarfilmer legen mit ihren Werken den Finger in die Wunden der Zeit. Das machen sie gut.

„Davos“ ist ein Film der Gegensätze. Weltweit bekannt ist die Schweizer Gemeinde vor allem wegen des Weltwirtschaftsforums (WEF). Unter dem Motto „Committed to improving the state of the world“ treffen sich jedes Jahr im Januar für eine Woche die Reichen und Mächtigen dort, um die Lage zu analysieren.

Oder um die Welt unter sich aufzuteilen? Genauso regelmäßig wie die Treffen sind mittlerweile die Proteste, die das Forum begleiten. Daneben gibt es die Parallelwelt der Dorfeinwohner, deren Leben sich zwischen der Davoser Viehschau, Arbeit im Stall und den bieder-braven Nachrichten der Davoser Zeitung bewegt.

Ein Gemeinderat ruft beim Redakteur an. Er will lieber nicht namentlich im Zusammenhang mit dem neuen Verkehrskonzept genannt werden. Ein Vorgang, den Lokalredakteure überall nur allzu gut kennen. Parallel  treten britische und Schweizer Parlamentarier während des Forums gegeneinander zum Slalomrennen auf der Piste an und setzen abends ihre Skiliftdiplomatie in den Hinterzimmern fort.

Nichts darf die heile Kulisse stören

Während mit teurem Wein angestoßen wird, hilft im Dorf eine ganze Bauernfamilie bei der Geburt eines Kalbes. Anderswo läuft ebenfalls der Alltag weiter. Ein Sozialarbeiter übt mit in Davos untergebrachten minderjährigen Flüchtlingen einen Rap und zum Protest gestalten junge Schweizer Plakate. „Trump goes World Economic Forum: asshole meets shithole“ soll in großen Lettern die Gegen-Kundgebung begleiten.

Wenn die WEF-Teilnehmer sich in ihrer Blase als Gemeinschaft inszenieren, bleibt nichts dem Zufall überlassen. Pressefotos werden abgesprochen. Das Briefing für die Fotografen gipfelt in dem Rat, sich bei der Motivsuche auf Architektur und Frauen zu konzentrieren. Klaus Schwab, der „Executive Chairman of the World Economic Forum“ tut das Seinige zur hübschen Kulisse. Die Frage eines Journalisten nach dem Durchschnittsalter der Teilnehmer ignoriert er. Es liegt bei 54 Jahren.

Gleiches gilt für die Frage nach dem immer noch viel zu geringen Frauenanteil in Führungsetagen. 60 Millionen Franken bringt die Veranstaltung allein Davos jedes Jahr ein. Noch einmal 94 Millionen Franken dem Rest der Schweiz, wird ein Vertreter der WEF den Einwohnern auf einer Informationsveranstaltung sagen.

Die beiden Regisseure Daniel Hoesl und Julia Niemann kommentieren die Parallelwelten nicht. Sie vertrauen dem Zuschauer, der seine eigenen Schlüsse aus den gezeigten Szenen ziehen soll. Geschickt spielen sie mit den Gegensätzen und zeigen in eindrucksvollen Bildern, wie fragmentiert die angeblich globalisierte Gemeinschaft in Wahrheit ist. Sie kommen einer Elite nahe, die sich weit von denen da unten entfernt hat. So weit, dass es fast schon surreal anmutet, wenn gleich daneben Bauern ihrer Arbeit nachgehen. Gleichzeitig wirft der Film die Frage auf, ob das WEF noch das geeignete Forum ist, die weltweiten Probleme zu lösen oder wenigstens ansatzweise Antworten darauf zu finden.

Von der Macht des Geldes handelt auch die Provinzposse „Wem gehört mein Dorf?“.

Wem gehört mein Dorf?

Regisseur Christoph Eder ist in Göhren geboren, einem Ostseebad auf der Insel Rügen (D). Bis zur Wende dämmert das damals 2.300 Einwohner zählende Dorf im Dornröschenschlaf. Danach kommen mit den Touristen die Baukräne und Investor Wilfried Horst aus dem weit entfernten Nordrhein-Westfalen.

Mit „Wenn ich heute in mein Dorf komme, ist fast nichts mehr wie früher“, wird der Regisseur aus dem Off kommentieren. Der Anblick mit den Hotels und Ferienwohnungen, der neuen Seebrücke und dem aufgeräumten Strand lässt wie in einem Reiseprospekt kaum Wünsche offen. Angesichts der vielen Mietwohnungen, die zu Ferienwohnungen umgewidmet werden, herrscht Wohnungsnot.

Die Einwohnerzahl ist auf 1.300 gesunken. Die vier Gemeinderäte, die Entscheidungen wie diese und viele der insgesamt 130 Bauanträge von Investor Horst mit ihrer Mehrheit durchwinken, wollen „das Beste“ für das Dorf. Als auf dem Flurstück „B 23“ mitten in einem Naturgebiet eine Wohnsiedlung entstehen soll, platzt der Kragen.

Die „vier von der Stange“, wie sie die Einwohner nennen, genehmigen mit ihrer Mehrheit das Projekt. Eine Bürgerinitiative gründet sich und protestiert. Eine Chance, die malerische Landschaft zu schützen, haben sie nur, wenn sie die nächsten Gemeindewahlen gewinnen. Es gelingt. Die „Bürger für Göhren“ bringen den Wechsel.

Die „vier von der Stange“ müssen abtreten und der bisherige Bürgermeister Markus Pigard klagt auf Wahlbetrug. Das kommt einem doch bekannt vor. Mit „Wem gehört mein Dorf?“ zeichnet Regisseur Christoph Eder ein persönliches Porträt der Bewohner seines Heimatdorfes und von dessen politisch gewolltem Schicksal. Gleichzeitig ist der Dokumentarfilm ein Lehrstück über Lokalpolitik und das Wesen der Demokratie.

Ähnliches erlebt Luxemburg gerade bei der Diskussion um die Ansiedelung von Google in Bissen, dem Kampf gegen die Umgehungsstraße in Sanem oder dem Protest gegen den Ausbau der Tanklager an der Mosel. Obwohl 2019 der Ausbau offiziell ad acta gelegt wurde, beschäftigt sich jüngst eine parlamentarische Anfrage von Anfang Januar 2021 wieder mit dem Thema. Es gibt also wohl ein neues Moment.

Nichts Neues

„Nicht Neues“ hingegen gibt es in dem gleichnamigen Dokumentarfilm monatelang für den Kapitän der „Lifeline“. Das Seenotrettungsschiff einer Nichtregierungsorganisation dümpelt im Hafen von Malta. Nach der letzten Mission, in der sie 230 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten, dürfen sie nach tagelangem Hickhack zwar den Hafen von Valletta anlaufen, aber nicht wieder auslaufen.

Das EU-Mitglied Malta klagt Kapitän Claus-Peter Reisch an und setzt das Schiff 2018 fest. Fünfmal reist er auf die Mittelmeerinsel, manche Gerichtstermine dauern nur zwei Minuten, nichts passiert. Regisseur Lennart Hüper begleitet ihn und seine Crew während des zehrenden Wartens, das einmal mehr zeigt, wie politische Offensiven aussehen, die zivile Rettung auf See zu beenden.

Währenddessen erhält Kapitän Reisch den Lev-Kopelev-Preis für Frieden und Menschenrechte in Köln (D). Festredner ist niemand anderes als Jean Asselborn. Luxemburg nimmt damals 15 der „Lifeline-Flüchtlinge“ auf. In seiner Rede beklagt der Außenminister, die Europäische Union sei in der Flüchtlingspolitik an ihrem eigenen Anspruch auf Menschlichkeit und Solidarität gescheitert. Die Rede sieht man im Film nicht. 

In einem Nebensatz lässt Asselborn Kapitän Reisch jedoch nach der Veranstaltung im Film wissen, dass er es auch zu Hause nicht leicht damit hat, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Filme über Flüchtlinge in den Schlauchbooten und die Arbeit der NGOs gibt es genug, wird der Filmemacher im Regiegespräch sagt.

Er wollte zeigen, was passiert, wenn das Warten nicht aufhört und die Crew entgegen ihrem ursprünglichen Anliegen zum Nichtstun verdammt ist. In einem Umfeld, wo fast täglich weitere Menschen ertrinken. Seenotretter Riesch indessen ist sich sicher, dass sich nur etwas ändert, wenn die Ursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden. Bis dahin werden weiter Menschen aus Afrika fliehen und die Reise über das Mittelmeer antreten. Das erzählt er Jugendlichen in dem Film, der nachdenklich zurücklässt.

Max-Ophüls-Festival

www.ffmop.de