RundtischgesprächArbeitszeitverkürzung darf kein Tabu-Thema sein

Rundtischgespräch / Arbeitszeitverkürzung darf kein Tabu-Thema sein
„Fir e staarkt a soziaalt Europa“ lautete das Thema des Abends Foto: Editpress/Tania Feller

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LSAP und OGBL üben den Schulterschluss. Bei einer gemeinsamen Veranstaltung am Montagabend (13.3.) in der Escher „Maison du peuple“ haben sie ihre Gemeinsamkeiten in arbeitsrechtlichen und sozialen Fragen betont.

„Fir e staarkt a soziaalt Europa“ lautete das Thema des Abends, das kaum Anlass für Divergenzen bot, genauso wenig wie die Wahl der Teilnehmer die Voraussetzung für eine kontroverse Diskussion schaffen konnte. Mit EU-Kommissar Nicolas Schmit, der portugiesischen Arbeitsministerin Ana Mendes Godinho, die sich per Videobotschaft ins Meeting einschaltete, Arbeitsminister Georges Engel und Margarida Marques, heute Europaabgeordnete, in ihrem früherem Leben Staatssekretärin für Europafragen, und OGBL-Präsidentin Nora Back hatten die Gastgeber LSAP und OGBL Rednerinnen und Redner verpflichtet, die alle am selben Strang ziehen. 

Die Schwerpunkte des Rundtischgesprächs, das vom Escher LSAP-Spitzenkandidaten bei den Gemeindewahlen, Steve Waltz, und Koparteipräsident Dan Biancalana eingeleitet wurde, waren: die Bedeutung der Arbeit im Leben des Menschen, der Fachkräftemangel in der EU und insbesondere in Luxemburg, die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern, die EU-Richtlinie über Mindestlohn, die Rolle der Tarifverhandlungen und das bedingungslose Grundeinkommen. Moderatorin der Runde war Liz Braz. 

Man arbeite, um zu leben; Arbeit müsse ein würdiges Leben sichern; die Arbeit dürfe nicht das Leben der Menschen bestimmen; sie dürfe nicht krank machen; sie sollte den Menschen erlauben, sich zu entfalten – so die Antworten auf die erste Frage. Doch wer soll die Arbeit leisten? Seit Monaten beklagen sich Politiker und Arbeitgeber über einen Mangel an Arbeitskräften. Woher diese Diskussion stamme, könne er nicht wirklich erklären, sagte Arbeitsminister Georges Engel. Sie sei nach Ende der Covid-19-Pandemie zum dominierenden Thema geworden. Gegenüber 2019 sei ein Arbeitskräftemangel von rund zwanzig Prozent festgestellt worden. Wie dem entgegenwirken? Mit Außenminister Jean Asselborn arbeite man an einem Gesetzesprojekt zur Abschaffung des sogenannten „Test du marché“, um internationalen Schutzsuchenden schneller eine Arbeitsgenehmigung (autorisation d’occupation temporaire, AOT) erteilen zu können. Derzeit müssen die Unternehmen bei der Einstellung von Drittstaatlern eine sechsmonatige Wartezeit einlegen. Erst wenn bei der Arbeitsagentur ADEM kein geeigneter Kandidat aus einem EU-Land gefunden wird, kann ein Drittstaatler eingestellt werden. Ausnahmen seien jedoch auch derzeit schon gemacht worden, so Engel. So wurden 2022 insgesamt 70 AOT ausgestellt, 2021 waren es erst 25 gewesen. 

Anziehungsmagnet für Nicht-Luxemburger Arbeitskräfte waren bisher die im Vergleich zu den Nachbarländern höheren Löhne. Doch angesichts steigender Mindestlöhne in der EU schwindet dieser Vorteil. „Dann sollte der Mindestlohn in Luxemburg angehoben werden“, so OGBL-Chefin Nora Back. Die Arbeitsstellen könnten durch bessere Gehälter und gute Arbeitsbedingungen attraktiver gestaltet werden. Als weitere Möglichkeit, den Fachkräftemangel zu beheben, nannte Margarida Marques die Reorientierung und Qualifikationssteigerung von Erwerbslosen in der EU. Auch sollte die Mobilität in der EU verbessert werden. 

Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern

Erstmals verdienen die Frauen in Luxemburg pro Stunde mehr als die Männer. Es sei schon ein starkes Stück, dass Statec diese Angabe am 8. März, dem Internationalen Frauentag, veröffentlichte, fand Nora Back. Allein den Stundenlohn zu nennen, verfälsche das Bild. Die nach wie vor bestehenden Einkommensunterschiede können nur durch besseren Zugang der Frauen auf Verantwortungspositionen beseitigt werden und wenn ihnen die Möglichkeit zum Aufbau einer ganzen Berufslaufbahn gegeben wird. 

Von Gesetzeswegen sei die Diskriminierung zwischen den Geschlechtern abgeschafft, meinte Margarida Marques. Aber eine Revolution findet nicht per Dekret statt. Und auch die Beseitigung des „Gender pay gap“ lässt sich nicht einfach per Gesetz dekretieren. „Würde man nach dem aktuellen Rhythmus fortfahren, bräuchte man laut Schätzung der EU-Kommission noch hundert Jahre bis zur vollen Lohngleichberechtigung“, sagte Schmit. Ein Hindernis auf dem Weg zur Lohngerechtigkeit sei der Mangel an Transparenz in Sachen Löhne. Daher fordert die Kommission von den Unternehmen eine Offenlegung der Zahlen. Nur das ermögliche einen unverfälschten Blick auf die tatsächlichen Lohnverhältnisse. In Island und Portugal besteht derart Transparenz. Und da stelle man fest, dass die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern schneller sinken. Außerdem benachteilige das Besteuerungssystem in Luxemburg die Frauen, so Schmit. Daher fordere die LSAP dessen tiefgreifende Reform. 

Die EU-Richtlinie über die Einführung von Mindestlöhnen in der EU bezeichnete Schmit als einen der großen Erfolge dieser EU-Kommission, auch wenn sie die Höhe des Mindestlohnes nicht bestimmen darf. Doch damit sei eine positive Dynamik angestoßen worden. So würden in vielen Ländern die Mindestlöhne an die Inflation angepasst. Noch wichtiger jedoch seien die Bemühungen, Tarifverhandlungen in den EU-Ländern zu fördern. Dabei plädiere die Kommission insbesondere für mehr sektorielle Kollektivverträge. Damit rennt man bei Arbeitsminister Engel offenbar offene Türen ein. „Tarifverträge sind die besten Mittel für Fortschritt und sozialen Frieden“, sagte er. Kollektivverträge seien auch gut für die Unternehmen und könnten dank guter Arbeitsbedingungen zur Beseitigung des Fachkräftemangels beitragen. Auch damit befasse sich seine in Auftrag gegebene Studie über Arbeitszeitorganisation. Man brauche ein besseres Kollektivvertragsgesetz, so Nora Back. Auch das Koalitionsabkommen sieht eine Reform vor. Aber warum sei in diesem Bereich bisher nichts erfolgt, fragte sie. Eine Antwort blieb an diesem Abend aus. 

Bedingungsloses Grundeinkommen

Und das bedingungslose Grundeinkommen als Mittel zur Armutsbekämpfung? „Keine gute Sache“, meinte Back. „Man muss die Arbeit entlohnen“, betonte sie. Wer ein bedingungsloses Grundeinkommen fordere, habe den Glauben an die Vollbeschäftigung verloren. Er sei zurückhaltend in dieser Frage, so Engel. Derlei Grundeinkommen entwerte die Arbeit. „Die Idee dazu stammt aus der liberalen Ecke“, so Back. Und Engel erinnerte an ein Pilotprojekt eines bedingungslosen Grundeinkommens in Finnland. Gestartet wurde es nicht unter sozialistischer, sondern rechtsliberaler Regierung. Auch da ging es nicht darum, den Ärmsten zu helfen. Schmit erinnerte seinerseits daran, dass die Diskussion darüber mit dem Aufkommen der neuen Technologien aufkam. Künstliche Intelligenz würde die menschliche Arbeitskraft überflüssig machen. Was also mit den Menschen tun? Man würde ihnen ein bedingungsloses Grundeinkommen geben, um sie aus dem Arbeitsprozess zu nehmen und sie ruhigzustellen. Damit würde man die Gesellschaft spalten zwischen Menschen, die man noch benötigt werden, und solchen, die man beiseiteschieben kann.

Ermöglicht die digitale Revolution hohe Produktivitätszuwächse, sollte man sich überlegen, wie sie verteilt werden können, etwa über Lohnerhöhungen oder eine Arbeitszeitreduzierung. Man sollte sich der Diskussion über eine Vier-Tage-Arbeitswoche nicht verschließen. Dazu gebe es etliche Pilotprojekte in der EU. Die Menschen arbeiteten besser, die Produktivität steige, gleichzeitig reduzierten sich die krankheitsbedingten Fehlzeiten.

Arbeitszeitverkürzung demnächst auch in Luxemburg? „Warum sollen die Produktivitäts- und  Gewinnzuwächse allein dem Arbeitgeber zugutekommen?“, meinte Engel. Warum ist die seit einem halben Jahrhundert bestehende 40-Stunden-Arbeitswoche unantastbar? Zumal überall über einen Rückgang des Benevolats geklagt wird? Wie sich ehrenamtlich engagieren, wenn keine Zeit mehr übrig bleibt? Eine Änderung der Gesellschaft erreicht man nur durch eine Arbeitszeitverkürzung. Man sollte jetzt die Gelegenheit nutzen, so Engel. Eine Aussage, die der Saal mit Applaus quittierte. Die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang warf zum Schluss allein Margarida Marques auf: Arbeitszeitreduzierung ja, aber unter welchen Bedingungen? Sie dürfe nicht zu neuer Armut führen. Arbeitszeitreduzierung ja, aber ohne Lohnausfall, so ihre Schlussfolgerung. Aber das war schon die Einleitung eines anderen abendfüllenden Programms.

Am Montagabend schienen die Zeiten, als sich OGBL und LSAP nicht mehr so richtig über den Weg trauten, Vergangenheit zu sein. Sogar das Rot der Logos beider Organisationen sei beinah dasselbe, hatte ein Teilnehmer mit Blick auf die in den LSAP-Farben drapierten Stehtische und das Gewerkschaftsemblem im Saal gesagt.

Bux /
17. März 2023 - 14.15

Meinetwegen kann es bei einer 40 Stundenwoche bleiben, aber mehr gesetzliche Urlaubstage wären angemessen. Müssten ja nicht gleich 16 Wochen wie die Lehrer haben, aber mindestens 6 Urlaubswochen (30 Tage) sollten es schon sein.

Arm
16. März 2023 - 17.16

Lo get de Leit vill versprach an no de Wahlen well ke meh eppes dovun wessen

jean-pierre.goelff
15. März 2023 - 17.11

Ach du liebe Güte,sin deï Leit wiirklich ze domm fir emol bei d'Franzousen luussen ze goên waat deï hochgelobt 35-Stonnen-Woch bruëcht huêt....nemmen Aarmut an manner Aarbichtsplaatzen!Aubry und Konsorten sei gedankt!

fernpott
15. März 2023 - 15.54

Arbeschtzäitverkierzung matt Lounausgläich ass ganz bëlleg Wahlpropaganda, keen Patron bezillt 8 Stonnen fir 7 Stonnen schaffen

Arbechter
15. März 2023 - 10.00

Arbechtszeitverkierzung = Wahlpropaganda vun lenks an net fir dei' Fleisseg !