ParlamentÄltere Menschen dürfen aus Heimen raus und Besuch empfangen

Parlament / Ältere Menschen dürfen aus Heimen raus und Besuch empfangen
 Foto: AFP/Adem Altan

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Im Gegensatz zur Parlamentssitzung vom Dienstag kam es gestern erst zum Schluss zu heftigeren Auseinandersetzungen, dies im Rahmen einer der drei CSV-Fragestunden. Familienministerin Corinne Cahen (DP), CSV-Abgeordnete und Fernand Kartheiser (ADR) warfen sich gegenseitig patriarchalische Tendenzen und antiliberale Einstellung vor. Cahen informierte zum Schluss der langen Sitzung darüber, dass die Einschränkungen in Alters- und Pflegeheimen aufgehoben sind, Besuche auch von Kindern sind erlaubt und die älteren Menschen dürfen raus, ohne anschließend in Quarantäne zu müssen.     

Trotz des ursprünglich von Kammerpräsident Fernand Etgen nicht angenommenen dringlichen Charakters einer Frage der CSV zum neuen Justiz-Leak-Fall, bei dem ein Gigabite Informationen über Urteile aus der Zeit vor 2015 kopiert wurden, nahm Justizministerin Sam Tanson („déi gréng“) bereitwillig hierzu Stellung. Der Fall gehe auf das Jahr 2015 zurück, in das informatische System der Justiz wurde nicht von außen eingedrungen, die Informationen wurden wahrscheinlich auf einen USB-Stick geladen. Die geleakten Urteile inklusive Namen und Adressen betreffen eine lange Periode, so die Ministerin. Die Betroffenen würden durch die zuständige Stelle informiert werden, ansonsten läuft eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft.

Geld für „Stages“

Bislang fehlte ein gesetzlicher Rahmen für die Beschäftigung von Praktikanten, so Georges Engel (LSAP), der Berichterstatter zum entsprechenden Gesetzestext. Um Auswüchse wie etwa die Ausnutzung durch Unternehmen von Schülern und Studenten als billige Arbeitskraft zu verhindern, sei ein solcher Rahmen notwendig. Junge Menschen, die ein Praktikum in einem Betrieb absolvieren, müssen nun nach spätestens vier Wochen bezahlt werden und erhalten 30 bis 40 Prozent des unqualifizierten Mindestlohnes (für Bachelor-Absolventen gilt der qualifizierte Mindestlohn), eine Summe, die bei praktischen Stages, die länger als zwölf Wochen dauern, auf 75 Prozent des Mindestlohns erhöht wird.

Daneben gelten eine Reihe von Regeln: So dürfen die Praktikanten keinen Mitarbeiter des Betriebes ersetzen, eine Beschreibung der Tätigkeit muss vor Antritt des Stages vorliegen.

Paul Galles (CSV) meinte, die Entwicklung der Praktika müsse genau verfolgt werden, es dürfe nicht sein, dass nun weniger solcher Einblicke in die Berufswelt zur Verfügung gestellt würden. Charles Margue („déi gréng“) bezeichnete die Stages als potenzielles Sprungbrett in die Arbeitswelt und Marc Baum („déi Lénk“) fand, dass es unnötig lange gedauert habe, bis das entsprechende Gesetz verabschiedet wurde. 

Drei Aktualitätsstunden in Folge

Anschließend kam die große soziale Stunde der CSV, oder besser die Stunden. Der Abgeordnete Marc Spautz (CSV) führte in den beiden ersten zu Arbeitslosigkeit und „Télétravail“ ein, während Paul Galles sich in der dritten dem Thema wachsende Ungleichheiten widmete.

Zur Arbeitslosigkeit lieferte die Arbeitsmarktverwaltung am Vormittag die Corona-bedingt erschreckend wachsenden Zahlen der Jobsuchenden. Die Quote liegt bei 6,9 Prozent, mehr als 20.000 Menschen sind ohne Arbeit. Mehrere Redner, angefangen bei Spautz, verwiesen auf die Möglichkeit von öffentlichen Beschäftigungsprogrammen, wie Luxemburg sie in den 70er und 80er Jahren im Rahmen der Stahlkrise erlebte. Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP) ist einer solchen Initiative nicht abgeneigt, verwies auf mögliche Notstandsarbeiten, die gemeinsam mit den Gemeinden erarbeitet werden könnten, sprach aber auch die hohe Arbeitslosigkeit von jungen Akademikern an und regte spezielle Programm auch für diese Menschen an.

Auch wenn viele der neuen Arbeitslosen Interimskräfte im Bauwesen sind und einige darunter wieder eine Einstellung finden werden, sind die Aussichten, die eine Quote von bis zu 9 Prozent im kommenden Jahr prognostizieren, alles andere als beruhigend. Dass Luxemburg über ein gutes Sozialsystem verfügt und viele Arbeitsplatzverluste durch den massiv bewilligten „Chômage partiel“ verhindern konnte, bewähre sich zurzeit. In den USA etwa, so Marc Baum, würden Prognosen von kurzfristig einem Viertel Arbeitslosen ausgehen. Sven Clement (Piraten) forderte ein neues Arbeitsmarktmodell und erinnerte an die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. 

Regeln zur Telearbeit          

Während der zweiten Aktualitätsstunde wurde die Telearbeit von den Abgeordneten diskutiert, die während der Krise einen enormen Aufschwung erlebte. Rund 70 Prozent aller Beschäftigten arbeiteten, wenigstens zeitweise, von zu Hause aus und die meisten finden diese Arbeitsform gut. Marc Spautz sprach sich für die Schaffung eines angepassten gesetzlichen Rahmens aus; viele Fragen seien im Zusammenhang mit Heimarbeit noch offen und verlangten nach einer Klärung. Carole Hartmann (DP) und Georges Engel (LSAP) hoben Vor- und Nachteile dieser Arbeitsform hervor, während Charles Margue („déi gréng“) sich als Telearbeiter der ersten Stunde outete: Bereits 1985 habe er von Paris aus via Minitel in Luxemburg Vollzeit gearbeitet. Pirat Sven Clement warnte vor der neuen Datenunsicherheit durch die viele Heimarbeit; die Absicherung der Systeme sei enorm wichtig. Der Arbeitsminister räumte ein, es gebe noch Regelungsbedarf, allerdings werde die Regierung in dieser Sache nur agieren, wenn die Sozialpartner keine Vorschläge machen würden. Marc Hansen (zuständiges Regierungsmitglied für den öffentlichen Dienst) ging auf die zunehmende digitale Fernarbeit beim Staat ein. Fanden im Februar dort insgesamt 4.400 Minuten Video- und Audio-Konferenzen statt, so waren es im April 440.000 Minuten.

Paul Galles (CSV) verwies einführend zur dritten Aktualitätsdebatte darauf, dass die sanitäre Krise von Anfang an ungleiche Wirkungen auf die Menschen hatte und die sozialen Ungleichheiten sowohl entlarve als auch verschärfe. Das Armutsrisiko, das bei ohnehin hohen 18,3 Prozent liegt, werde zunehmen, dieser Zustand werde scheinbar von der Regierung nicht ernst genug genommen.

Zehn Vorschläge gegen Ungleichheit 

Er legte zehn Vorschläge für mehr soziale Gerechtigkeit vor, die sofort umgesetzt werden könnten und sollten, darunter eine sofortige Anpassung der Familienleistungen – inklusive einer Erziehungsprämie, was ihm später den Vorwurf einer patriarchalischen Einstellung seitens der Familienministerin einbringen sollte, worauf er entrüstet reagierte –, Hilfen für Alleinerzieher, Nachbesserung des Revis, das von der CSL vorgeschlagene „Helikoptergeld“ (200 Euro für alle), Förderung der schwachen Schüler, psychologische Unterstützung für die emotional Leidenden, Unterstützung für Mieter … Die Verkleinerung der Ungleichheiten müsse in Zukunft das Hauptkriterium des politischen Handelns werden, so der Abgeordnete, der bei den meisten Fraktionen Zuspruch fand. Yves Cruchten (LSAP) machte in dem Kontext den Vorschlag, alle staatlichen Sozialhilfen müssten einfacher zu beantragen sein und regte die Schaffung eines sozialen „Guichet unique“ an, der auch zur Entlastung der kommunalen Sozialämter beitragen könnte. Die Familienministerin stellte der Intervention von Galles alle bereits bewilligten sozialen Unterstützungen der Regierung gegenüber und brachte den christlichen Politiker – wie oben beschrieben – mit ihrem Patriarchatsvorwurf zur Weißglut, ehe sie die bereits erwähnten Lockerungen in den Alters- und Pflegeheimen bekannt gab.