Lust zu lesen Was spricht da aus den dunklen Blumen?

Lust zu lesen  / Was spricht da aus den dunklen Blumen?
Eva Menasse Foto: Jörg Steinmetz

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Große Literatur überrascht. Und genau das tut auch der neue Roman von Eva Menasse. Die Art und Weise, wie die Autorin das Thema Nationalsozialismus und Vergangenheitsbewältigung anpackt, ist ein Meisterstück, findet Guy Helminger.

Das titelgebende Dunkelblum ist eine Kleinstadt im österreichischen Burgenland an der ungarischen Grenze. Hier ist im März 1945 ein Massaker an fast zweihundert Zwangsarbeitern geschehen. Eva Menasse nimmt dieses Geschehen, das einen realen Hintergrund in der Stadt Rechnitz hat, zum Anlass, einen Roman über die Mechanismen des kollektiven Schweigens zu schreiben. Die Opfer wurden nie gefunden und nun, im Jahr 1989, in dem das Buch spielt, sehen viele Dunkelblumer in der Aufarbeitung der Vergangenheit ein Risiko für sich und ihre Stadt. Natürlich fragt man sich bereits nach den ersten Seiten, ob man an einem solchen Ort begraben sein möchte, geschweige denn leben. Aber die Autorin zeichnet ihre Figuren, sieht man einmal von den damaligen Tätern ab, so menschlich, dass man die Beweggründe des Nicht-Reden-Wollens begreift, auch wenn man das Unter-den Teppich-Kehren nicht gutheißt. Aber die Wahrheit sucht sich ihren Weg und so beginnen Studenten aus Wien einen alten zugewachsenen jüdischen Friedhof in der Kleinstadt freizulegen, der Reisebüro-Leiter und einige andere arbeiten an einem Museum der Erinnerung und auf der Suche nach Wasser wird auf einem Feld ein Skelett ausgegraben. Kein Wunder, dass der stellvertretende Bürgermeister und der frühere Gauleiter, der heute ein angesehener, hilfsbereiter Bürger ist, alles daransetzen, die Grabungen zu unterbinden und Dunkelblum lieber über den Wasserverband versorgen lassen wollen.

Der Lindwurm, jene fatale Mischung aus vergangenen Verbrechen, Zukunftsangst und Hysterie, lauert in allen Gassen. Das profitorientierte Handeln und die nachträgliche Postrationalisierung, also die Rechtfertigung dieser Taten, zeichnet einen Weg vor, der das Humane immer wieder bröckeln lässt. So helfen jene Männer, die als Sechzehnjährige als Hitlerjugend gezwungenermaßen die Zwangsarbeiter in den Wald führten, kurz vorm Mauerfall Ostdeutschen über die ungarische Grenze. Aber schon zwei Seiten später wird klar, dass sie ihre Hilfe und ihre Gästezimmer nur deshalb anbieten, weil die deutsche Botschaft alles bezahlt. So ist er leider, der Mensch.

Eva Menasse hat einen großartig facettenreichen Roman geschrieben, der zugleich in der Geschichte wühlt und Aufklärungsarbeit im Sinne einer Bewusstmachung leistet, wie auch spannend und humorvoll ist. Gerade letzteres, die humane Ironie, die dort, wo es Not tut, in Sarkasmus umschlägt, ist ein tragendes Element. Ein Wagnis, möchte man meinen, ein solch ernstes Thema mit so viel Witz anzugehen, aber die österreichische Autorin meistert diesen Spagat brillant. Ein bemerkenswerter Roman, der sowohl unterhält, als auch nachdenklich macht.

Eva Menasse<br />
„Dunkelblum“<br />
Kiepenheuer & Witsch 2021<br />
528 S., 25 Euro
Eva Menasse
„Dunkelblum“
Kiepenheuer & Witsch 2021
528 S., 25 Euro