KlangweltenSound Snippets – Musikalische Neuerscheinungen in der Kurzübersicht

Klangwelten / Sound Snippets – Musikalische Neuerscheinungen in der Kurzübersicht
Seasick Steve – Blues in Mono 8/10

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Seit Kollege Claude Molinaro in die Lokalredaktion gewechselt ist, kommt der Blues in unseren „Klangwelten“ ein bisschen zu kurz. Das soll sich ändern und so beginnen wir diese Rubrik mit dem im Lockdown digital veröffentlichten „Seasick Steve“-Album „Blues in Mono“. In Standards wie „Fred’s Worried Blues“ von Fred McDowell oder Joe Callicotts „Laughing to Keep from Crying“ erinnert uns der 60-jährige Kalifornier daran, dass wieder bessere Tage kommen werden. Auch die im Country-Blues-Stil nur mit Akustik-Gitarre vorgetragenen Eigenkompositionen, die wie immer um die turbulente Hobo-Vergangenheit des Musikers kreisen, sind gelungen. Unser Favorit ist jedoch „Buddy Brown“, mit dem „Seasick“ Steve Wold sehr nahe an „Lightnin‘“ Hopkins heranreicht und in dem er uns erklärt, wie man die Federn seines Bettes zum Knarren bringt. Ein ehrliches Album!

Regener Pappik Busch – Ask Me Now 6/10
Regener Pappik Busch – Ask Me Now 6/10

Auch Sven Regener hat ein ehrliches und ähnlich reduziertes Album aufgenommen, aber keine melancholisch-chansonesken Lieder, wie man sie sonst von dem norddeutschen Autor, Musiker und Kopf der Band Element of Crime gewohnt ist, sondern Jazz- und Swing-Standards. Zusammen mit Ekki Busch am Klavier und Richard Pappik am Schlagzeug hat er sich unter dem Namen Regener Pappik Busch auf dem Album „Ask Me Now“ Stücke von Monk, Coltrane, Parker oder Gillespie vorgeknöpft. Das ist amüsant, irgendwie originell und würde bestimmt für eine entspannte, nette Atmosphäre sorgen, wenn man es im Wohnzimmer unter Freunden vortragen würde (oder vielmehr dürfte). Schön ist auch, dass Regener einen Weg gefunden hat, an der Trompete fit zu bleiben. Ansonsten ist die Produktion irgendwie überflüssig, da viele von uns diese Standards in- und auswendig kennen in wahrlich virtuoseren Versionen. Die Interpretation von Sonny Burkes „Black Coffee“ ist allerdings sehr schön.

Tindersticks – Distractions  9/10
Tindersticks – Distractions  9/10

Während sich Regener mit den Jazz- und Seasick Steve mit den Blues-Pionieren beschäftigten, haben die britischen Tindersticks offenbar den Krautrock der 1970er Jahre im Lockdown entdeckt. Sie scheinen viel Can gehört zu haben, denn das elfminütige „Man Alone (Can’t Stop the Fadin‘)“, mit dem das neue Werk „Distractions“ eröffnet wird, erinnert mit seinen aus alten Drum-Maschinen und analogem Bass hervorgeholten hypnotischen, monotonen Beats und Stuart Staples’ experimentellem, repetitivem Gesang sehr stark an die Kölner Avantgardisten. Es kommt dann noch besser: Der eindringliche Spoken-Word-Track „I Imagine You“ sowie die sehr eigenständigen und spannend instrumentierten Coverversionen von Neil Youngs „A Man Needs a Maid“ und des Television-Personalities-Songs „You’ll Have to Scream Louder“ sind schlichtweg genial. Ein mutiges „Sophisticated Pop“-Album!

Jane Birkin – Oh! Pardon tu dormais … 9/10
Jane Birkin – Oh! Pardon tu dormais … 9/10

Als eine ihrer großen Inspirationsquellen haben die Tindersticks immer auf Serge Gainsbourg verwiesen. Für Jane Birkin ist Letztgenannter natürlich die Inspirationsquelle schlechthin. Noch im Sommer 2019 war sie zusammen mit dem „Ensemble Symphonique Neuchâtel“ mit einem Gainsbourg-Programm an einigen Festivals zu Gast, das für Aufsehen sorgte und auch auf ihrem neuen Album „Oh! Pardon tu dormais …“, das Etienne Daho produziert hat, ist ihr ehemaliger Gatte und Mentor omnipräsent. Es ist opulent, voller wunderbar orchestrierter Chansons im Wechselspiel mit 60s Pop-Reminiszenzen sowie poetischen, teils schonungslosen, autobiografischen Texten und steht in der Tradition großer Gainsbourg-Werke wie „Histoire de Melody Nelson“. Ob sie nun ungelenk Französisch mit englischem Akzent oder Englisch mit französischem Akzent singt, sie trifft einen immer mitten ins Herz. Könnte sein, dass der 74-jährigen Birkin hier das Album ihres Lebens gelungen ist. Groß!

Ryan Adams – Wednesdays 7/10
Ryan Adams – Wednesdays 7/10

Schonungslose autobiografische Texte hätte man auch von Ryan Adams erwartet, der im Jahr 2019 gleich von sieben jungen Musikerinnen und ehemaligen Partnerinnen der emotionalen und sexuellen Nötigung beschuldigt wurde. Das will ihm aber auf seinem neuen Album „Wednesdays“ nicht so recht gelingen. Im Eröffnungssong „I’m Sorry and I Love You“ kann außer im Titel nicht wirklich die Rede von Einsicht oder gar Buße sein. Stattdessen eiert und jammert der 46-jährige aus North Carolina herum und suhlt sich in Selbstmitleid. Musikalisch sind die neuen Songs jedoch eine Offenbarung. Adams zeigt, dass er zusammen mit seinem Landsmann Conor Oberst immer noch einer der besten Singer-Songwriter seiner Generation ist. Highlight: das ein bisschen an Jackson Browne erinnernde und herrlich mit Orgel aufgemotzte „Birmingham“. Ein zwiespältiges, aber sehr schönes Americana-Album.

Steve Lukather – I Found the Sun Again 5/10
Steve Lukather – I Found the Sun Again 5/10

Steve Lukather, der Gitarrist von Toto, gehört hingegen zu jenen, die „hängengeblieben“ sind: hängengeblieben im Classic-Rock, wo die sogenannten „Shredder“ ihre Gitarren pfeifen ließen und ihre Finger über das Griffbrett jagten, um von anderen Gitarristen mit „Yeahs“ und „Wows“ bedacht zu werden; hängengeblieben in einer Zeit, in der es angesagt und hip war, jedem zu zeigen, dass Toto die besten Studiomusiker der Welt waren. Heute ist das definitiv nicht mehr hip und wirkt arg substanzlos. Einzige Ausnahme: das über achtminütige Cover von Robin Trowers „Bridge of Sighs“, in dem Lukather seinen Helden Trower und Hendrix huldigt und dennoch wie Lukather klingt und sogar verdammt gut singt, während Kollege David Paich zeigt, wie man eine Hammond-Orgel bedient. Fazit: „I Found the Sun Again“ ist ein AOR-Album, das niemand braucht – man sollte stattdessen Toto IV auflegen.

Joseph Williams – Denizent Tenant 5/10
Joseph Williams – Denizent Tenant 5/10

Genauso wenig braucht man die Einspielung „Denizent Tenant“ von Joseph Williams, Lukathers langjährigem Bandkollegen. Unter Fans wird bis heute darüber gestritten, ob denn Williams oder Bobby Kimball der bessere Toto-Sänger gewesen sei. Nun ja, beide waren sehr gut und der 60-jährige Williams hat immer noch ein gewaltiges Organ, aber die poppigen Songs, in die er seinen vorzüglichen Gesang hier packt, sind wirklich grenzwertig. Dieses Album, an dem zweifelsfrei gute Musiker im Studio mitgewirkt haben, das uns jedoch auch mit scheußlichen Keyboard-Sounds, kitschigen Balladen und Möchtegern-Soul den Garaus macht, hätte einem vor 30 Jahren wahrscheinlich nicht sonderlich gefallen; im Jahre 2021 ist es fast schon peinlich.

Celeste  – Not Your Muse  9/10
Celeste  – Not Your Muse  9/10

Man sollte Soul denjenigen überlassen, die etwas davon verstehen, wie beispielsweise der Sängerin Celeste und ihren Musikern. Die 26-Jährige mit der markanten Frisur, die an riesige Ohrenschützer erinnert, ist seit langem ein Geheim-Tipp, auf dessen erstes Album „Not Your Muse“ man knapp zwei Jahre warten musste, obwohl es bereits seit einer halben Ewigkeit Single-Auskopplungen gibt. Nun ist es endlich da und es ist sehr gut. Die Musik, die es beinhaltet, bezeichnen die einen als „schönen Retro-Soul ohne überflüssigen Firlefanz“, andere als „Neo-Soul, der auf Tradition setzt, ohne in der Vergangenheit stecken zu bleiben“. Die Stimme der Frau aus Brighton ist bei den langsamen Nummern zart, brüchig und emotionsgeladen wie die von Amy Winehouse oder Macy Gray, bei den treibenden, tanzbaren wie „Stop this Flame“ ist sie eine Naturgewalt. Schade, dass Aretha dieses Album nicht mehr hören kann.