Lust zu lesenMacht euch mal locker

Lust zu lesen / Macht euch mal locker
Björn Kuhligk Foto: Björn Kuhligk

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Als der vornamenlose Müller gerade für einige Tage nach Hiddensee übersetzen möchte, erhält er eine SMS von einer Laura, sein Bruder sei verstorben. Müller hatte zu seinem Bruder Thomas seit längerem keinen Kontakt mehr, war dieser doch eines Tages nach Kolumbien aufgebrochen, ohne sich später noch einmal zu melden.

Als der vornamenlose Müller gerade für einige Tage nach Hiddensee übersetzen möchte, erhält er eine SMS von einer Laura, sein Bruder sei verstorben. Müller hatte zu seinem Bruder Thomas seit längerem keinen Kontakt mehr, war dieser doch eines Tages nach Kolumbien aufgebrochen, ohne sich später noch einmal zu melden. Müller selbst ist Anfang vierzig und arbeitet für ein Unternehmen, das Daten für die medizinische Versorgung sammelt. Den europäischen Kontinent hat er noch nie verlassen, bucht nun aber einen Flug nach Cartagena, wo Laura, die Freundin seines Bruders, ihn erwartet. Sowohl Laura als auch er kommen mit der Situation schwer zurecht. Laura trauert, während in Müller Erinnerungen auftauchen, Anekdoten von gemeinsamen Erlebnissen mit seinem Bruder, wie sie über Autos gelaufen waren, wie Thomas ein Blitzgerät abmontiert hatte, wie Müller seinen Eltern in vielen Situationen geraten hatte, sie sollten sich mal locker machen. Dabei ist Müller selbst vor allem eins nicht: locker. Gehemmt, voller Ängste, kommt er unter der Sonne Kolumbiens nicht zu Potte und doch nicht zur Ruhe. Er trägt die Hemden seines Bruders, wohnt in dessen Zimmer, und Laura wird das zu viel. Sie hat das Gefühl, er macht sich überall breit und engt sie ein. Und doch steckt in dieser Reibung auch Anziehung. Müller entwickelt einen Hang, sich seinem Bruder anzugleichen, obwohl er sich immer sagt, dass er anders ist. Denn sein Bruder war nicht nur bereits als Jugendlicher der coolere, er hat auch in Kolumbien ein Leben geführt, das Müller nie in den Sinn gekommen wäre. Die Erbschaft ist dementsprechend riesig und Müller nun im Zwiespalt, ob er zurück nach Deutschland oder in Kolumbien bleiben soll.

Björn Kuhligk erzählt von dieser Unentschiedenheit in kleinen Szenen, die die Zerrissenheit seines Protagonisten auch stilistisch illustrieren. Gedächtnisfetzen wechseln sich ab mit kurzen Barszenen, Ausgelaugtheit mit aufbrausender Aggression, aber selbst Müllers Fluchtversuch ist ein Laufen auf der Stelle. Als Motto hat der gebürtige Berliner seinem Roman ein Zitat von César Vallejo vorangestellt: „Geliebt sei, wer sich hinsetzt“. Was so viel meint, wie zur Ruhe zu kommen, nicht nur körperlich und geistig, sondern sich zugleich wohlzufühlen in der Losgelöstheit von aller Bedrängnis. Und wie schon in früheren Büchern findet der Autor eine wunderbare Bildlichkeit für das Innen und Außen. Da gehören die weißen SUVs wie die Pelikane zur Stadt und hinterlassen im Vorbeifahren einen Streifen Musik; die Nachbarin hat ein Lachen, mit dem man Kleintiere erschlagen könnte; ein hellroter Kolibri steht wie ein aus dem Urwald gerissenes Stück Farbe vor der glockenförmigen Blüte einer Klettertrompete in der Luft.

„Der Landvermesser“ erzählt sprunghaft von einer Reise zum eigenen Ich. Kolumbien liegt immer auch in einem selbst. GuH

Björn Kuhligk<br />
Der Landvermesser. Roman.<br />
Atelier Verlag.<br />
176 S., 22 Euro
Björn Kuhligk
Der Landvermesser. Roman.
Atelier Verlag.
176 S., 22 Euro