Montag27. Oktober 2025

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Ukraine-KonfliktGeorgier erinnert sich an Krieg mit Russland:  „Wir hatten unsere AK-47 und waren vorbereitet“

Ukraine-Konflikt / Georgier erinnert sich an Krieg mit Russland:  „Wir hatten unsere AK-47 und waren vorbereitet“
Nur 14 Jahre nach dem Krieg mit Russland floriert Georgiens Hauptstadt Tiflis. Die Einwohner aber machen sich Sorgen. Foto: Editpress/Eric Hamus

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Für die Einwohner Georgiens ist es ein Déjà-vu: Wie die Ukraine wurde 2008 auch die Kaukasusrepublik von Russland angegriffen. „Mit dem einzigen Unterschied, dass dieser Krieg nur fünf Tage dauerte“, sagt Kartlos Chabashvili. Mit dem Tageblatt spricht der 35-jährige Georgier nun über seine Erinnerungen und die Zeit nach dem Krieg. Für Ukrainer hat der gelernte Tourismusexperte eine Botschaft parat: „Wir stehen euch bei!“

Jedes Mal wenn Aufnahmen aus der Ukraine über den Bildschirm flimmern, Bilder von zerstörten Wohnvierteln und vertriebenen Familien in den sozialen Netzwerken aufblitzen, fühlt sich Kartlos Chabashvili auf einen Schlag in den Sommer 2008 zurückversetzt. „Ich fühle immer noch den gleichen Schmerz. Das gleiche Zittern durchfährt meinen ganzen Körper. Meine Seele bricht“, sagt der 35-jährige Fremdenführer aus Tiflis.

22 Jahre alt war der Betreiber einer erfolgreichen Reiseagentur, als der schwelende Konflikt um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien am 8. August 2008 plötzlich in eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen seinem Heimatland und Russland umschlug. Kartlos hatte gerade sein Tourismusstudium abgeschlossen, als der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew „Gegenmaßnahmen“ gegen eine vermeintliche „Militäroffensive Georgiens“ ankündigte. Daraufhin wurde Georgien aus der Luft, über Land und über See angegriffen.

Als aktiver Reservist habe er keine Sekunde gezögert, unterstreicht der stolze Georgier gegenüber dem Tageblatt. Noch am selben Tag habe ihn sein Vater mit Freunden zur Militärbasis Vaziani in der Nähe von Tiflis gefahren. Die georgische Hauptstadt war kurz zuvor unter Bombenbeschuss geraten. „Meinem Vater hat das überhaupt nicht gefallen. Er wollte mich noch umstimmen. Allerdings hat er schnell eingesehen, dass es nichts nützt. Also hat er uns in Vaziani abgesetzt und ist wieder nach Hause gefahren. Dort haben wir uns dann mit Ausrüstung eingedeckt und sind zu unserer Einheit aufgebrochen“, erinnert sich der 35-Jährige.

Auf die Frage, ob er direkten Kontakt mit russischen Truppen gehabt habe, entgegnet Kartlos: „Leider nicht!“ Auch 14 Jahre später schwingt in seinen Worten immer noch Wut mit. Auf Russland, deren Führung und jene Soldaten, die seine Heimat angegriffen haben. Er sei zwar in Gori stationiert gewesen, als die Geburtsstadt Stalins bombardiert wurde. Feuergefechte an der Front habe er allerdings nicht erlebt.

Dennoch lässt der Georgier keine Zweifel daran, dass er sein Leben für Land und Leute aufs Spiel gesetzt hätte. Wie die vielen Ukrainer, die sich gerade der russischen Invasion widersetzen, sei auch er bereit gewesen, wenn nötig bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. „Wir hatten unsere AK-47 und waren vorbereitet. Leider haben wir keine russischen Soldaten vors Visier bekommen“, meint Kartlos mit bebender Stimme. Er habe viele Freunde im Krieg verloren, andere hätten psychische Schäden davon getragen. „Viele davon sind heute Volkshelden“, meint der junge Mann stolz.

Kartlos Chabashvili war 2008 als 22-jähriger Reservist in die Kampfhandlungen mit eingebunden
Kartlos Chabashvili war 2008 als 22-jähriger Reservist in die Kampfhandlungen mit eingebunden Foto: privat

Russisch kommt ihm nicht über die Lippen

Kartlos stammt ursprünglich aus Sighnaghi, dem administrativen Zentrum der Weinregion Kachetien. Bekannte beschreiben den verheirateten Vater zweier Söhne als ruhigen, besonnenen Menschen. Im Netz schwärmen die Kunden von seiner warmen, herzlichen Art. In Online-Reviews werden vor allem seine Professionalität und sein Fachwissen gepriesen. In der georgischen Fremdenverkehrsbranche gehört Kartlos Chabashvili zu den führenden Akteuren. Auch die staatlichen Behörden greifen regelmäßig auf seine Agentur „Inter Georgia Travel“ zurück, wenn es darum geht, Reisenden einen Abstecher in die Kaukasusrepublik schmackhaft zu machen.

Auch im Gespräch mit dem Tageblatt bleibt der junge Mann weitgehend gefasst. Aus seiner Abneigung gegenüber dem großen Nachbarn im Norden macht er allerdings keinen Hehl: Er hasse das Land, so Kartlos. Wenn er über Russen spricht, gebraucht er das Wort „Feinde“. Putin sei ein regelrechter Terrorist. „Ein Faschist, der Zivilisten umbringt. Erwachsene und Kinder, die einfach nur ein glückliches und sicheres Leben wollen.“ Als Fremdenführer habe er auch mit Besuchern aus Russland zu tun. Er spreche auch fließend Russisch. „Doch ich weigere mich, mit ihnen die Sprache zu sprechen. Es will mir einfach nicht über die Lippen kommen“, sagt Kartlos.

Es ärgere ihn, dass Russen in Massen ohne Visum nach Georgien einreisen dürften, während Moskau Georgiern die Einreise erschwert. Zudem befinde sich immer noch ein Teil seines Landes unter russischer Besatzung. So wisse er von Bekannten, die einen Hof in der Nähe der russischen Grenze führten. Vor einigen Jahren seien dort morgens plötzlich russische Soldaten aufgetaucht, um die Bewohner zu vertreiben. Das Haus befinde sich nämlich auf russischem Boden, so das Argument.

Kartlos gehört inzwischen zu den erfolgreichsten Akteuren in der georgischen Tourismusbranche. Er besticht mit Herzlichkeit und Fachwissen.
Kartlos gehört inzwischen zu den erfolgreichsten Akteuren in der georgischen Tourismusbranche. Er besticht mit Herzlichkeit und Fachwissen. Foto: Editpress/Eric Hamus

Schleichende Grenze in den abtrünnigen Regionen

Die „schleichende Grenze“ nennen die Georgier dieses Phänomen: Jeden Tag wird die Grenze von Moskau um einige Zentimeter nach Süden verschoben. Und tatsächlich: Allein im Sommer 2015 sollen die Russen die Grenzmarkierungen der abtrünnigen Republik Südossetien ganze eineinhalb Kilometer verlegt haben. In einigen Fällen verliefen die Zäune mitten durch Siedlungen. 1.500 Menschen seien damals aus 20 Dörfern vertrieben worden.

Ähnliches beobachtet Tiflis auch in Abchasien, der zweiten abtrünnigen Region des Landes unter Kontrolle des Kreml. Georgien wirft Russland deshalb eine schleichende Annexion vor. Sorgen, dass es dem Land bald ähnlich ergehen werde wie der Ukraine, bereiten vielen Georgiern derzeit schlaflose Nächte. Aus diesem Grund hat neben der Ukraine und Moldau nun auch Georgien einen Eilantrag auf Aufnahme in die EU gestellt.

Für Kartlos wiederhole sich gerade Geschichte: „Die Ukrainer machen jetzt genau das Gleiche durch. Auch ihre Heimat wird unter falschen Vorgaben von dieser übermächtigen Militärmacht angegriffen – mit dem einzigen Unterschied, dass der Krieg gegen Georgien nur fünf Tage dauerte, in der Ukraine aber nach mehr als zwei Wochen immer noch Schüsse fallen.“

Wie sein Heimatland sei auch die Ukraine ein junges Land, das sich nach einer Revolution dem Westen zugewandt habe. „Für uns war das damals eine schwere Zeit nach der Rosenrevolution. Trotzdem hatten wir es geschafft, demokratische Strukturen aufzubauen und Infrastrukturen zu modernisieren. Der Krieg mit Russland hat uns um Jahre zurückgeworfen. Alles stand kopf“, erinnert sich Kartlos. Dennoch habe man auch nach dem Krieg wieder zurück in die Spur gefunden. Auch wenn es viel Kraft gekostet habe.

Jeder einzelne Georgier fühle mit den Menschen in der Ukraine. „Wir stehen euch bei! Wir unterstützen euch! Wir können die Wut gut nachvollziehen, wir kennen die Schmerzen und die Wunden, die ihr erleiden müsst. Wir haben das Gleiche durchgemacht“, so Kartlos an die Ukrainer gewandt. Man habe gegen den gleichen Feind gekämpft, die gleiche Hölle durchgestanden. „Wir glauben aber daran, dass wieder bessere Zeiten kommen! Slava Ukraini! Geroiam Slava!“