SportkletternHochleistung am Felsen: Am Berdorfer Sandstein ist der Wettkampf erlaubt

Sportklettern / Hochleistung am Felsen: Am Berdorfer Sandstein ist der Wettkampf erlaubt
Am Felsen in Berdorf könnte es schon bald zu neuen Bestleistungen kommen Foto: Chrëscht Beneké

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Endlich sind die meisten Sportarten an der frischen Luft wieder erlaubt. Wettkämpfe bleiben in Luxemburg jedoch weiterhin explizit verboten. Als wahrscheinlich einzige Ausnahme kann man sich aktuell am Berdorfer Sandstein zu sportlichem Ruhm und Ehre hangeln, denn das Sportklettern am Felsen folgt eigenen Regeln.

Mit dem ursprünglichen Bergsteigen hat das heutige Sportklettern kaum noch was gemein. Mit den neuen Kletterschuhen und dem Gedanken, möglichst schwierige Routen ohne Hilfsmittel zu meistern, sind in den letzten 50 Jahren die gemeisterten Schwierigkeiten regelrecht explodiert. Auch weil mit immer mehr Kletter- und Boulderhallen – auch in und um Luxemburg – immer mehr Menschen mehr und besser trainieren und klettern. Weltweit sind es knapp 50 Millionen und bereits seit einigen Jahrzehnten küren sie bei nationalen und internationalen Meisterschaften die Besten. Der unbestritten stärkste Kletterer der Welt, der Tscheche Adam Ondra, weiß aber nicht einmal, welche seiner Spitzenleistungen er höher werten soll: „Ich kann nicht wirklich sagen, ob zweifacher Weltmeister (2014 im Vorstieg und Bouldern), 9b+ (bzw. 9c) zu klettern oder 9a zu onsighten (also ohne vorherige Informationen) mehr Wert hat.“

Zwar werden die sportlichen Wettkämpfe immer professioneller, und spätestens ab 2019 fokussierte sich nahezu die komplette Weltelite auf die geplante olympische Premiere in Tokio. Doch neben dem sportlichen Erfolg an künstlichen Wänden bleibt immer auch die Herausforderung am Naturfels. In seiner Innsbrucker Heimat wurde Jakob Schubert 2018 Weltmeister im Vorstiegsklettern und der Kombination. Für 2019 hatte der vierfache amtierende Weltcupsieger zwei Ziele: Als er sein Olympiaticket sicher hatte, ließ er die restliche Wettkampfsaison sausen und fuhr lieber mit dem Ziel des „Perfecto Mundo“ in das katalanische Klettereldorado. Im November 2019 wurde er der fünfte Kletterer, der die Schwierigkeit 9b+ meisterte.

Ohne Sturz und Pause

In der gebräuchlichsten französischen Skala ist die Schwierigkeit der ohne Sturz oder Pause zu kletternden Route in arabischen Zahlen gewertet, mit a, b, c, sowie jeweils einem möglichen + unterteilt. Nach Trainingsaufwand und je nach körperlichen Voraussetzungen könnte man eine 6a sehr grob mit einem beendeten Marathon vergleichen. Eine 6b, die vor dem Sportklettern nur den weltbesten Bergsteigern vorbehalten war, entspräche einer Zeit von 4 Stunden. Mit dem Trainingsaufwand für eine 7a laufen andere einen Marathon in 3:20 Stunden, also unter fünf Minuten pro Kilometer. Die magischen 3 Stunden sind dann vielleicht eine 7b+. Und der Ritterschlag im Sportklettern, eine 8a, wären dann bereits 2:40 Stunden. Vor knapp 30 Jahren schraubte Wolfgang Güllich mit der legendären „Action Directe“ die Schwierigkeit auf 9a. Was an olympisches Niveau heranreicht, denn keine 100 Kletterer sind seither 9a+ oder schwerer geklettert.

Am Felsen gibt es keinen wirklichen Wettkampf
Am Felsen gibt es keinen wirklichen Wettkampf Foto: Chrëscht Beneké

„Am Felsen gibt es keinen wirklichen Wettkampf, also auch kein offizielles Ranking“, erklärt der Präsident des Kletterverbandes FLERA, David Antunes. Allerdings gibt es die Seite 8a.nu, auf der zehntausende Kletterer nach ihren zehn besten Routen aufgeführt werden. Und die Print- sowie sozialen Medien, die die vielbeachteten Spitzenleistungen am Fels verkünden. Wobei man sich ohne Schiedsrichter auf die Angaben der Kletterer verlässt. Mit der Entscheidung zwischen Wettkampf- und Felsklettern tut sich der Sportfunktionär schwer. „Es ist total verschieden. Beim Wettkampf musst du auf den Tag und Punkt genau Leistung bringen, eine Route besteht in zehn oder zwanzig Jahren noch. Damit bleibt sie aber auch in der Geschichte stehen, so wie eine ‚Action Directe‘. Für mich persönlich hat das Felsklettern mehr Prestige, aber beide haben den gleichen Wert.“

Meilenstein in Berdorf

Als Güllich 1991 im Frankenjura mit dem berühmten Sprung aus einem Einfingerloch in ein scharfes Zweifingerloch der Sprung in den neunten Grad gelang, gelang auch in Berdorf ein Meilenstein. Mit der nach dem legendären Herrman Buhl benannten Route schwangen sich erst Raym Haupert und im gleichen Jahr ebenfalls Jacques Welter in den sogar sogleich mit einem Plus geschmückten achten Grad. Später verbesserte zuerst Jean-Marc Winkel den luxemburgischen Bestwert auf eine 8b. Wie die ähnlich starken Yves Schartz, Joël Groff, Patrick Englebert oder der von den Wettkämpfen zum Felsen gewechselten Anselm Geimer verbringt er seine Zeit lieber am Fels als bei irgendwelchen Wettkämpfen. „Klettern an Kunstgriffen ist für die einen Training für draußen. Mit ihren Trainingsplänen bleibt den meisten Wettkampfkletterern hingegen kaum Zeit für den Fels“, führt David Antunes aus und glaubt: „Wenn diese sich mehr Zeit für den Felsen nehmen, heben sie sicherlich das Niveau.“

Auch im Sportklettern sorgt das Coronavirus für eine Zäsur. Gerade als die internationale Saison starten sollte und kurz vor den nationalen Meisterschaften wurde der Klettersport auf unbestimmte Zeit gestoppt. „Die letzten beiden Monate gab es keine Möglichkeit, am Fels oder in den Hallen zu klettern, für unser Nationalteam (Rafael Coronado, Jim Zeimes und Perrine Bieux) und das Team Lëtzebuerg blieb wenig mehr als Klimmzüge“, erklärt der Verbandspräsident. So ziemlich jeder ambitionierte Kletterer hat jedoch zumindest ein Griffbrett über dem Türrahmen hängen, um die wichtige spezifische Fingerkraft zu trainieren. Einerseits blieb mit dem Shutdown selbst den Felskletterern wochenlang nur das oft ungeliebte, aber effiziente Training an schmalen Leisten. Und andererseits haben die Wettkämpfer jetzt plötzlich Zeit für das Klettern am Fels.

Der Fels als Lebenseinstellung

Die nächsten Monate könnten in Berdorf spannend werden. Erste persönliche Bestleistungen rund um den achten Grad lassen jedenfalls bereits erahnen, wer motiviert blieb oder vielleicht eine kleine Boulderwand in der Garage oder unterm Dach hat. Ein „Clash of cultures“ steht dabei nicht zu befürchten. „Draußen zu klettern, ist eine andere Herangehensweise, es geht auch viel um das Naturerlebnis. Nicht nur Sport, möglichst schwere Routen zu konsumieren“, philosophiert David Antunes. Seine persönliche Herausforderung findet dabei jeder zuerst für sich an seinem jeweiligen Leistungsniveau. Was ziemlich unabhängig vom Geschlecht ist, wie nicht zuletzt Angela Eiter mit der ersten 9b einer Frau 2017 eindrucksvoll bewies.

Statt sich weiter auf die Spiele vorzubereiten, feierte der anfangs erwähnte Adam Ondra gleich nach Beendigung der Beschränkungen die Erstbegehung von „Bohemian Rhapsody“ (9a+) als schwerste Route seiner Heimat. Die Unterschiede im Sportklettern erklärt Ondra dabei ähnlich wie Antunes: „Für mich ist Wettkampfklettern ein Sport, den ich wegen der Herausforderung mag und für die Motivation, hart zu trainieren und besser zu werden. Am Fels geht es mehr um die Lebenseinstellung. Natürlich mag ich es, harte Routen zu klettern, aber auch den Rest. Nicht nur die Bewegung am Fels, sondern auch der Zustieg, das Zusammenleben mit den anderen, in der Natur zu sein.“

Gerade in der Corona-Auszeit könnten Sportler manches von der Einstellung der Felskletterer lernen. Nach frühen Wettkampferfolgen inspiriert der 39-jährige US-Amerikaner Chris Sharma seit der Jahrtausendwende lieber andere Kletterer mit außergewöhnlichen Projekten am Fels. 2009 hatte der Wahlkatalane so „La dura dura“ eingebohrt, aber anfangs als zu schwer verworfen. Später trainierte er gemeinsam mit Adam Ondra während mehr als einem Jahr an der Route, gegenseitig feuerten sie sich an und halfen sich. Auf eine etwaige Konkurrenz angesprochen, erwiderte er: „Es ist, wie wenn sich zwei sehr gute Musiker begegnen. Man kann versuchen, herauszufinden, wer der Bessere ist. Oder einfach schauen, was man zusammen hinbekommt.“ Im Februar 2013 freuten sie sich über den Durchstieg von Ondra, einen Monat später schaffte auch Sharma die damals schwerste Route der Welt (9b+).

Für viele Kletterer bedeutet der Fels auch Lebenseinstellung
Für viele Kletterer bedeutet der Fels auch Lebenseinstellung Foto: Chrëscht Beneké