„Schreibste noch“, fragt die Nachbarin, als sie Äpfel holen kommt in seinem Garten. So, wie schon seit Jahrzehnten. Sie wartet nicht auf eine Antwort des Dichters, sie wird kryptisch: „Es gibt nur eine Antwort: Schreib unbesonnen – wenn du das tust, wird nichts überleben, das nicht grünt.“ Mit dieser Botschaft lässt sie den alten Mann stehen.
Und der schreibt weiter. Alltagsgeschichten, Erinnerungen, Eindrücke von Menschen und Ereignissen, Erlebnisse, Trümmergeschichten aus der Kriegszeit. Alles, was mächtig wiederaufersteht in seinen Gedanken. Jürgen Becker, der am 10. Juli 85 Jahre alt wird, vergewissert sich seit Jahrzehnten an der von ihm miterlebten Zeitgeschichte. „Jeder Augenblick hat seine Biografie“, heißt es. „Jede Situation hat eine Geschichte, die man kennen muss, um das Woher und Wieso zu verstehen.“ Jetzt legt er „Graugänse über Toronto“ vor.
Opposition zum herkömmlichen Erzählen
Becker wurde in Köln geboren, zog aber als Siebenjähriger mit der Familie nach Erfurt. Dort erlebte er als Kind die Besetzung Thüringens durch die Rote Armee. 1947 kehrte er in seine Geburtsstadt zurück, ging aufs Gymnasium, jobbte, wurde freier Schriftsteller, Mitarbeiter des Westdeutschen Rundfunks, Lektor beim Verlag Rowohlt, lange Jahre Leiter der Hörspielabteilung im Deutschlandfunk. Heute lebt er mit seiner Frau, der Künstlerin Rango Bohne, im Bergischen Land.
Seine Lyrik war stets experimentell, eine Opposition zum herkömmlichen Erzählen, der Versuch, offen zu schreiben. 2014 erhielt er den Georg-Büchner-Preis, gewürdigt als „eine maßgebliche Stimme der zeitgenössischen Poesie“. Damit mache er „unsere alltäglich erlebte Welt auf neue Weise unsichtbar und unvergesslich“. Es war nicht sein erster Preis, wenngleich wohl die wertvollste Anerkennung.
Becker ermittelt „Grundton der Jahrzehnte“
Als Lyriker steht er nicht in der vorderen Riege der Schriftsteller, jüngere Menschen kennen ihn kaum, obwohl er einer der besten lebenden Dichter deutscher Sprache ist. Aber Becker, der so viele Gedichte verfasste, hat auch viele Hörspiele und Erzählungen geschrieben. Er ist ein Meister der Sprache und probiert als Dauerprojekt, das Vergangene mit dem Gegenwärtigen zu verbinden, in der Sprache Gleichzeitigkeit zu schaffen. So auch in seinem neuen „Journalgedicht“ bei Suhrkamp. Es ist eines seiner Journale, die Sätze, Gedichte, Geschichten und Romane zusammenbringen. Ein Tagebuch ganz eigener Art, Beckers Eigenart.
Das geht so: Er schreibt von früher und landet punktgenau in der Gegenwart. Erinnerungen werden sortiert, Beobachtungen gesammelt – dann wird eine Verflechtung dieser Ereignisse angestrebt, der „Grundton der Jahrzehnte“ ermittelt. Becker ist Chronist, als solcher darf er das Erhabene mit dem Banalen verknüpfen, beides gehört zum Leben. „Öltropfen auf Küchenfliesen; beim Einfüllen hat die Kanne gewackelt.“ „Wer desertierte, wurde an die Wand gestellt.“ „Der Traum vom Traum, der keiner mehr ist.“ „Die Pappeln raschelten die ganze Nacht.“
Das Leben stellt den Zusammenhang her
Worin der Zusammenhang besteht? Es ist das Leben, das einem solches unterschiebt. Jeden Tag. Die Sequenzen werden über mehrere Zeilen hinweg erzählt, dann kommt plötzlich ein anderes Thema. Intensiver wird es, geht es darum, wer noch lebt. „Sag ein paar Namen, und du wunderst dich, dass keiner aufschaut und nickt.“ Da schiebt sich Melancholie in den Alltag.
Becker findet Sätze, an denen man lange dranhängen kann. Etwa: „Im Rückspiegel fließen die Situationen weg, die für unser Fahrverhalten maßgebend waren.“ Nur ein Dichter kann das so sehen.
– Roland Mischke –

Jürgen Becker: „Graugänse über Toronto. Journalgedicht.“ Suhrkamp, Berlin, 2017, 96 S.
De Maart
"t"! Villmools Merci!
Schreiwen ass dat, waars Du denger Nowelt wëlls hannerloossen! Schreif fir dech, net fir Anerer! Si kënnen dech liesen. Wann se wëllen! Ob dengen Blog, déi du all Dag schreifs! An dengen Bicher déi Du verëffentlecht! Si sinn mat deenen klengen Oplagen, zwar méi deier, wéi aner Bicher! Dat wat Du schreifs, geet op Pabeier festgehalen, wéi Du Welt an denger sozialen Otemkreess empfënns! Ech hunn eng Schreiwschwächt! Dat hënnert mech net drun weider all Dag ze schreiwen! De Spellchecker ass mäi beschten Mataarbechter! Oft ass et schwéier eng Dréckerei ze fannen, fir deng Bicher ze drécken! Well dat, wat du geschriwwen hues, ass deng, net ugepassten Wuerecht!
Schreiwen, ass eng Méiglechkeet, dech an denger Fräiheet aus ze drécken! Wat du denks!
Ob du jee eng Kéier, vun den politeschen Kulturbanausen un erkannt gees!
Ass net esou wichteg!
Haaptsaach Du schreifs!