Jeden Abend stellen die Mobilfunkbetreiber in weiten Teilen Afghanistans das Handynetz ab und schalten es erst am anderen Morgen wieder an. In einem Land, wo weniger als ein halbes Prozent der Bevölkerung über eine Festnetzverbindung verfügt, werden so Millionen für mehrere Stunden von der Außenwelt abgeschnitten. Die Gründe für die Ausfälle sind weder technischer noch wirtschaftlicher Natur: Die Taliban befehlen den Anbietern, ihr Netz abzustellen. Wer nicht gehorcht, dessen Antennen setzen sie in Brand. Techniker, die sie reparieren sollen, schüchtern sie ein.
Die Störungen sind Teil einer neuen Strategie der Taliban. Zehn Jahre Krieg gegen die Nato-Truppen haben sie militärisch dezimiert. Zu groß angelegten Offensiven sind sie kaum mehr fähig. Gleichzeitig ist ihnen nicht entgangen, dass der Westen kriegsmüde ist. Seit letztem Jahr gibt es einen Rückzugsplan, wonach bis 2014 sämtliche ausländischen Soldaten das Land am Hindukusch verlassen sollen. Anstatt ihre verbleibenden Ressourcen in einem Abnützungskrieg gegen einen überlegenen Gegner zu verschwenden, setzen sie zunehmend auf Soft War.
„Wir sind immer noch da“
Das Phänomen der Mobilfunk-Sabotage wurde zunächst als rein taktische Massnahme der Taliban interpretiert. „Unser Hauptziel ist, es dem Gegner zu erschweren, unsere Kämpfer aufzuspüren“, wird ein Taliban-Sprecher in der „New York Times“ zitiert. Einerseits können während des Unterbruchs keine Gespräche abgehört werden, andererseits können Informanten keine Anrufe tätigen und den Aufenthaltsort von Taliban-Kämpfern verraten. Von Beginn weg gab es allerdings Zweifel an dieser Erklärung. Wenn der Schutz der eigenen Kämpfer das Hauptziel ist, wäre es reichlich naiv: Schliesslich können auch tagsüber Gespräche abgehört und Hinweise übermittelt werden.
Der eigentliche Zweck ist ein anderer, ist Hajji Mohammad Hazrat Janan, Chef der Lokalregierung der Provinz Wardak, überzeugt: „In den Gebieten, welche die Taliban direkt oder indirekt kontrollieren, verlangen sie, dass das Netz von 17 bis 8 Uhr abgestellt wird. Dadurch wissen wir, dass sie hier sind.“ Mit anderen Worten: Militärisch mögen sie nicht mehr in der Lage sein, Präsenz zu markieren. Über die Mobilfunkantennen hingegen signalisieren sie den Menschen unmittelbar, dass sie immer noch vor Ort sind und über Einfluss verfügen.
Image-Korrektur der Taliban
Der „Mobilfunk-Terror“ hat neben seinem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis einen weiteren Vorteil für die Taliban: Im Unterschied zu Terroranschlägen werden keine Zivilisten gefährdet. Generell versuchen die Islamisten, die Exzesse ihrer Herrschaft in den 1990er Jahren zu korrigieren und sich ihren Landsleuten als gemäßigte Kraft zu empfehlen. Ende August etwa erklärte ihr Chef Mullah Omar, dass er alle Volksgruppen in die Regierung einbinden will, wenn er wieder an der Macht ist. Ein Taliban-Sprecher erklärte zudem, dass im Unterschied zu früher auch den Mädchen Schulbildung offen stehen würde.
Dass die Taliban nicht plötzlich zu Friedenstauben geworden sind, zeigen die jüngsten Anschläge auf das Botschaftsviertel in Kabul und die Ermordung Burhanuddin Rabbanis. Allerdings tragen auch diese Aktionen die Handschrift ihrer neuen Strategie. Den Krieg in die urbanen Zentren zu tragen, bringt den Taliban viele Vorteile. Hier können sie trotz ihrer geringeren Schlagkraft ausgewählte, prominente Ziele angreifen. Die ungeteilte nationale und internationale Aufmerksamkeit ist ihnen dabei gewiss. Die Möglichkeiten der Nato, in den Städten ihre Lufthoheit auszuspielen, sind aufgrund der Gefahren für Zivilisten hingegen eingeschränkt.
2014 scheint weit weg und vielleicht wird die Nato sogar noch länger bleiben. Doch irgendwann wird der Westen Afghanistan wieder sich selbst überlassen. Die Taliban haben längst begonnen, sich auf diesen Tag vorzubereiten. Zeitdruck haben sie im Unterschied zur Nato nicht.
De Maart

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