„In dieser besonderen Zeit benötigt Tunesien die Hilfe befreundeter Länder“, beteuerte der tunesische Finanzminister Houcine Dimassi am Dienstag in Tunis.
Ein Jahr nach der Revolution, die den ehemaligen Diktator Ben Ali aus dem Land jagte, befindet sich der nordafrikanische Staat in einer Phase des Wiederaufbaus und sieht sich mit etlichen Herausforderungen konfrontiert. Luxemburg ist eines der europäischen Länder, die sich aktiv an der Unterstützung des Demokratie-Aufbaus in Tunesien beteiligen wollen.
Das Großherzogtum unterstützt bereits zusammen mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) Projekte im Bereich der Mikrofinanzen in Höhe von vier Millionen Euro (Luxemburg gibt zwei Millionen und die EIB ebenfalls). Die Mikrofinanz ermögliche es jungen Leuten, ihre eigenen Projekte zu realisieren, erklärte Dimassi. Folglich hilft dies nicht nur dem wirtschaftlichen Aufschwung, sondern auch bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Und Tunesien benötigt dringend neue Jobs. Jedes Jahr erhalten rund 50.000 Menschen einen Universitätsabschluss, doch von insgesamt 800.000 Arbeitslosen sind 200.000 Uni-Absolventen.
Tunis braucht Hilfe
Luxemburg will jedenfalls seinen Beitrag leisten und folglich soll die Kooperation zwischen den beiden Ländern ausgeweitet werden. Tunesien erhofft sich vor allem Investitionen im Bereich der Industrie sowie finanzielle Hilfen. Der tunesische Kooperationsminister Riadh Bettaïeb wünscht sich außerdem eine privilegierte Partnerschaft Tunesiens mit der EU und die Möglichkeit, von den EU-Regionalfonds profitieren zu können. Doch auch die Rückkehr der europäischen Touristen wird sehnsüchtig erwartet. Der Tourismus-Sektor ist eine der Haupteinnahmequellen des Landes, doch im Jahr 2011 sind diese Einnahmen um rund 30 Prozent zurückgegangen.
„Ohne wirtschaftliche Perspektiven hat das Land keine sozialen Perspektiven, und hier liegt der springende Punkt“, meinte Jean Asselborn. Die Jasminrevolution strebte nicht nur mehr Freiheit und Demokratie an, auch die Forderung nach der sozialen Gerechtigkeit war vorrangig. Die Erwartungen der Bevölkerung sind enorm. Doch die Armut in Tunesien wird weiterhin auf 25 Prozent geschätzt. Das Ben-Ali-Regime brüstete sich zwar jahrelang mit Armutszahlen von vier Prozent, die Statistiken waren allerdings gefälscht und keineswegs realitätsgetreu.
Gründe zur Zuversicht
Tunesien hat derzeit ein Bruttoinlandsprodukt von rund 35 Millionen Euro für eine Bevölkerung von elf Millionen Menschen. Das Land braucht also zusätzliche Einnahmen, um sein Budget ausgleichen zu können. Die weiterhin bestehenden Subventionen für Grundnahrungsmittel und Benzin stellen einen wichtigen Teil des Staatshaushalts dar, ohne sie droht das Land jedoch in die soziale Misere zu fallen.
Die Liste der Herausforderungen ist groß, doch es gibt auch positive Aussichten. Tunesien ist eines der wenigen nordafrikanischen Länder, die eine solide Basis für den Aufbau eines Sozialstaats aufweisen können. So gibt es beispielsweise eine Rentenkasse, eine Sozialversicherung und öffentliche Krankenhäuser. Auch wenn diese sicherlich verbesserungsfähig sind, zeigte sich Asselborn dennoch zuversichtlich, dass sie ein Fundament bilden, auf das man aufbauen kann.
35 Prozent
Auch die starke Präsenz der Ennahda-Partei in der Regierung und im Parlament beunruhigt den Luxemburger Außenminister nicht. Bei den ersten freien Wahlen im Oktober 2011 hatte die moderate islamistische Partei 35 Prozent der Stimmen erhalten. Daraufhin erhielt Ennahda (übersetzt „Wiedererwachen“) einige der wichtigsten Posten in der neuen Regierung. „Wenn wir Demokratie wollen, müssen wir auch die Wahlresultate akzeptieren. Die einzige Anforderung, die wir stellen können, ist die des Respekts der Menschenrechte“, sagte Asselborn, der davor warnt, sämtliche islamischen Parteien sofort mit Extremismus und Terrorismus in Verbindung zu bringen.
Jean Asselborn sprach nicht nur mit Finanzminister Dimassi (ein Universitätsprofessor für Wirtschaftswissenschaften, der keiner Partei angehört) und Kooperationsminister Bettaïeb (Ennahda), sondern auch mit dem Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Touhami Abdouli, der der linksgerichteten Ettakatol angehört.
(Michelle Cloos/Tunis/Tageblatt.lu)
De Maart

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