Das IOC hat ein Problem: Ausgerechnet das Gedenken an den schwärzesten Moment seiner Geschichte hat die Ringe-Organisation mitten in den finalen Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele in London in politische Erklärungsnot gestürzt. Angeführt von US-Präsident Barack Obama fordert die internationale Politik eine Schweigeminute während der Eröffnungsfeier für die israelischen Opfer des Terroranschlags bei den München-Spielen 1972 – das IOC lehnt diese Würdigung angesichts des Konfliktpotenzials weiter kategorisch ab.
Der jüdische Weltkongress verurteilte das Internationale Olympische Komitee (IOC) dafür prompt als realitätsfremd. „Baron Rogge und seine Kollegen der IOC-Exekutive haben komplett versagt“, hieß es in einer Erklärung vom Sonntag. Nach einem Bericht der „Sunday Times“ befürchtet der israelische Geheimdienst Mossad sogar eine Art „Jubiläums-Anschlag“.
Gedenkfeier statt Schweigeminute
Die Zeremonie am Freitag im Londoner Olympiastadion sei „nicht der geeignete Anlass für ein Gedenken dieser tragischen Tat“, begründete IOC-Präsident Jacques Rogge. Er verwies auf eine traditionelle Gedenkfeier, die vom Nationalen Olympischen Komitee (NOK) Israels jeweils bei Olympia abgehalten wird; dieses Mal am 6. August in Londons Guildhall. Bei dem Überfall eines palästinensischen Terrorkommandos auf die israelische Olympia-Delegation waren am 5. September 1972 elf Mannschaftsmitglieder und ein deutscher Polizist ums Leben gekommen.
Die Situation ist heikel und kommt zur Unzeit. Nicht nur Obama erklärte, die Kampagne für eine Schweigeminute zu unterstützen. Auch das kanadische Parlament, Australiens Premierministerin Julia Gillard, britische Parlamentarier und sogar Rogges Landsmann, der belgische Sportminister Philippe Muyters, wendeten sich mit ähnlichen Forderungern an das IOC. Das IOC scheint es eher zu riskieren, Obama, andere prominente Politiker und Israel zu brüskieren, als eine Schweigeminute abzuhalten.
Konflikte mit arabischer Welt
Tatsächlich gehen die Olympier durch die Absage an Israel möglichen Konflikten mit der arabischen Welt aus dem Weg. 23 arabische und 53 muslimische Länder sind derzeit unter dem IOC-Dach vereint. Er könne die Rufe nach einer Schweigeminute verstehen, hatte das israelische IOC-Mitglied Alex Gilady der Nachrichtenagentur dpa bereits Mitte Mai gesagt. „Ich verstehe sie, kann sie aber nicht unterstützen. Sie könnte die olympische Einheit gefährden.“
Der israelisch-arabische Konflikt bedroht Olympia in vielfältiger Weise. Laut eines Berichts der „Sunday Times“ seien britische und israelische Sicherheitskräfte aus Angst vor einem möglichen Anschlag in erhöhter Alarmbereitschaft. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak warnte im israelischen Rundfunk vor einer „globalen Terrorkampagne“ des Irans und der mit ihm verbündeten Hisbollah im Libanon. Die britischen Sicherheitskräfte erhielten Unterstützung von vielen internationalen Sicherheitsorganen, um einen Anschlag während der Olympischen Spiele in London zu verhindern, sagte der 70-Jährige.
An den Wettkampfstätten will das IOC hart durchgreifen. In einem Schreiben an alle Nationalen Olympischen Komitees (NOK) hat das IOC mit massiven Sanktionen gedroht, sollte sich ein Athlet – unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – weigern, gegen einen anderen Athleten anzutreten. Bei vergangenen Olympischen Spielen hatten Sportler Irans, der den Staat Israel nicht anerkennt, unter dem Vorwand einer Verletzung oder Erkrankung immer wieder israelische Athleten boykottiert. „Wir haben alle daran erinnert, dass diese Praxis in der olympischen Charta komplett verboten ist“, sagte Rogge.
De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können