Dienstag11. November 2025

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Schwere Themen – leichte Kost

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Das Tageblatt beginnt eine neue Artikelreihe: Das Mittagsgespräch: eine Plauderei über schwere und leichte Themen beim Mittagessen: Erster Gesprächspartner: Yves Kuhn, Chief Investment Officer der BIL.

Mittagessen sind im Geschäftsleben eine Möglichkeit, viele Themen miteinander zu verbinden, auf einer anderen Ebene miteinander zu reden. Das ist nicht anders, wenn Journalisten sich mit Managern oder Politikern und Künstlern zum Essen treffen.

Auf der Karte

Das Essen:

- Bouillabaisse de poisson et croûtons
- Lieu et émincé de poireaux à la crème
- Crème brûlée

Der Wein:

- Château de Beaune 2004 premier cru
Bouchard Père & Fils

Wir sind zu Gast bei der BIL, stehen zu dritt in einer Reihe in einem kleinen als Speisesaal eingerichteten Raum in der fünften Etage. Wir haben ein Glas Tomatensaft in der Hand und schauen über eine Terrasse hinweg einer Bombardier Q400 der Luxair beim Landeanflug zum Flughafen Findel zu.

Die Einflugschneise führt am Gebäude der BIL an der route d’Esch vorbei. „Was halten Sie von der Aussicht?“, fragt Yves Kuhn und weiß sich einig mit uns, dass dies die wohl interessanteste Aussicht über die Dächer von Luxemburg hinweg ist. Die fünfte Etage ist zugleich Vorstandsetage. Kuhn residiert in einem Büro mit Ausblick. Zum Mittagessen wird er begleitet von Tom Anen, Kommunikationsdirektor der BIL.

Ausland

Yves Kuhn ist Luxemburger und nach 22 Jahren im Ausland nach Hause zurückgekehrt. Er ist gerade 48 Jahre alt geworden. „Ich habe mich noch nicht so ganz daran gewöhnt, schon in diesem Alter angekommen zu sein“, erzählt er. Das hat seinen Grund. Natürlich hat er in dem einen Jahr, in dem er nun schon wieder in Luxemburg ist, seine Klassenkameraden wiedergefunden, natürlich hat er auch alte Lehrer wiedergetroffen. Aber: Es hat ihn berührt, sagt er, dass ein Lehrer ihn tatsächlich nicht wiedererkannt hat. Daher auch das Nachdenken darüber, dass er „schon“ 48 Jahre alt geworden ist. Kuhn ist ein freundlicher Mensch, groß, trägt eine weiße Brille und spricht bedächtig, überlegt. In der Schweiz war er bei Swisscanto zuständig für die Anlage der Pensionskassen.

Insgesamt aber, erzählt er beim Servieren der Vorspeise, eine Bouillabaisse de poisson et croûtons, seinen Lebensweg.

Der Kreis hat sich für ihn zunächst geschlossen. Er geht von Luxemburg aus über die Studien in der Schweiz, über Deutschland, die Niederlande, wo er ein MBA-Studium absolvierte, wieder Deutschland, dann London und die Schweiz zurück nach Luxemburg. Yves Kuhn schmunzelt, wenn er an einzelne Stationen denkt. Mit einem Partner der Pictet-Bank, der die Bank verlassen hatte, managte er in London einen Hedgefonds, den er von zehn Millionen auf eine Milliarde verwaltetes Vermögen brachte. Hat er damit zu den „bösen“ Menschen der Finanzkrise gehört? Das sei eine Denkweise, die insbesondere in zwei Staaten stattgefunden habe, weist er die Frage lächelnd zurück. In einem Staat – um nicht Deutschland zu sagen – habe man auch seine staatlichen Banken mit solchen politischen Vorstellungen schützen müssen.

Studium

Yves Kuhn überrascht noch bei der Vorspeise mit Aussagen zu seinem Studium. Telekom-Ingenieur ist er eigentlich, aber den Weg in die Finanzwelt hat er schnell gefunden. Der Wein auf dem Tisch ist ein weißer. Er passt zum Sommer und zum Essen, obwohl sich langsam auch die neue Sitte einschleicht, zu Fisch einen leichten Roten zu trinken. Aber das ist Geschmacksache. Den ausgezeichneten Château de Beaune 2004 premier cru habe wohl der Sommelier ausgesucht, meint Tom Anen. Der Sommelier könnte in der Zukunft einen Gesprächspartner bekommen. So ganz nebenbei lässt Kuhn verlauten, dass er während des Studiums als Spezialfach auch Önologie studierte, sich für diese Fähigkeit bisher aber noch niemand interessiert habe. Die BIL hat ein Vielseitigkeitstalent eingekauft.

Wo ist eigentlich Heimat, wo das Zuhause, wenn man 22 Jahre beruflich durch Europa gereist ist und in doch so unterschiedlichen europäischen Kulturen gelebt und gearbeitet hat? „Sie liegen wohl dort, wo man seine Freunde hat und wo die Familie ist“, sagt der Chef Investor der BIL nachdenklich.

„Luxemburg hat für mich einen besonderen Stellenwert. Hier habe ich meine Jugend verbracht. Hier finde ich meine Schulfreunde wieder.“ Allerdings betrachtet er Luxemburg doch eher nachdenklich. Man merke, dass das Land über seine Verhältnisse lebe. Das Wohlbefinden in Luxemburg lasse nach, befindet er.

Berufsstand

Bei „Lieu auf émincé de poireaux“ denkt Kuhn über seinen Berufsstand nach. Ein Chief Investment Officer müsse auf vier Ebenen arbeiten: Er müsse ein Gefühl für die Bewertung von Aktiva entwickeln und sich fragen, welche Werte als Aktiva für seine Bank geeignet seien. Er müsse Bilanzen verstehen. Er müsse Unternehmens-Managern zuhören und Fragen stellen können. Und schließlich müsse er über Marktpsychologie verfügen. Mit anderen Worten: Er müsse verstehen, wie andere denken. Am wichtigsten seien dabei das Gefühl und die Psychologie. „Alles andere kann man lernen“, sagt er. Liegt er dabei auch falsch? „Sagen wir, alle zwei Tage sagt einem der Markt, dass man sich geirrt hat“, lächelt er. „Die Kunst liegt dann darin, trotzdem positiv zu bleiben und am Ende dennoch Erfolg zu haben“.

Wie üblich beim Mittagessen, kommt man zu den ernsten Themen beim Nachtisch. Während die Crème brûlée am Tisch angezündet wird, wird die Krise als Beilage dazuserviert. „Wir sind unvorstellbar nahe am schwarzen Loch vorbeigekommen“, meint Kuhn. „Wir sind im Zyklus aber 18 bis 24 Monte hinter den USA zurück. Unser Umfeld ist fragil. Die Krise ist noch voll da. Das Vertrauen kommt nur ganz langsam wieder.“ Frankreich hingegen macht ihm Sorgen. Ein einfacher Satz, der bei längerem Nachdenken doch Unruhe schafft.

Seit Beginn des Mittagessens liegen zwei Mappen mit 45 Seiten Grafiken auf dem Tisch. Eine davon liegt Yves Kuhn besonders am Herzen. Es ist eine Langzeitstudie über die Rendite 20-jähriger amerikanischer Staatsanleihen von 1900 bis 2012, die er beim Kaffee aufschlägt.

Abwärtstrend

Nach einem 30-Jahres-Abwärtstrend liegt sie derzeit bei 2,7 Prozent. Nimmt man nur den letzten Trend über 30 Jahre, sieht man nur einen Abwärtstrend. Nimmt man die Entwicklung über 112 Jahre, dann wartet Yves Kuhn jetzt auf den Augenblick, wo die Rendite wieder in die Höhe geht; bei Anleihen wird dann wohl ein starker Gegenwind zu spüren sein. Aber von der grundsätzlichen Trendwende – ganz vorsichtig – ist er überzeugt. Mit dieser Überzeugung geht ein zweistündiges Mittagsgespräch im fünften Stock der BIL zu Ende.

Während wir uns die Hände reichen, fliegt eine Cargolux-Maschine über Luxemburg hinweg und setzt zum Landeanflug auf Findel an.

(Helmut Wyrwich / Tageblatt.lu)