Ein blaues Auge nach einem Streit mit dem Partner, eine zerrissene Strumpfhose nach einer Partynacht oder der immerzu aufdringliche Chef im Büro: Die Berichte von weiblichen Gewaltopfern sind sehr unterschiedlich. In der Europäischen Union gibt es erschreckend viele von ihnen, wie eine neue Studie zeigt. Jede dritte Frau in der EU hat demnach seit ihrer Jugend schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Das sind etwa 62 Millionen. Fünf Prozent davon sind vergewaltigt worden, wie die EU-Grundrechte-Agentur (FRA) berichtete.
Oft lauert die Gefahr für Frauen in den eigenen vier Wänden: 22 Prozent aller Befragten gaben an, körperliche oder sexuelle Gewalt durch den eigenen Partner erfahren zu haben. Zu körperlicher Gewalt zählt die Studie etwa, wenn Frauen geschlagen, an den Haaren gezogen, geschubst oder mit harten Objekten attackiert werden. Sexuelle Gewalt bedeute Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung.
Für die Untersuchung wurden erstmals 42.000 Frauen befragt, pro Land wurden 1.500 Frauen (mit Ausnahme von Luxemburg mit 908 Personen) im Alter von 18 bis 74 Jahren zufällig ausgewählt. Die Fragen bezogen sich auf Erfahrungen und Vorfälle seit dem 15. Lebensjahr. Sie wurden in persönlichen Gesprächen von Interviewerinnen zu ihren Erfahrungen mit sexueller, physischer und psychischer Gewalt befragt.
Luxemburg schneidet sehr schlecht ab
Laut Studie ist die Gewalt gegen Frauen in Luxemburg, Zypern, Dänemark, Griechenland, Schweden zwischen 2003-2009 gestiegen. Die höchste Gewalt-Rate meldeten Frauen der Studie zufolge in den drei nordischen Ländern Dänemark (52 Prozent), Finnland (47 Prozent) und Schweden (46 Prozent). Auch unser Nachbarland Frankreich schneidet mit 44 Prozent schlecht ab. Luxemburg kommt mit 38 Prozent auf Rang 7 und liegt über dem EU-Durchschnitt (33 Prozent). Belgien kommt auf 36 Prozent. In Polen, Österreich und Kroatien gibt es mit jeweils rund 20 Prozent demnach vergleichsweise am wenigsten Gewalt.
Bezüglich von Stalking-Fällen hat Schweden die Nase vorn mit 9 Prozent gefolgt von Frankreich (8 Prozent) und Luxemburg (7 Prozent). Der Anteil der Personen, denen Fällen von häuslicher Gewalt bekannt sind, ist in in den letzten zehn Jahren (1999-2010) von 19 Prozent auf 25 Prozent gewachsen. Laut Studie ist der Anteil vor allem in Belgien, Luxemburg und Schweden gestiegen.
Schutzmaßnahmen
Präventiv- sowie Schutzmaßnahmen gegen häusliche Gewalt sind in allen EU-Ländern vorhanden. Allerdings sind diese Maßnahmen nicht allen Frauen bekannt. Laut Studie ist sich nur jede zweite Fraue in Italien von solchen Schutzmechanismen bewusst, in Estland nur 33 Prozent und in Bulgarien 35 Prozent. Sehr gut Bescheid über Präventiv- und Schutzmaßnahmen wissen Luxemburgerinnen (78 Prozent), Französinnen (74 Prozent) und Kroatinnen (74 Prozent) sowie Slowenierinnen (72 Prozent).
Gefährliche Orte
Auf die Frage „vermeiden Sie manchmal gefährliche Orte oder Situationen?“, antworten 39 Prozent der Luxemburgerinnen mit „Ja“ und auf die Frage „vermeiden Sie immer solche Orte?“ sind es 31 Prozent die mit „Ja“ antworten.
Sieben Prozent der Befragten in Luxemburg geben an, von ihrem aktuellen Partner geschlagen oder sexuell misshandelt worden zu sein seit ihrem 15. Lebensjahr. 26 Prozent sagen, dass sie in den vorherigen Beziehungen Opfer von häuslicher Gewalt wurden. In 25 Prozent der Fälle ging die Gewalt nicht vom Partner aus sondern von Außenstehenden (Bekannte oder Fremde). Sieben Prozent der Luxemburgerinnen gaben an, 12 Monate vor dem Interview zur Studie Opfer von Gewalt (vom Partner und anderen Personen) gewesen zu sein
In 31 Prozent der Fälle, wo die Gewalt vom Partner ausging, wurde die Polizei alarmiert. Bei Übergriffen, die nicht vom Partner ausgingen, sind es deren 19 Prozent, die gemeldet wurden. 49 Prozent der Luxemburgerinnen geben an, Opfer von psychischer Gewalt gewesen zu sein (vom aktuellen oder EX-Partnern).
Schwangere betroffen
Oft werden Übergriffe in Beziehungen der Studie zufolge zum Alltag. Auch Schwangere würden dann nur selten verschont. Dagegen vorzugehen, wagen sich die wenigsten: Viele sagten, sie würden sich zu sehr schämen oder seien peinlich berührt und würden deshalb nicht zur Polizei gehen.
Vergewaltigungen durch Fremde, wobei dabei oftmals mehrere Männer beteiligt sind, würden schneller angezeigt. Sechs Prozent aller Befragten gaben außerdem an, dass es bereits zu einer versuchten Vergewaltigung kam. Gleich viele Frauen nahmen bereits an sexuellen Aktivitäten teil, weil sie Angst vor möglichen Konsequenzen hatten.
Kulturelle Unterschiede
Kulturelle Unterschiede im Umgang mit Gewalt hätten einen Einfluss darauf, wie offen Frauen dieses Thema ansprechen. Bei stärkerer Gleichberechtigung der Geschlechter herrsche deutlich mehr Bewusstsein und es gebe mehr Anzeigen.
Von sexuellen Belästigungen seien noch mehr Frauen betroffen als von Gewalt. Vor allem gut ausgebildete Frauen in Spitzenpositionen sprachen davon. Dies könnte aber damit zusammenhängen, dass diese Gruppe Grenzüberschreitungen besser einschätzen könne und dies auch meldet.
Autoren trauen ihren eigenen Zahlen nicht
Insgesamt sind laut der Studie schätzungsweise zwischen 83 und 102 Millionen Frauen von sexueller Belästigung betroffen. Das sind zwischen 45 und 55 Prozent aller Frauen in der EU ab 15 Jahren. Die breite Spanne ergibt sich daraus, weil es bei den Befragten unterschiedliche Ansichten gab, ob etwa Annäherungsversuche durch Männer, sexistische Witze oder ungewollte Nacktfotos per SMS bereits zu einer sexuellen Belästigung zählen.
Die Zahlen sollen laut Studienautoren aber nicht zu voreiligen Schlussfolgerungen führen. Angaben zu Übergriffen und die tatsächlich ausgeübte Gewalt stimmten nicht immer überein, heißt es.
De Maart

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