Dass sie hier am Mittelmeer sind, Europa nur wenige Kilometer entfernt, soll so beiläufig wie möglich rüberkommen. Sie stünden „heute im Süden Roms, in Libyen“, sagt ein Vermummter in die Kamera. Hinter ihm branden graue Wellen am Ufer. Dann hebt er drohend ein Messer und sagt: „Wir werden das Meer mit eurem Blut tränken.“
Die Szene ist Teil eines am Sonntag im Internet verbreiteten Videos der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Wie bei vorherigen Filmen inszenieren die Dschihadisten das Grauen bis ins Detail. Dutzende in Schwarz gekleidete Männer schleppen ihre in orange Overalls gesteckte Geiseln an den Strand und bauen sich in einer Reihe auf. Bei den Geiseln soll es sich um 21 entführte Ägypter handeln.
Alle sind Mitglieder der christlichen Minderheit der Kopten, die zwischen Ende Dezember und Anfang Januar in Libyen verschwanden. Die Männer hätten als Gastarbeiter in dem Bürgerkriegsland gearbeitet, bestätigte die koptische Kirche am Montag.
Erstes Video außerhalb Syriens
Der Reihe nach drücken die Extremisten ihre Opfer in den Sand. Dann ist zu sehen, wie sie deren Köpfe abschneiden. Das Video trägt den Titel „Eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes“. Erstmals richtet sich der IS bewusst an Christen – und erstmals produzierte er wahrscheinlich eines seiner Schreckensvideos außerhalb des selbst ernannten „Kalifats“ in Syrien und dem Irak.
Laut IS wurden die Hinrichtungen nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis gefilmt. Wahrscheinlicher ist das ostlibysche Derna, das IS-Anhänger seit vergangenem Sommer kontrollieren – oder das zentral gelegenen Nufalija, dessen Einnahme der IS am Sonntag verkündete.
Vor rund drei Monaten schwor eine Miliz ehemaliger Rebellen in Libyen dem IS die Treue. Mit dem Video liefern sie nun den Beweis, wie weit sich die IS-Ideologie exportieren lässt. Im ölreichen Libyen tobt seit Monaten ein blutiger Machtkampf zwischen zwei Regierungen. Der IS hat sich das Chaos zunutze gemacht. Nun, wo die Regierungen seit Mitte vergangener Woche erstmals auf UN-Vermittlung an einem Tisch sitzen, startet der libysche Ableger seine Propagandaschlacht.
Feldzug gegen Europa
Libyen, so zeigt es ein größenwahnsinniges Strategiepapier der Miliz, gilt als wesentlicher Anker im Feldzug gegen Europa. Der soll 2020 beginnen. Auch wenn die Dschihadisten von Europa nur träumen können – den Nahen Osten haben sie schon in eine schwere Krise gestürzt.
Ägypten reagierte am Montag mit aller Härte auf die Tötung seiner Landsleute. Am frühen Morgen starteten Kampfjets ins Nachbarland und bombardierten IS-Stellungen. Die Luftwaffe der mit Kairo verbündeten Regierung aus Ostlibyen flog nach eigenen Angaben ebenfalls Angriffe. Die von Islamisten geführte westlibysche Regierung nannte die Schläge hingegen einen „Angriff auf die Souveränität“ des Landes.
Ägypten soll bereits zuvor Ziele in Libyen bombardiert haben, stritt dies aber immer ab. Nun sucht Präsident Abdel Fattah al-Sisi den offenen Kampf. Die toten Kopten gelten als „Märtyrer“, im Land wurde eine siebentägige Staatstrauer ausgerufen. Aus den Dschihadisten vor der Haustür – neben Libyen hat sich auch eine IS-Zelle im Nordsinai gegründet – schlägt Al-Sisi innen- wie außenpolitisch Kapital.
Ausrede
Um die Menschenrechte ist es schlecht bestellt, seit der Ex-General an der Macht ist. Vor allem Oppositionelle und Muslimbrüder werden zu Hunderten eingesperrt. Kritiker fürchten eine neue Militärdiktatur, schlimmer als unter dem einstigen Langzeitherrscher Husni Mubarak. Der Kampf gegen den Terror ist Al-Sisis einzige Ausrede, um Vergehen an der Bevölkerung – auch international – zu rechtfertigen.
Das Spiel scheint aufzugehen: Erst am Montag unterzeichneten Ägypten und Frankreich einen Waffendeal über 24 französischen Rafale-Jets. Laut französischen Medien wird Kairo die Flugzeuge aber erst mal für eine Parade geliehen bekommen. Bis zur Lieferung dauere es noch.
De Maart

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