Samstag8. November 2025

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Retter in der Not

Retter in der Not
(MSF/Julie Remy)

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Im vergangenen Jahr wurden rund 9.560 Flüchtlinge vom Schiff Bourbon Argos, das unter Luxemburger Flagge fährt, aus ihrer Seenot im Mittelmeer gerettet.

Der ukrainische Kapitän Ruslan Voznyuk schilderte seine Erlebnisse in einem Interview mit tageblatt.lu und sprach über seine Zusammenarbeit mit MSF („Médecins sans frontières“).

Logo" class="infobox_img" />Kapitän Ruslan Voznyuk

Tageblatt: Wie kam es dazu, dass Sie mit dem Schiff Bourbon Argos anfingen, Flüchtlinge in Seenot zu retten?

Ruslan Voznyuk: Vor etwas mehr als einem Jahr, das müsste Dezember 2014 gewesen sein, war ich mit der Bourbon Argos entlang der libyschen Küste unterwegs. Dort stießen wir dann auf ein Boot mit 80 Personen an Bord. Die Crew und ich informierten daraufhin das „Centre de coordination des opérations de sauvetage“ in Rom und fragten nach, was wir tun sollen.

Rom informierte ein Rettungsboot, dass die Flüchtlinge aufnehmen sollte, bis dahin warteten wir und beobachteten, ob Menschen ins Wasser sprangen oder untergingen, um im Notfall helfen zu können, bis das Rettungsboot ankam. Wir haben dann sechs Leute aus dem Wasser geholt. Die Crew auf dem Rettungsboot kümmerte sich um die restlichen Menschen. Das war sozusagen die erste Rettungsaktion.

Zwei Wochen später ging es aber dann schon weiter, und das „Centre de coordination“ in Rom gab uns Koordinaten durch, von einem Boot in Seenot. Hier retteten wir dann 80 Personen und so ging es dann weiter.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit MSF?

Zur Zusammenarbeit mit MSF kam es, weil die Organisation eine neue Mission startete. MSF war für diese Mission bereits in Kontakt mit dem „Centre de coordination des opérations de sauvetage“ in Rom. MSF informierte sich über ein geeignetes Schiff, um Flüchtlinge zu retten. Daraufhin erklärte Rom, dass unser Schiff das beste sei, um nach Booten in Seenot zu suchen.

Haben Sie bewusst nach Booten in Not gesucht oder war das eine Sache des Zufalls?

Nein, eine bewusste Suche war es eher nicht, sondern meist ein Zufall. Da ich mich auf See auskenne und wir ja bereits einige Flüchtlinge gerettet hatten, wusste ich, in welcher Gegend die Schiffe ungefähr entlangfahren würden.
Auch habe ich mir ausgerechnet, wie schnell sich die Boote an welcher Stelle des Mittelmeers befinden.

Häufig ist es nämlich so, dass die Schmuggler die Flüchtlinge aufs Boot setzen und sie losfahren lassen. Das überladene Boot kann mit dem vorhandenen Tank meist nur im Durchschnitt 40 bis 50 Meilen zurücklegen, und das mit einer Geschwindigkeit von rund fünf Knoten. Danach schippern die Flüchtlinge meist nur im Wasser herum und müssen auf Rettung hoffen und warten. Ich habe mir die Distanz ausgerechnet und die Boote dann auch ungefähr an der ausgemachten Stelle gefunden.

Wichtig hierbei war auch noch die Tageszeit: Zu bestimmten Zeiten war mehr Verkehr von Schmugglerbooten als zu anderen Tageszeiten. Nahe an die Küste konnte ich nicht heranfahren, da durch die Unruhen im Land die libysche Küstenwache gefährlich arbeitet. Daher ist es für jedes Schiff riskant, nahe an die Küste heranzufahren.

Waren Sie in direktem Kontakt mit den Flüchtlingen?

Ja, klar hatte ich als Kapitän auch direkten Kontakt zu den Flüchtlingen. Allerdings gestaltete sich der Austausch etwas schwierig, da nur sehr wenige von ihnen Englisch sprechen. Vor allem aber mit den Flüchtlingen aus Syrien konnte ich mich gut verständigen.

Wie war die Situation bzw. die Stimmung auf dem Schiff?

Da das Schiff bis zu 1.000 Menschen aufnehmen kann und wir fast jeden Tag um die 800 Flüchtlinge in Sicherheit gebracht haben, wurde es natürlich ganz schön voll, und das führt zu Spannungen. Des Weiteren waren es häufig Menschen aus mehr als acht unterschiedlichen Nationen.

Mir ist aufgefallen, dass es wirklich von den Nationalitäten abhing, wie die Situation bei der Rettung und auf dem Schiff war. Beispielsweise sind die Flüchtlinge aus Kenia oder dem Sudan immer sehr freundlich gewesen und haben bei den Rettungsaktionen immer sehr gut mitgeholfen.

Bei Flüchtlingen aus Nigeria war es hingegen häufig schwierig. Für viele von ihnen war die Reise sehr aufwühlend, häufig waren sie auch sehr emotional. Wenn wir Rettungsaktionen durchführten, wurden Kinder und Frauen immer zuerst gerettet. Hierbei kooperierten die Nigerianer aber häufig nicht. Mit ihrer Art stifteten sie häufig Unruhe.

Wie verlief die Kooperation zwischen Ihnen und MSF? Wurden Tagespläne gemacht, wie man bei den Rettungsaktionen vorgeht?

Die Arbeit mit MSF war sehr gut. Die Mitarbeiter der Organisation haben immer sehr schnell die Situation erfasst. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Hin und wieder gab es natürlich Meinungsverschiedenheiten, weil ich mit dem Schiff auf See bestimmte Regeln verfolgen muss, die MSF nicht gefallen haben. Auch hat das Team von MSF alle zwei bis drei Wochen gewechselt, also musste man sich wieder neu absprechen. Aber auch das verlief recht gut.

Können Sie uns ein Ereignis schildern, das Sie in Erinnerung behalten werden?

Die gesamten Rettungsaktionen werden mir in Erinnerung bleiben. Es gab allerdings eine Situation, in der wir eine schwangere Frau retten sollten. Der Sitz, mit dem wir sie auf das Schiff heben wollten, war aber zu klein. Also haben wir sie mit einer Art Kran hochgehoben. Sie war bereits im achten Monat schwanger und die Geburt fing kurz darauf an. Ich hatte schon Angst, dass sie das Kind auf der Bourbon Argos zur Welt bringen würde, was von den Papieren her kompliziert gewesen wäre.

Ich weiß zwar von der Schule her noch ungefähr, wie solch eine Situation geregelt wird, aber nicht mehr ganz genau. Also habe ich das „Centre de coordination“ in Rom kontaktiert und die haben dann ein Speedboot aus Lampedusa geschickt, um die Frau abzuholen.
Schließlich wurde ich von Rom darüber informiert, dass die Frau ihr Baby gut zur Welt gebracht hatte.