Dienstag18. November 2025

Demaart De Maart

Das Ende der Omerta

Das Ende der Omerta
(AFP/Laurent Friquet)

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Der Vizepräsident der französischen Nationalversammlung, Denis Baupin, ist von seinem Amt entbunden worden. Er wird sexueller Übergriffe gegen Frauen beschuldigt.

Monatelange SMS mit sexuellen Anzüglichkeiten oder Grapsch Attacke im Flur gegen eine an die Wand gedrückte Frau. Anzügliche Bemerkungen bis hin zu deplatzierte Gesten: Das ist das Leben der Frauen in der politischen Welt Frankreichs. Es betrifft alle politischen Ebenen. Derzeit steht die Nationalversammlung im Blick der Öffentlichkeit. Aber auch in Rathäusern werden Frauen in Frankreich als Freiwild betrachtet.

Pariser Presse
Die Pariser Presse ist über sexuelle Anzüglichkeiten durchaus informiert. Journalistinnen haben immer wieder über solche Fälle auch ihnen gegenüber berichtet und wurden als unglaubwürdig hingestellt. Allerdings ist die Presse in Frankreich auch nicht frei genug, um diesen Verhaltensweisen wirklich auf den Grund gehen zu können. Die beiden Journalistinnen, die sich jetzt mit den Recherchen beschäftigt hatten, brauchten dazu Mut. Die Affäre des Staatspräsidenten mit der Schauspielerin Gayet war bekannt. Er habe sie nicht veröffentlicht, weil er sich keinem Prozess aussetzen wollte, sagte einer der „großen“ Chefredakteur in Paris als Begründung. Französische Politiker reagieren sehr sensibel auf Veröffentlichungen aus ihrem Privatleben und klagen sofort.
Als Dominique Strauss Kahn in Handschellen einem New Yorker Gericht vorgeführt wurde, gerieten die Fernsehanstalten und gedruckten Medien in Not. In Frankreich ist es nicht gestattet, einen Menschen in Handschellen im Foto zu veröffentlichen. Aus 6.000 Kilometern Entfernung nutzten sie ein wenig mehr journalistischer Freiheit, die die US-Medien ihnen boten. Die Leidenschaften des damaligen Generalsekretärs des Internationalen Währungsfonds für Frauen waren in den französischen Medien wohl bekannt. Von den späteren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy ist der zweideutige Satz bekannt, dass „DSK“ nie Präsident werden würde. wy.

Denis Baupin war Vizepräsident der Nationalversammlung in Paris, zugehörig zu den Grünen. Präsident Claude Bartolone hat den Politiker von seinem Amt entbunden. Der Grund: Acht Frauen beschuldigten ihn sexueller Belästigungen. Die stellvertretende grüne Bürgermeisterin von Le Mans berichtet in der französischen Presse, dass sie monatelang per SMS mit sexuellen Anspielungen auf ihre Person von Baupin belästigt worden sei. Die Sprecherin der Grünen in Frankreich erzählt, dass sie während einer Sitzung der Parteispitze von Baupin im Flur gegen eine Wand gedrückt worden sei, dass er ihre Brust angefasst hätte und sie hätte küssen wollen.

Zwei Medien haben aufgedeckt

Zwei Medien in Frankreich haben die seltsamen Praktiken Frauen gegenüber in der französischen Politik aufgedeckt, die nun durch die Medienlandschaft laufen. Unabhängig voneinander recherchierten eine Journalistin des Radiosenders France Info und der Medienwebsite „Mediapart“ über die Art und Weise, wie Frauen in der französischen Politik behandelt werden. Die ermittelten Taten sind zwischenzeitlich weitgehend verjährt. Anzeigen wurden von den betroffenen Frauen auch nicht erstattet.

Denis Baupin ist kein unwichtiger französischer Politiker. Er ist Mit-Begründer der französischen Grünen, war in der Regierung Jospin in den 90er Jahren Mitarbeiter der grünen Umweltministerin Dominique Voynet. Baupin gilt als genauer Bearbeiter von Dossiers. Er brachte die Ex-Vorstandsvorsitzende des Nuklear-Zulieferkonzerns Areva bei einer Anhörung in der Nationalversammlung in erhebliche Schwierigkeiten. Er gilt weiter als der Erfinder der anti-Auto Politik in Paris aus seiner Zeit als Dezernent für Verkehr in der französischen Hauptstadt. Aus der Fraktion der Grünen ist er gerade ausgetreten, weil sie Staatspräsident Hollande nicht genügend unterstützen würde. Denis Baupin ist weiter der Ehemann der grünen Wohnungsbauministerin Emmanuelle Cosse, ehemalige Vorsitzende der Grünen. In einem Fernseh-Interview distanzierte sie sich von ihrem Ehemann. Die Justiz müsse prüfen, was an den Vorwürfen dran sei. Baupin selbst hat eine Klage wegen Verleumdung angekündigt.

Sexuelle Belästigungen bei Grünen bekannt

Dass sexuelle Belästigungen bei den Grünen bekannt werden, ist pikant. Im vergangenen Jahr hatten sich bereits zwei Journalistinnen mit dem Gehabe von Politikern gegenüber Frauen auseinandergesetzt. Nach Erscheinen ihres Artikels hatten die Grünen eine anonyme Mailbox eingerichtet. Diese Mailbox scheint sich zu einer Büchse der Pandora entwickelt zu haben, die nun geöffnet wird.

„ Es gab bisher“, sagt die Soziologin Catherine Achin, „eine regelrechte Omerta . Man war in einer geschlossenen Gesellschaft mit politisch-professionellen Geheimnissen und eigenen Gesetzen, zu denen auch sexuelle Angriffe und Belästigungen gehörten. Das ändert sich nun, einerseits weil es die Affäre Dominique Strauss Kahn gegeben hat, andererseits, weil Begriffe wie „Transparenz“, „Justiz“ und „Vorbildlichkeit“ eine Rolle spielen. Das führt dazu, dass die Frauen jetzt reden.“ In der französischen Politik hat sich zwischenzeitlich ein Frauen-Kollektiv unter dem Motto „Es reicht“ gebildet.

Strategie der Frauen geändert

Denis Baupin dürfte nur der erste sein, der das Ende der Omerta der sexuellen Belästigungen von Frauen zu spüren bekommt. Die Strategie der Frauen hat sich geändert. Das Schweigen, um die Karriere nicht zu gefährden, ist beendet. Aurore Bergé, Abgeordnete der konservativen Republikaner: „Es hilft nur eines, öffentlich machen, sich wehren nötigenfalls mit der Justiz.“ Wie weit Denis Baupin in der französischen Nationalversammlung fortgeschritten ist, zeigt ihre Aussage im französischen Fernsehen: „Ich habe Lust, dir einen Baupin“ zu machen“, sei sie von einem Abgeordneten Kollegen begrüßt worden. Laura Slamini, die Vorsitzende der europäischen Jungsozialisten erzählt, dass sie von Männern durchaus auch mit einem Klaps auf den Po begrüßt werde.

Die Führung der Grünen in der Nationalversammlung hat Schwierigkeiten, mit der Veröffentlichung der sexuellen Praktiken umzugehen. Cécile Duflot, ehemalige Ministerin und ehemalige Vorsitzende der Grünen, gibt zu, in ihrer Zeit als Ministerin über die Verhaltensweise von Denis Baupin informiert gewesen zu sein. Auf die Frage, warum sie nichts unternommen habe, gerät sie ins Schwadronieren und hat keine Antwort.

Thema bleibt aktuell

Die ehemalige grüne Ministerin Delphine Batho, die von Staatspräsdent Hollande entlassen worden war, weil sie öffentlich den Staatshaushalt kritisiert hatte, sieht in den Aussagen, die nun bekannt geworden sind, nur die Spitze eines Eisberges. Sie fordert von Finanzminister Michel Sapin Aufklärung. Sapin soll sich beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos am String einer Journalistin vergriffen haben, heißt es in dem gerade erschienen Buch. „L´Elysée off“ . Sapin soll im Januar 2015 sein Hände gegenüber einer gebückten Journalistin nicht bei sich behalten haben können. In einer Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur afp stellte Sapin am Dienstag Abend klar, dass es deplatzierte Gesten gegeben habe, die er bedauere. Die Journalistin habe ihm gegenüber unmittelbar danach in einem Vier Augen Gespräch gesagt, was sei davon halte. Er habe sich entschuldigt. Die Journalistin habe ihm zwischenzeitlich mitgeteilt, dass der Vorfall für sie erledigt sei.

Erledigt ist das Thema in Frankreich vermutlich für längere Zeit nicht. Zwischenzeitlich tauchen Gerüchte auf, dass die Omerta auch mit Geld erkauft worden sein soll. Und die französische Justiz wird das Ihrige dazu tun, dass die Büchs der Pandora geöffnet bleibt. Nach der Affäre von „DSK“ in New York hat es zahlreiche Strafanzeigen gegen Politiker gegeben. Ein Bürgermeister muss wegen Vergewaltigung noch vor ein Schwurgericht. Allerdings hat die französische Justiz so ihre Schwierigkeiten mit dem Thema. Zwei Mitarbeiterinnen hatten die Anzeige bereits 2011 erstattet. Ein anderer wurde zu 10.000 Euro Geldstrafe verurteilt, musste sein Amt als Bürgermeister aufgeben und durfte nicht für den Senat kandidieren. In Dijon derzeit steht ein Bürgermeister wegen sexueller Belästigung einer Mitarbeitern Gericht.