„Wir können nicht alles auf einmal verändern.“ Als Ban Ki Moon diesen Satz im Jahr 2006 bei seinem Antritt als UN-Generalsekretär sagte, schien der Südkoreaner sich keine großen Illusionen zu machen: Die Vereinten Nationen sind ein schwerfälliger, bürokratischer Apparat, die Entscheidungswege lang, die politische Durchschlagskraft begrenzt. Zehn Jahre später ist einiges geschafft. Doch wenn Ban das Amt Ende Dezember abgibt, wird er dem Nachfolger oder der Nachfolgerin so manch offene Baustelle hinterlassen müssen.
Allem voran die Flüchtlingsfrage: Wie bei vielen Themen ringen sich die 193 Mitgliedstaaten am Montag zu einer Absichtserklärung durch, die Prinzipien zum Umgang mit Flüchtlingen und Migranten festlegt. Rechtlich bindend ist die 25 Seiten lange „New Yorker Erklärung“ aber nicht. Beim Flüchtlingsgipfel, dem ersten großen UN-Treffen zum Thema, hätten die Anführer sich „um die Verantwortung gedrückt“, schimpft die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Debatte im Hinterzimmer
Viele der mehr als 140 Staats- und Regierungschefs sowie Dutzende Minister, die seit Montag am United Nations Plaza in Manhattan vorfahren, dürften den 72-jährigen Ban trotzdem für seine Errungenschaften preisen. Denn die einwöchige Generaldebatte der UN-Vollversammlung ab Dienstag gibt auch Gelegenheit, dem Chef der Weltorganisation aus nächster Nähe zu begegnen. Vor und hinter den Kulissen wird unterdessen längst um dessen Nachfolge geschachert.
Eigentlich hatten sich die UN dabei für dieses Jahr Transparenz auf die Fahnen geschrieben. Neue Bewerbungen wurden öffentlich verkündet, in einer per TV übertragenen Diskussionsrunde erläuterten Kandidaten, warum ausgerechnet sie einen der wichtigsten Posten internationaler Diplomatie besetzen sollten. Doch kurz vor der für Oktober erwarteten Entscheidung hat sich die Debatte in die Hinterzimmer verlagert.
Baut Putin Druck auf?
Wie knifflig die Personalie geworden ist, zeigte schon der Ärger zwischen Berlin und Moskau um Kristalina Georgiewa. Bundeskanzlerin Angela Merkel soll sich bei Russlands Präsident Wladimir Putin für die aus Bulgarien stammende EU-Kommissarin stark gemacht haben, die im EU-Parlament derselben Fraktion angehört wie Merkels CDU. Dafür müsste Bulgarien aber die Kandidatur Irina Bokowas, Leiterin der UN-Kulturorganisation Unesco, zurückziehen, die vielen Ländern als zu russland-freundlich gilt.
Einige vermuten, dass Russland den Inhalt des Gesprächs zwischen Putin und Merkel ausplauderte, den Berlin in scharfen Tönen zurückwies. Fraglich bliebe in dem Fall: Baut Putin Druck auf, weil er wie im Syrien-Konflikt als ernstzunehmender Mitspieler auf der Weltbühne verstanden werden will? Ist er bereit, seine Unterstützung Bokowas aufzugeben, etwa als Faustpfand für die Verhandlungen um Syrien, die Ukraine oder Libyen? Und könnten diese Manöver gar dazu führen, dass am Ende ein ganz anderer Überraschungskandidat wie der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak das Rennen macht?
Guterres als Favorit
So oder so sieht das ungeschriebene Rotationsprinzip der UN vor, dass ein Kandidat aus Osteuropa an der Reihe wäre. Zudem häufen sich die Stimmen, die erstmals in der Geschichte eine Frau an der UN-Spitze sehen wollen. Im Sicherheitsrat scheint das auf taube Ohren zu stoßen: In vier Probeabstimmungen setzte sich bisher der frühere Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks, der Portugiese António Guterres, durch. Die nächste inoffizielle Abstimmung, ein sogenannter „straw poll“, findet am 26. September statt. Gewählt wird der Generalsekretär von der Vollversammlung auf Vorschlag des Rats.
Ban Ki Moon dürfte froh sein, sich aus diesem Gerangel heraushalten zu können. Überhaupt hat er in seinen letzten Monaten ganz andere Sorgen: Das Pariser Klimaschutzabkommen, das zusammen mit den in vielen Punkten erreichten Jahrtausendzielen zu Bans größten Erfolgen zählt, ist noch immer nicht in Kraft. Womöglich bis zu seinen letzten Tagen im Amt wird der diplomatische Ban versuchen, so viele Staaten wie möglich zur Ratifizierung zu bewegen (nötig ist der Beitritt von 55 Staaten, die 55 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes ausmachen).
Liefern statt versprechen
Die Flüchtlingskrise sowie Konflikte in Syrien, der Ukraine, in Nahost, um Nordkoreas Atomtests oder den uralten Streit zwischen griechischen und türkischen Zyprern wird Ban auf den letzten Metern kaum lösen. Dasselbe gilt für US-Präsident Barack Obama – auch er spricht das letzte Mal bei der Generaldebatte, bevor er im Januar das Weiße Haus verlässt. Seine Treffen mit Iraks Ministerpräsident Haider al-Abadi und Chinas Premierminister Li Keqiang am Montag dürften wohl die letzten seiner achtjährigen Präsidentschaft sein.
Sicherer geworden ist die Welt in Bans Amtszeit keineswegs. Für dessen letzte große UN-Woche – und auch danach – gilt, was der Südkoreaner bei seinem Amtsantritt vor zehn Jahren sagte: „Das wahre Maß für den Erfolg der UN ist nicht, wieviel wir versprechen, sondern wieviel wir liefern für diejenigen, die uns am meisten brauchen.“
De Maart
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