Viele sahen in ihm einen Heilsbringer. Nach bald vier Jahren als Regierungschef geht es ihm, wie es einem meistens geht, wenn die Erwartungen vormals allzu hoch flogen: Die Leute sind enttäuscht. Dabei ist er schon ein spezieller Kerl, dieser Edi Rama, vom Umgang wie vom Aussehen. Albaniens Regierungschef ist groß gewachsen, ziemlich kahl und ziemlich stoppelbärtig, er liebt Sneakers – und hat auch sonst, als ehemaliger Profibasketballer und Maler, eine für Politiker eher ungewöhnliche Vita.
Seinen guten politischen Leumund erarbeitet sich Rama als Bürgermeister Tiranas. Während dieser Zeit wird Albaniens Hauptstadt bunter. Sie wird es tatsächlich. Der Sozialdemokrat lässt einen guten Teil der trist grauen Fassaden seiner Stadt bunt streichen. Die Farbtupfer stehen Tirana auch heute noch gut zu Gesicht. Nach zehn Jahren wird Rama vom Hauptstadtvorsteher zum Landesaufseher, und so ändern sich nicht nur die Zeiten, sondern auch die Beliebtheitswerte.
Sechs Meter hoher Raum, gestrichen in Albanienrot
Rama erweckt ein bisschen den Eindruck, als hätte er das eh kommen sehen, nerve ihn aber trotzdem. Vielleicht gehört das aber auch zur Inszenierung. 15 europäische Journalisten aus ebenso vielen Ländern empfängt er heute. Im sogenannten Kartensaal ist alles vorbereitet. Zwei Strahler leuchten den Gastgeber aus. Im Halbkreis davor stehen 15 rot bezogene Stühle auf rotem Teppich, in einem gut sechs Meter hohen und in Albanienrot gehaltenen Raum. An den Wänden entsprechend große historische Karten, die keinen Zweifel daran lassen, wo das hier stattfindet: in Albanien, in Europa.
Ein weißes Hemd, das ordentlich offen steht, europablauer Anzug, lackschwarze Sneaker mit weißen Sohlen, kurzer Gruß und langer Blick, Beine übereinandergeschlagen, lichtlila Socken. Albanien hat scheinbar Europas einzigen Hipster-Premierminister, und alles an ihm vermittelt: Leute, schießt los, lasst es uns hinter uns bringen. Rama sagt: „Ich wusste nicht, dass ihr so viele seid – was wollt ihr?“
Wo Vetternwirtschaft und Korruption wüten
Draußen protestiert derweil die Opposition. Aus ihren Lautsprechern schallt der Nirvana-Hit „Smells Like Teen Spirit“ in Edi Ramas Kartenraum herein: Here we are now, entertain us! Das Format der Presseaudienz kommt Kurt Cobains Aufforderung zupass, und Rama unterhält dann auch. 15 Fragende, kombiniert mit nicht allzu viel Zeit, ergibt: kaum Raum fürs Nachhaken. Dafür umso mehr für knackige Antworten.
„Wir kommen von sehr weit weg“, sagt Rama. In Sachen EU gehe es ihm nicht darum, nur Teil von etwas zu sein. Rama will ein moderner Teil sein. Um dahin zu kommen, „müssen wir jeden Tag kämpfen – mit uns selber, mit unserer Vergangenheit, mit unseren Unzulänglichkeiten“. Mit Letztgenanntem meint Rama vor allem die Verankerung der Korruption im Alltagsleben, von ganz unten bis ganz oben in der Gesellschaft. Aber anstatt „zu leiden und zu kämpfen“, so der Premier, „hauen viele junge Menschen ab“. Das sei ein großes Hindernis auf dem Weg zu einer modernen Gesellschaft. Obwohl die Anerkennungsquoten gering sind, treiben Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt in der Tat viele Albaner aus ihrem Land.
„Ich denke nicht, dass wir einmal zu Deutschen werden“
Dass die Modernisierung seines Landes ein schleppendes, langwieriges Unterfangen ist, weiß Rama. Er weiß es auch zu verbildlichen: „Ich denke nicht, dass wir einmal zu Deutschen werden. Vielleicht werden wir einmal ein bisschen Italiener.“ Mit Albanien und dem Westbalkan geht es natürlich trotzdem voran. Die komplizierten Beziehungen zum großen Nachbarn Serbien sind auf einem Allzeithoch. Man besucht sich gegenseitig und redet miteinander. Das bedeutet in dem Fall schon eine ganze Menge.
Albanien hat seine Vergangenheit noch nicht ganz abgeschüttelt. Das Land hat zwar bereits einen langen Weg hinter sich gebracht, aber noch ein gutes Stück zu gehen. Zu Zeiten von Titos Jugoslawien gilt dessen südlicher Nachbar als Europas Nordkorea. Nach dem Umsturz Anfang der Neunziger folgt auf die kommunistische Diktatur eine lange Zeit, die vor allem ein Mann prägt: Sali Berisha von der Demokratischen Partei. Erst 2013 kommt es mit Edi Rama zum politischen Kurswechsel.
Justiz, Cannabis und schwerwiegende Vorwürfe
Irgendwann will Albanien zur Europäischen Union gehören. Man ist Beitrittskandidat, die Gespräche sind aber noch nicht eröffnet. Zurzeit wird die Justiz des Landes einmal auf links gedreht. Die Reform ist bitter nötig. Staatsanwälte und Richter des Landes gelten als leicht bestechlich. Sie verdienen auch gerade mal 800 Euro. Zurzeit werden alle auf ihre beruflich-moralische Eignung geprüft. Die EU begleitet das streng. Bevor Kontrolle und Reform nicht abgeschlossen sind, gibt es keine Gespräche. Zuckerbrot und Peitsche waren, sind und bleiben das A und O der europäischen Erweiterungspolitik.
Vorwürfe der Korruption machen allerdings auch vor Ramas Regierung nicht halt. Die rechtskonservative Opposition der Demokratischen Partei wirft Rama vor, bei der traditionell weit verbreiteten Kultivierung von Cannabis im Land beide Augen zuzudrücken, um die vielen Profiteure vor den Wahlen Mitte Juni nicht zu vergraulen. Rama ist bestimmt kein Hardliner in der Drogenpolitik. Doch wie es jetzt ist, will auch er nicht akzeptieren. Bevor über Sachen wie Entkriminalisierung oder gar Legalisierung gesprochen werde, „müssen wir das Problem unter Kontrolle bringen und einen funktionierenden Staat aufbauen“.
Albaner wollen einen funktionierenden Staat
Ein funktionierender Staat zu werden, dabei helfen soll die EU und das Versprechen auf eine Mitgliedschaft in dieser. Denn mehr als ein Versprechen wird es nach jetzigem Ermessen kaum werden. Kaum jemand glaubt ernsthaft an eine Aufstockung der EU in halbwegs absehbarer Zeit. Die EU-Erweiterungsgespräche auf dem Westbalkan sollten eigentlich anders heißen. Vielleicht EU-Peripherie-Stabilisierungsgespräche. Das wäre wohl trefflicher. Wobei es nicht so ist, dass hier einer den anderen täuschen will.
Beide Seiten profitieren. Die Kandidaten freuen sich über die Fördergelder in Millionenhöhe und mitunter über die Unterstützung beim Aufbau demokratischer Strukturen. Die EU will Ruhe in der Region und ihren Zugriff nicht verlieren. Auch Russland und die Türkei sind auf dem Westbalkan aktiv. Erdogan etwa lässt gerade eine sehr große Moschee in Tirana finanzieren. Die EU aber braucht die Länder als verlässliche Partner. Das hat nicht zuletzt die Flüchtlingskrise deutlich gemacht.
De Maart

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