„Beitrittsprozess gestorben“

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Trotz des massiven Vorgehens der türkischen Regierung gegen ihre Gegner bleibt die EU zur Zukunft der Beitrittsverhandlungen mit Ankara gespalten.

Während beim EU-Außenministertreffen am Freitag Luxemburg den Beitrittsprozess bereits für „de facto“ tot erklärte und Österreich erneut den Abbruch verlangte, wandte sich die Bundesregierung „strikt“ gegen einen solchen Schritt. Klar ist jedoch: Sollte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Todesstrafe einführen, würde das automatisch das Aus für die EU-Mitgliedschaft bedeuten.

Zwei Wochen nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum zur Stärkung der Macht von Präsident Erdogan berieten die EU-Außenminister in Maltas Hauptstadt Valletta über die Zukunft der Beziehungen zu Ankara. Wegen des massiven Vorgehens der türkischen Regierung gegen ihre Gegner und Kritiker seit dem gescheiterten Militärputsch im vergangenen Juli mehren sich schon seit Monaten die Forderungen nach einem Abbruch der Gespräche.

Freie Türkei für Asselborn gestorben

Mit dem Verfassungsreferendum sei die freie und rechtsstaatliche Türkei „gestorben und de facto damit auch der Beitrittsprozess“, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Für den Österreicher Sebastian Kurz sind mit Erdogans Vorgehen gegen Regierungskritiker längst alle „roten Linien“ überschritten. Er halte es „für absolut falsch, wenn diese Fiktion des Beitritts aufrechterhalten wird, obwohl sich die Türkei jedes Jahr weiter weg von Europa entfernt“, sagte er. „Wir halten den Abbruch der Gespräche für die völlig falsche Reaktion“, sagte dagegen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Er warnte davor, die Türkei „in Richtung Russland zu drängen“. Gabriel plädierte stattdessen für „neue Gesprächsformate“ mit Ankara sowie für Visafreiheit für Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan – „für den Teil der Türkei, der gegen das Referendum gestimmt hat“.

Auch viele andere Minister plädierten dafür, den Gesprächsfaden mit Ankara nicht abreißen zu lassen. Die EU müsse mit dem NATO-Mitglied Türkei auch wegen der Flüchtlingskrise und des Kampfes gegen den Terrorismus im Gespräch bleiben, sagte Frankreichs Chefdiplomat Jean-Marc Ayrault. Europa müsse dabei aber auf die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und seiner Werte drängen. Auch wenn die Beziehungen „in sehr schlechtem Zustand“ seien, glaube er weiter an einen Dialog, sagte Finnlands Außenminister Timo Soini. Er verwies ebenfalls darauf, dass die Türkei „ein sehr großer Akteur“ in Europas Nachbarschaft sei. „Und wenn die Türkei nicht nach Europa blickt, wohin blickt sie dann?“

Tschechiens Außenminister Lubomir Zaoralek sprach sich gleichfalls für Dialog aus. „Ich sehe nur eine rote Linie: Das ist die Todesstrafe“, sagte er. Ayrault sagte, in diesem Fall werde es von der EU „keinerlei Zögern geben“. Denn dies „wäre ein echter Bruch“ mit europäischen Werten. Erdogan hatte die Wiedereinführung der Todesstrafe nach dem Verfassungsreferendum zur Stärkung seiner Position auf die Tagesordnung gesetzt. Er kündigte Mitte April an, darüber notfalls ein Referendum abzuhalten. Die EU hat bereits mehrfach klargemacht, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe für sie automatisch das Ende der seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen bedeuten würde.