Verschwörungstheorie: Was ist dran?

Verschwörungstheorie: Was ist dran?
(Tageblatt/Claude Clemens)

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Von der Chemtrail-Verschwörungstheorie hat bestimmt jeder schon mal gehört: Flugzeuge zögen nicht nur "normale" Kondensstreifen hinter sich her, sondern es würden willkürlich Chemikalien o.ä., zu welchem Zweck auch immer, versprüht. Was ist dran?

Der 28. September (Mittwoch) war wieder ein guter Tag für die Anhänger der Theorie. Ab früh morgens waren dünne Schleier am blauen Himmel zu sehen, die sich zumindest teilweise und flächig bis in den späten Morgen hinein hielten. Kurz vor 8.00 Uhr, als unsere Fotos über Wahl im Ösling aufgenommen wurden, befanden sich gleichzeitig 15 und mehr, neue und ältere Kondensstreifen am Himmel. Alle willkürlich entstanden?

Die Verschwörungstheorie

Ausgehend vom deutschen Wikipedia-Artikel wird man im weltweiten Netz hinreichend fündig über die Chemtrails-Verschwörungstheorie. Alleine schon bei der freien Online-Enzyklopädie, wenn man links in der Sprachleiste auf die Artikel z.Bsp. in französisch oder auch englisch umschaltet.

Jeweils inklusive Referenzen zu Widerlegungen der Theorie seitens Wissenschaftlern oder staatlichen Behörden wie z.Bsp. das deutsche Umweltbundesamt – aber natürlich auch zu einschlägigen, gegenteiligen Behauptungen.

Auch mit dem Begriff „Geo-Engineering“ („vorsätzliche und großräumige Eingriffe mit technischen Mitteln in geochemische oder biogeochemische Kreisläufe der Erde“ laut Wikipedia-Definition) wird man vielfach fündig. In solchen, tatsächlich ausgeführten Experimenten, liegen wohl auch Teile der Verschwörungstheorie begründet. clc

Hierzu ist zunächst zu sagen, dass der Flugverkehr in den letzten Jahr(zehnt)en stark zugenommen hat und u.a. das Luxemburger Drehfunkfeuer (DVOR) in Diekirch – also das ganze Ösling in Fliegerdistanzen ausgedrückt – zu einem extrem viel überflogenen Gebiet gehört, wie eigentlich der ganze (kleine) Luxemburger Luftraum als regelrechter Knotenpunkt bezeichnet werden muss.

DVOR Diekirch: 800 Überflüge pro Tag

Von offizieller Seite wurden uns durchschnittlich 800 Flugbewegungen pro Tag über dem Diekircher DVOR bestätigt, alle Flughöhen zusammengenommen. Das würde im Tagesdurchschnitt mehr als 30 Fliegern pro Stunde entsprechen, wobei nicht zu jeder Stunde des Tages gleich viel Verkehr herrscht. Es gibt also auch Zeiten, wo es deutlich mehr sind. Zum Vergleich, was den Verkehr eines Tages angeht: Der Luxemburger Flughafen Findel verzeichnet pro Tag durchschnittlich 220 Flugbewegungen.

Diesen Zahlen kann man noch die Statistiken des europäischen Luftraumblocks FABEC hinzufügen, dem Luxemburg angehört. Dieser Luftraumblock steht für Zentraleuropa und verzeichnet 5,6 Millionen Flüge pro Jahr – 55% des gesamteuropäischen Flugzeugverkehrs. Was für ein „Gewusel“ am europäischen Himmel herrscht, zeigt der Screenshot – eine Sekundenaufnahme – von www.flightradar24.com in unserer Fotostrecke.

Kälte und Luftfeuchtigkeit

Zu den meteorologischen Bedingungen in großer (Flug-)Höhe: Grob zusammengefasst entstehen Kondensstreifen, wenn in hinreichend kalter Umgebung mit entsprechender Luftfeuchtigkeit die Wasserdampfemissionen aus Flugzeugtriebwerken zu winzig kleinen Eiskörnern gefrieren.

Ist es auch in großer Höhe eher „trocken“, wie z.B. über Luxemburg in der Augustwoche mit stets über 30 Grad, bilden sich nur kurz „haltbare“ Kondensstreifen – wie in der Fotostrecke auf unserem Bild vom 23. August. Zwischen dem 22. und 27. August gab es – gefühlt – kaum einen weißen Fleck am Himmel. Auch die Daten von MeteoLux bestätigen dies wie folgt: Ein Hoch über Zentraleuropa brachte warme und trockene Luftmassen aus dem Mittelmeer über Luxemburg. Auch in großer Höhe war es trocken; nur am 23.8. und 26.8. bestand sehr leichte Bewölkung. Der 24.8. und 25.8. wurden als gänzlich wolkenfrei eingestuft. Die (fast gänzlich) wolkenfreie Periode ging vom 23.8. ab ca. 20.00 Uhr bis zum 27.8. gegen 14.00 Uhr – und dies trotz 800 Fliegern am Himmel über Luxemburg. Wie jeden Tag.

Ist es dagegen etwas feuchter, benötigen Kondensstreifen in der Regel ca. eine halbe Stunde, um sich aufzulösen. Und ist es richtig feucht und die Luft ausreichend gesättigt, können die Kondensstreifen sich „ausbreiten“, zu einer Art Schleierwolke werden und gegebenenfalls nach einigen Stunden zu „normalen“ Wolken, die der Meteorologe als Cirrus-Wolken (Wolken in großer Höhe, im Gegensatz zu Kumulus-Wolken in niedriger Höhe) beschreibt. Eine solche, die aus Kondensstreifen entstand, ist nicht von einer „normalen“ zu unterscheiden – es sei denn, sie wurde ab ihrer Entstehung aus einem Kondensstreifen beobachtet.

Freie Meinungsbildung

In einem Bericht, den MeteoLux auf anderweitige Nachfrage zu einem „Vorfall“ am 10. Juli verfasste, heißt es beispielsweise, dass sich Luxemburg zu dem Zeitpunkt vor einem Wolkenfeld befunden habe, das in großer Höhe für viel Luftfeuchtigkeit gesorgt habe. Auch am Mittwoch dieser Woche war Luxemburg morgens im Vorfeld einer sehr schwach ausgeprägten und sich langsam auflösenden Kaltfront, die im weiteren Verlauf von Westen her über Luxemburg zog und hauptsächlich in der höheren Atmosphäre für eine feuchte Luftschicht sorgte. „Ideale“ Bedingungen für „haltbare“ Kondensstreifen, wie uns auf Nachfrage von MeteoLux bestätigt wurde. Zu sehen ist dies übrigens auch in unserer Fotostrecke von der Grundsteinlegung beim Royal-Hamilius-Projekt (Link).

Natürlich steht es jedem frei, sich seine eigene Meinung zu bilden. In Luxemburg gab es auch bereits eine – nicht erfolgreiche – Petition zu dem Thema (Link). U.E. sollten die beiden in diesem Artikel erwähnten Faktoren – immer mehr Flugverkehr, Wetterbedingungen – aber stets mit in die Überlegungen einbezogen werden.