Verwirrung um Flüchtlingstragödie

Verwirrung um Flüchtlingstragödie
(AP Petros Giannakouris)

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Bei einem neuen Flüchtlingsdrama im Mittelmeer sollen Hunderte Menschen ums Leben gekommen sein. Bislang konnte die Nachricht nicht bestätigt werden.

Ein Bericht des britischen Senders BBC über ein Bootsunglück im Mittelmeer, bei dem mehrere Hundert Flüchtlinge gestorben sein sollen, hat am Montag für Verwirrung gesorgt. Dem Sender zufolge kamen bis zu 400 Menschen, die meisten davon aus Somalia, vor der ägyptischen Küste ums Leben, nachdem sie Richtung Europa aufgebrochen waren.

Der italienische Präsident Sergio Mattarella sprach von einer Tragödie, die sich offenbar auf See ereignet habe und bei der mehrere Hundert Menschen ertrunken seien. Details nannte er nicht. Der italienischen Küstenwache, die für die Seenotrettung zwischen Italien und Libyen zuständig ist, lagen nach eigenen Angaben dagegen keine Informationen über ein Bootsunglück vor.

Keine Bestätigung

Am Sonntag seien aber sechs Leichen und 108 Überlebende auf einem Schlauchboot entdeckt worden, das kurz vor dem Kentern gestanden habe, teilte die italienische Küstenwache mit. Ihre griechischen Kollegen erklärten, man wisse nichts von einem neuen Bootsunglück. Der somalische Botschafter in Ägypten, auf dessen Angaben sich der BBC-Bericht berief, war für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar. Auch ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfwerks UNHCR in Genf wollte die Meldung nicht bestätigen.

Vor genau einem Jahr ertranken vor der libyschen Küste etwa 800 Flüchtlinge, nachdem ihr Fischerboot mit einem anderen Schiff kollidiert war. Die EU befürchtet, dass sich wieder mehr Flüchtlinge auf die längere und gefährlichere Reise aus Nordafrika über das Mittelmeer Richtung Europa aufmachen, nachdem die Staatengemeinschaft mit der Türkei ein Abkommen zur Rückführung von Migranten geschlossen hat.

Vor der libyschen Küste kreuzende Kriegsschiffe aus Deutschland und anderen EU-Staaten haben seit Beginn ihres Einsatzes im vergangenen Jahr bereits rund 13 000 Menschen aus Seenot gerettet und in die EU gebracht. Der ursprünglich geplante Kampf gegen kriminelle Schlepperbanden ist hingegen kaum vorangekommen, weil die EU bislang kein Mandat für Einsätze innerhalb libyschen Hoheitsgewässer hatte. In dem nordafrikanischen Staat tobte bis zuletzt ein Bürgerkrieg.

Ticket nach Europa

EU-Länder wie Österreich sehen den Militäreinsatz deswegen mittlerweile kritisch. Weil eine Rettung durch EU-Schiffe auch mit einem „Ticket nach Europa“ verknüpft sei, würden immer mehr Schlepper Flüchtlinge auf wackligen und kaputten Booten auf den Weg schicken, kommentierte Außenminister Sebastian Kurz am Montag bei einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Luxemburg.

Große Hoffnungen ruhen deswegen derzeit auf der neuen Einheitsregierung in Libyen. Diese soll nach dem Willen von EU-Staaten wie Frankreich und Großbritannien möglichst schnell den Weg für eine Ausweitung des EU-Militäreinsatzes in die libyschen Küstengewässer freimachen. Nach Vorstellung der Regierung in London könnten europäische Soldaten sogar die libysche Küstenwache für den Kampf gegen Schleuserbanden schulen.

Seit Jahresbeginn kamen nach offiziellen Angaben bereits mehr als 20 000 Migranten über den Seeweg nach Italien. Experten und Politiker warnen seit Wochen, dass die sogenannte Zentrale Mittelmeerroute infolge der stark kontrollierten Grenzen auf dem Balkan wieder zur Hauptflüchtlingsroute in Richtung EU werden könnte.
Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl sehen die Entwicklungen mit großer Sorge. „Der EU-Türkei-Deal treibt Flüchtlinge in die Hände von Schleppern, die sie auf noch längere und gefährlichere Wege als bisher schicken“, kommentiert Geschäftsführer Günter Burkhardt. Er befürchte, dass die Zahl der toten Flüchtlinge im Sommer 2016 noch einmal drastisch ansteigen werde.