Türkei: Tausende Festnahmen und Entlassungen

Türkei: Tausende Festnahmen und Entlassungen
(AFP/Olcay Duzgun)

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Die türkischen Behörden machen mit aller Härte Jagd auf mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung: In landesweiten Razzien nahm die Polizei am Mittwoch mehr als tausend Verdächtige fest, die Gefolgsleute des regierungskritischen Predigers Fethullah Gülen sein sollen.

Am Abend gab die Polizei die Suspendierung von mehr als 9.000 mutmaßlichen Gülen-Anhängern in den eigenen Reihen bekannt. Die Regierung wirft Gülen vor, die Polizei durch verdeckte Netzwerke unterwandert zu haben.

Für die Razzien mobilisierte die Polizei am frühen Morgen rund 8.500 Beamte, 81 Provinzen waren betroffen. Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu bezifferte die Zahl der Festnahmen auf 1.120. Insgesamt würden 4.672 Menschen als Verdächtige angesehen, von denen 1.448 bereits in Haft seien. Die übrigen 3.224 würden per Haftbefehl gesucht. Die Zeitung „Hürriyet“ berichtete unter Berufung auf anonyme Quellen sogar von 7.000 Haftbefehlen.

9.013 Polizeibeamte suspendiert

Am Abend gab dann die Polizei die Suspendierung von insgesamt 9.013 Beamten wegen mutmaßlicher Gülen-Kontakte bekannt. Der Schritt sei „aus Gründen der nationalen Sicherheit“ erforderlich, teilte die Polizei mit. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht die Bewegung des islamischen Predigers Gülen für den Putschversuch vom vergangenen Juli verantwortlich. Innenminister Süleyman Soylu rechtfertigte die massenhaften Festnahmen. Ziel sei es gewesen, „Strukturen aufzudecken und zu zerstören, die unsere Polizei infiltriert haben und von außen zu steuern versuchen“. Der Staat müsse von Gülen-Anhängern „gesäubert“ werden.

Die EU mahnte für jeden der Festgenommenen ein faires rechtsstaatliches Verfahren an. Die Türkei müsse „den höchsten demokratischen Standards“ gerecht werden, sagte EU-Sprecherin Maja Kocijancic in Brüssel. Seit dem Putschversuch im vergangenen Juli wurden in der Türkei zehntausende mutmaßliche Gülen-Anhänger inhaftiert oder aus dem Staatsdienst entlassen. Nichtregierungsorganisationen und EU-Staaten sind besorgt über die verschlechterte Menschenrechtslage in der Türkei und beklagen Repressionen vor allem von Kurden und kritischen Medien.

Erdogan Mitte Mai in den USA

Die Regierung in Ankara stuft die Bewegung von Gülen, einem einstigen Weggefährten und heutigen Erzfeind Erdogans, als „terroristische Organisation“ ein, die zahlreiche Institutionen infiltriert habe, um einen „Parallelstaat“ aufzubauen. Die Gülen-Bewegung, die sich Hizmet (Dienst) nennt, betreibt weltweit hunderte Bildungseinrichtungen und fördert nach eigenen Angaben einen aufgeklärten und toleranten Islam. Gülen, der im Exil in den USA lebt, bestreitet jegliche Verwicklung in den Putschversuch.

Die türkische Regierung hat Washington wiederholt zur Auslieferung Gülens aufgefordert. Die Angelegenheit dürfte eines der zentralen Themen eines USA-Besuchs Erdogans Mitte Mai sein.

Bei einem Verfassungsreferendum vor gut einer Woche hatten die Türken mit einer knappen Mehrheit von rund 51 Prozent für die Einführung eines Präsidialsystems gestimmt. Mit der Verfassungsreform werden die Machtbefugnisse des Staatspräsidenten deutlich erweitert, die Befugnisse des Parlaments geschwächt und die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt.