Voller Gefahren, zu viel Zeitdruck

Voller Gefahren, zu viel Zeitdruck
(Fabrizio Pizzolante)

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Auf einer Pressekonferenz reagierte das Syndikat SEW-OGBL am Donnerstag auf die vom Bildungsminister Claude Meisch am 14. Juni vorgestellte Reform der Orientierungsprozedur von der Grundschule zur Sekundarstufe. Kritikpunkte gibt es viele.

Da wäre zunächst der Zeitdruck: Das Gesetzesprojekt wurde am 11. Mai im Parlament abgegeben, und soll noch vor der Sommerpause abgestimmt werden … denn die Reform, die sowohl das ehemalige 5. (4.1.) als auch 6. Schuljahr (4.2.) betrifft, soll zur Rentrée in Kraft treten.

System-Kritik

Das SEW bezieht sein Gutachten und seine Änderungsvorschläge auf die aktuelle Orientierungsprozedur und den vorliegenden Reformtext. Für grundlegende Kritiken sei eh keine Zeit mehr, so Patrick Arendt, und teilweise sei die Zeit auch nicht reif.

Damit bezieht er sich auf das Alter von 12 Jahren für die Orientierung. „Zu früh. Sollte man nicht über einen ‚tronc commun‘ bis 15 Jahre diskutieren?“, sinnierte Arendt, und antwortet selbst: „Die Diskussion ist vergiftet und aktuell auch nicht politisch zu führen.“

Zweite Systemkritik: die Orientierung hin zum „secondaire technique“ ist eine negative: „Es ist ein ‚échec‘. Wenn man nicht ‚gut genug‘ für den ’secondaire‘ ist, dann kommt man in den ‚technique‘.“

Nr.3: Die aktuelle Bewertung in der Grundschule sei zu schwammig.

Und Nr.4: Der „Graben“ zwischen Grundschul-Lehrern und Lyzeums-Lehrer, sei seit Jahrzehnten schon viel zu groß. Und die wenige bisherige Zusammenarbeit im „Conseil d’orientation“ werde nun wieder abgeschafft. clc

Dem steht auch nichts mehr im Wege: Die zuständige parlamentarische Kommission fertigte ihren Bericht am 22. Juni an; zur Abstimmung soll das Gesetz am 5. Juli kommen, dem ersten der sechs verbleibenden Sitzungstage vor den Ferien.

Vier mal Einigkeit

Das Gutachten, welches das Erziehungssyndikat des OGBL der Presse vorstellte, ist auf den 18. Juni datiert (Link), erwähnt wird es nicht im Kommissionsbericht. Auch im Vorfeld sei man nicht vom Minister konsultiert worden, beklagte sich Patrick Arendt. Der die Tatsache, dass es bisher kaum Reaktionen aus der Schulwelt gab, darauf zurückführt, dass nach einem neuerlichen „Alleingang“ eine gewisse „Resignation“ vorherrsche, „da Dialog scheinbar nicht mehr existiert.“

Einigkeit gibt es in vier Punkten: das aktuelle System muss reformiert werden; es ist zu schwerfällig, das werde behoben; gut sei, dass in punkto Orientierung schon mehr im Schuljahr 4.1. passiere; auch die Möglichkeit, dass sich Sekundarschul-Lehrer als „enseignant-orienteur“ weiterbilden könnten, wird begrüßt.

„Typisch Luxemburg“

Der wesentliche Aspekt der Reform – mehr und neues Mitspracherecht der Eltern, ein Konsens der Eltern und des „enseignant titulaire“ ist immer Voraussetzung für die Orientierung – stößt dagegen auf „typisch Luxemburger“ Kritik. Nämlich: Luxemburg ist ein Dorf und jeder kennt jeden.

Der SEW sieht die Gefahr, dass Eltern starken Druck ausüben könnten, wenn ihnen die Meinung des „enseignant titulaire“ nicht gefällt. Eltern mit „Einfluss“ oder auch Besserverdienende könnten versuchen, dies auszuspielen. Chancengleichheit würde nicht mehr bestehen. Das Ganze immer vor dem Hintergrund, dass der Lehrer aus Angst vor „Diskreditierung“ es vorzieht, sich der Meinung der Eltern anzuschließen. Und sei die Entscheidung im Konsens getroffen, gebe es keine Kontrolle mehr, so Arendt weiter.

Nur Lehrer ist verantwortlich

Die Verantwortung liege allerdings ganz alleine beim „enseignant-titulaire“. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Eltern können mitreden, tragen aber keinerlei Verantwortung. Der SEW spricht sich für ein „beratendes Gutachten“ aus, mit anschließender alleiniger Entscheidung der Eltern, diesem zu folgen oder aber ihr Kind in eine andere Stufe anzumelden.

Wenn denn die eventuelle Uneinigkeit zwischen Eltern und Lehrer bestehen bleibt, geht es laut Reform vor eine „Commission d’orientation“. Hier sieht der SEW die Gefahr, dass diese zu einer Art „Tribunal“ werden könnte, „Damoklesschwert“ nannte es Monique Adam, mit negativen Konnotationen von allen Akteuren. Der Lehrer müsste quasi „gegen“ das Kind, das er ja zwei Jahre lang förderte, sprechen, um seine Argumentation zu halten. Die Eltern könnten denken „die Kommission wird eh der Meinung des Lehrers folgen.“ Mit am Ende, egal bei welcher Entscheidung, „dem Gespréich am Duerf“ mit möglichen negativen Konsequenzen v.a. für die „Verlierer-Partei.“

Abschaffen der Rekurs-Möglichkeit

Weiterer Kritikpunkt: das Abschaffen der „épreuve d’accès“. Im aktuellen System ist dies die Rekurs-Möglichkeit, wenn Eltern nicht mit der Orientierungsentscheidung des bisherigen „Conseil d’orientation“ einverstanden sind. Keine offizielle Rekurs-Möglichkeit mehr heißt in dem Fall, und der SEW teilt hier die Meinung des Staatsrats aus dessen Gutachten vom 25. Mai: Damit öffnen sich Eltern die „normalen“ Rekurs-Möglichkeiten vor administrativen Gerichtsbarkeiten. Die parlamentarische Kommission entschied, diesen „considérations“ – es war keine „opposition formelle“ – des Staatsrats nicht Rechnung zu tragen.

Die „épreuve d’accès“ wird also bei einem positiven Votum am 5. Juli im Parlament ersatzlos abgeschafft werden. Wollen Eltern dann ihr Kind anders orientieren als die Schule dies entscheidet, könnten/müssten sie Einspruch beim Verwaltungsgericht einlegen.