Tunesien steht vor der Qual der Wahl

Tunesien steht vor der Qual der Wahl
(AFP)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am Sonntag finden in Tunesien die ersten freien Wahlen statt. Auch in Luxemburg können sich 387 wahlberechtigte Tunesier daran beteiligen.

Die Bürger sind aufgerufen, eine verfassunggebende Versammlung zu bestimmen, die im Laufe eines Jahres das Grundgesetz für die über zehn Millionen Einwohner dieses kleinsten Staates des Maghreb ausarbeiten soll. Um die 218 Sitze bewerben sich über 10.000 Kandidaten. Mehr als hundert Parteien beteiligen sich an der ersten freien Abstimmung im Land, die nicht nur in der Region aufmerksam verfolgt wird.

Im „Bisserwee“ 11 in Luxemburg-Stadt können seit Donnerstag 387 in Luxemburg lebenden wahlberechtigte Tunesier sich an der wichtigen Abstimmung beteiligen. Das Wahllokal ist täglich von 7 bis 19 Uhr geöffnet. Es schließt allerdings am Samstagabend seine Türen.

Wichtige Weichenstellung

Die Euphorie des Anfangs, als fast das ganze Land einig war im Kampf gegen den autokratischen Machthaber Zine al-Abidine Ben Ali, ist der Ernüchterung gewichen. Neue Konflikte sind ausgebrochen. Vor allem Islamisten versuchen eine Weichenstellung für einen religiös orientierten Staat zu erzwingen. Vergangenen Freitag kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, die nach den Freitagsgebeten die Einführung islamischen Rechts forderten und zum Haus des amtierenden Regierungschefs Beji Caid Sebsi marschierten.

Die Salafisten als Anhänger eines besonders orthodoxen Islam stellen nur eine kleine, lautstarke Minderheit dar. Die größten Chancen werden bei der Wahl der Ennahda eingeräumt, einer moderat islamischen Partei. Am Mittwoch drohte die Partei mit massiven Protesten, falls es Wahlbetrug geben sollte.

Instrument Facebook

Der Ton wird schriller, was sich auch auf Facebook beobachten lässt. Das soziale Netzwerk spielte bereits bei der Erhebung gegen die autokratische Regierung Anfang des Jahres eine herausragende Rolle. Ein Nutzer sagte dort bei einem Wahlsieg der Islamisten Verhältnisse wie in Afghanistan voraus. Von der Gegenseite warnte ein anderer Nutzer vor einer säkularen Mehrheit: Dann würden in Zukunft Väter im Fernsehen beklagen, wenn ihre Töchter mit 15 Jahren noch ihre Jungfräulichkeit bewahrt hätten.

Ein Sieg islamistischer Kräfte würde aller Voraussicht nach einen Wandel der tunesischen Gesellschaft nach sich ziehen. Das Land gilt als das säkularste unter denen des arabischen Frühlings. Dort wird etwa Alkohol in Bars und Läden verkauft, viele Frauen bedecken ihre Köpfe nicht und knapp bekleidete Touristen können unbehelligt an den Küsten Sonnenbäder nehmen. Tunesier selbst bezeichnen diese Lebensart als „Islam Lite“, also eine Art abgespeckter Islam. Es gibt eine breite Mittelschicht, die Mehrheit der Bevölkerung ist gut ausgebildet und die Frauen selbstbewusst.

Die Initialzündung

Der Aufstand in Tunesien war die Initialzündung für den arabischen Frühling, der bislang den ägyptischen Herrscher Husni Mubarak und den libyschen Potentaten Muammar Gaddafi gestürzt hat. Vergangenen Dezember hatte sich der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi aus Protest gegen die Verhältnisse selbst angezündet und erlag einige Tage später seinen Verletzungen. Der Proteststurm fegte Tunesiens Machthaber Ben Ali weg und breitete sich wie ein Flächenbrand in der Region aus.

Wenn den Tunesiern ein friedlicher Übergang zur Demokratie gelingt, dürfte das auch die Bürgerbewegungen in den anderen arabischen Ländern beeinflussen. Dies wäre besonders wichtig für Ägypten, den einflussreichsten Staat der Region. Auch hier kam es zuletzt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die religiöse Ursachen hatten.