/ Frankreichs Atomgegner mucken auf
Die Franzosen wollen es ihrem deutschen Vorbild gleich tun: Der Castor-Transport in dieser Woche von La Hague nach Gorleben soll wie im Nachbarland von Blockaden, Demonstrationen und Zeltlagern begleitet werden. „Dieses Mal werden so viele kommen wie noch nie“, sagt Charlotte Mijeon, Kampagnenleiterin bei der Anti-Atom-Organisation „Sortir du Nucléaire“. Sie schätzt, dass es viele Hunderte sein werden. Die Veranstalter haben eine Grünfläche im Süden vom Abfahrtsort Valognes mit rund fünfzig Zelten besetzt. Die geplanten Demonstrationen, Diskussionsrunden und Gemeinschaftsessen erinnern an die Proteste in Deutschland.
Zum ersten Mal rechnet auch der französische Staat mit mehr Widerstand in der Bevölkerung: Die Schulen im Abfahrtsort Valognes werden geschlossen, der Zugverkehr der Region wird eingestellt. Zwanzig Straßen in Valognes und zwei Landstraßen sind am Mittwoch für den Verkehr gesperrt.
Bislang wenig Widerstand
Fuhren in der Vergangenheit die Castoren häufig unbeachtet durch ganz Frankreich, wird dieses Mal der gesamte Transport öffentlich diskutiert. Hunderte französische Polizisten sollen die zwölf Waggons bis zur deutschen Grenze begleiten.
Obwohl im Nachbarland mit 59 Reaktorblöcken mehr als drei Mal so viele Meiler wie in Deutschland laufen, organisierte sich in Frankreich bislang weniger Widerstand. Früher fuhren die auffälligen Castor-Transporte ohne gesonderte Bewachung in die Hauptbahnhöfe Frankreichs ein. Noch im vergangenen Jahr lockte der Transport der radioaktiven Abfälle vom südfranzösischen Cadarache nach Mecklenburg-Vorpommern in Deutschland nur vier französische Aktivisten an den Abfahrtsort. „Nach der Katastrophe von Fukushima folgen uns mehr Menschen“, sagt Mijeon. Die 33-jährige Französin aus Lille ist schon seit Jahren aktiv. „Ich habe immer die Gefahr einen atomaren Unglücks vor Augen.“
„Angstklima war erzeugt“
Wurden die Aktivisten früher von der Bevölkerung und den Medien wie „Terroristen“ behandelt, herrscht heute mehr Verständnis. „Wir werden viel mehr gefragt und ermutigt, auch von der Bevölkerung in Valognes und La Hague“, sagt auch Laura Hameaux, Aktivistin von „Sortir du Nucléaire“. Hameaux befürchtet aber, die strengen Sicherheitsvorkehrungen am Abfahrtsort und die Sperrung von Hauptstraßen könnten die Bürger wütend machen. „Der Staat und der Atomkonzern Areva tun alles, um die Bevölkerung gegen uns aufzuhetzen“, so die junge Frau. „Dieses Angstklima ist total verrückt.“
Demonstranten, die Züge blockieren, können in Frankreich hart bestraft werden. So hatten die Proteste gegen den Castor-Transport nach Gorleben im Herbst 2010 in Frankreich ein juristisches Nachspiel. Sieben Atomkraftgegnern wurde in Caen der Prozess gemacht. Die Angeklagten hatten am 5. November versucht, einen Atomtransport nach Gorleben zu blockieren. Vor Gericht machten sie zivilen Ungehorsam geltend und wiesen auf die Gefahren für die Umwelt durch die Waggons hin. Im Januar wurden die Aktivisten von einem Gericht in Caen zu einem Monat Bewährung und 1.000 Euro Geldstrafe verurteilt.
Neid auf Nachbarn
Auch ein tragischer Unfall hatte die Bewegung für einige Zeit gelähmt: 2004 wurde ein Aktivist, der sich bei einem Castor-Transport in Ostfrankreich an Gleise gekettet hatte, von dem Konvoi überfahren. Der Zug fuhr ungewöhnlich schnell und ausnahmsweise kreiste kein Hubschrauber über der Szene, um den Lokführer zu warnen. Die Beine des Demonstranten wurden durchtrennt, wenige Sekunden später verlor er sein Leben. „Das war ein großer Schock für alle Atomkraft-Gegner“, so Mijeon.
Heute scheint die Bewegung wiederauferstanden zu sein – wenn auch in viel kleinerem Rahmen als in Deutschland. Am Dienstagabend um 18.00 Uhr wollen Atomkraftgegner von Greenpeace, den Grünen und der Anti-Atom-Organisation „Sortir du Nucléaire“ in La Hague auf die Straße gehen. Auch einige Aktivisten-Teams wollen den Zug bis zur deutsch-französischen Grenze begleiten – und wahrscheinlich wieder neidvoll die entschlossenen Sitzblockaden und Demonstrationen von Zehntausenden im Nachbarland beobachten.