Ein Buchstabe mit Geschichte

Ein Buchstabe mit Geschichte
(Sascha Seil)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Stiller Protest mit Tiefgang auf der Glasfassade des umstittenen Gebetshauses in Esch/Alzette. Der Buchstabe "?" steht für zahlreiche Schicksale und hat eine klare Botschaft an den Islamischen Staat.

Das Gebetshaus der „Association multiculturelle de l’Ouest“ (A.M.C.O.) in Esch/Alzette haben Unbekannte mit gelben Buchstaben beschmiert. Die Mitglieder der Gemeinschaft pflegen laut Geheimdienstinformationen Kontakte zu Extremisten im Ausland. Der Verein steht seit mehreren Jahren unter Beobachtung der Sicherheitsdienste. Das Gebäude in der Brillstraße gilt als Rekrutierungsbüro für den Islamischen Staat, heißt es immer wieder.

Arabische Christen

Aber was bedeuten die vier Buchstaben und zwei Kreuze auf der Glasfassade? Wir haben rumtelefoniert und nachgefragt. Keiner konnte uns eine Antwort geben. Durch Zufall sind wir auf Twitter, Facebook und später auf verschiedenen Webseiten auf den Buchstaben“?“ gestoßen.

Der Buchstabe steht für das arabische „N“ wie „Nasara“ oder auch Nazarener. In den vom Islamischen Staat besetzten Gebieten in Syrien und dem Irak werden so arabische Christen genannt. IS-Kämpfer haben den Buchstaben „?“ als Kennzeichnung oder auch Warnung auf Häuser von Christen in den eroberten Städten hinterlassen.

#WeAreN

Damit wurden die Bewohner gewarnt: Entweder die Stadt verlassen, zahlt Schutzgeld oder konvertiert zum Islam. Ansonsten droht der Tod. Inzwischen sind Hunderttausende Christen geflohen. Im Internet formierte sich in den letzten Monaten der digitale Widerstand (Link) gegen den Islamischen Staat. Die arabischen Christen drehten den Buchstaben „?“ einfach gegen die Gotteskrieger um.

Hunderttausende Anhänger haben in sozialen Netzwerken ihr Profilbild gegen das goldene „?“ auf schwarzem Grund ausgetauscht. Mit dem Hashtag „#WeAreN“ (Link) wird gegen den Islamsichen Staat und für Tolerenz getwittert. Ob hinter der Malerei in der Brillstraße tatsächlich die arabisch/christliche Bewegung „#WeAreN“ steht, ist unklar.

Sechs Kämpfer

Das Gebetshaus in der Brillstraße steht unter Beobachtung der Sicherheitsdienste. Die Mitglieder werden als gefährlich eingestuft. Es soll als Rekrutierungsstandort für junge Kämpfer benutzt werden. Zwei, vermutlich in Syrien gestorbene junge Männer verkehrten dort, hatten im Juli 2014 die Kollegen vom „Luxemburger Wort“ berichtet.

Wenige Monate später bestätigte Außenminister Jean Asselborn im Parlament die Informationen. Er sprach von sechs jungen Männern, die von Luxemburg aus in den Heiligen Krieg zogen. Er erwähnte auch die beiden Toten. Raum für Spekulationen: Auf der Fassade der A.M.C.O. prangern vier Buchstaben und zwei Kreuze. Zählt man zusammen …

Lesen Sie auch:

Die Spur auf den Balkan

„Niemand reagiert“

„Lest den Koran. Gute Nacht!“

„Sechs Luxemburger in Syrien“

Dschihadisten aus Esch