„Rettungsplan ist illegal“

„Rettungsplan ist illegal“
(AFP)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der erste EU-Rettungsplan für Griechenland war „illegal“ und „unbegründet“. Das sagt der belgische Wirtschaftswissenschaftler Eric Toussaint. Die Staatsverschuldung sei künstlich aufgebläht worden.

Die Regierung Giorgos Papandreou habe 2010 Druck auf das griechische Statistikamt ausgeübt, um die finanzielle Situation des Staates zu dramatisieren. Das sagt der belgische Wirtschaftswissenschaftler Eric Toussaint in einem Interview mit „Le Soir“ am Mittwoch. Toussaint ist Mitglied des Audit-Ausschusses des griechischen Parlaments, der die staatliche Verschuldung prüfen sollte. Der Abschlussbericht wird diese Woche veröffentlicht.

Das erste Hilfspaket für Griechenland

Der erste Rettungsplan für Griechenland beinhaltete Kredite der anderen Euroländer und des IWF von insgesamt 110 Milliarden Euro. Die Euro-Länder steuerten 80 Milliarden Euro bei, der IWF 30 Milliarden Euro.

Laut Toussaint bestand beim Internationalen Währungsfonds (IWF), bei der Europäischen Zentralbank (EZB), der EU-Kommmission und einigen Regierungen, insbesondere der deutschen und der französischen, die klare Absicht, die „Wirklichkeit zu verzerren und die Situation als Ergebnis einer ernsten Krise der Staatsfinanzen darzustellen.“ Dabei sei vor allem die private Verschuldung problematisch gewesen, so Toussaint.

Dem belgischen Volkswirt zufolge hätten die großen Banken, hauptsächlich aus Frankreich und Deutschland, Griechenland und dem griechischen Finanzsektor nach dem Eintritt des Landes in die Eurozone großzügig Kredite bereitgestellt. Daraus folgte eine private Kreditblase. So versiebenfachten sich die Kredite der griechischen Banken an die Haushalte zwischen 2001 und 2009, die Kredite an die Unternehmen wurden vervierfacht. Die öffentliche Hand erhöhte ihre Anleihen hingegen um lediglich 20 Prozent. Toussaint spricht von einer abenteuerlichen Politik der griechischen Geldhäuser: langfristige Kreditvergabe, die sie kurzfristig finanzierten. Ende 2008 musste der Staat 5 Milliarden Euro ins Bankensystem pumpen und 23 Milliarden Euro Staatsgarantien ausstellen. 2009 jedoch bekamen etliche Unternehmen und Haushalte Schwierigkeiten mit der Rückzahlung ihrer Darlehen.

14 Prozent statt zuvor 6 Prozent Defizit

Kurz nach der Amtsübernahme kündigte der damalige Regierungschef Papandreou an, dass das öffentliche Defizit bei 14 Prozent des Bruttoinlandprodukts liege. Die Vorgängerregierung hatte noch von 6 Prozent gesprochen. Toussaint zufolge habe Papandreous Regierung Druck auf die griechische Statistikbehörde ausgeübt, um die Defizitzahlen zu verschlechtern. Die Verschuldung sei um 28 Milliarden Euro „aufgeblasen“ worden. Miteinberechnet wurden u.a. die Schulden der öffentlichen Betriebe (19 Milliarden Euro) und die Arzneiausgaben der Spitäler (4 Milliarden Euro). Ursprünglich seien die neuen Zahlen auch von Eurostat bemängelt worden. Dann habe die EU-Behörde nachgegeben. Dabei würden die Regeln von Eurostat das Einbeziehen der 28 Milliarden Euro in die Verschuldung nicht vorschreiben, so Toussaint. Durch die Überspitzung der Verschuldungsfrage sollten die Probleme der Banken verheimlicht werden.

Dem Wirtschaftsexperten zufolge hätten EU-Kommission, EZB, die französische und die deutsche Regierung in Absprache mit den USA eine Lösung getroffen (mit dem ersten Rettungsplan von Mai 2010), um die Interessen einer privilegierten Minderheit großer privater Banken zu schützen, und das auf Kosten der Allgemeinheit. Private Schulden seien zu öffentlichen Schulden geworden. Als Gegenleistung (für das Hilfspaket) seien den einzelnen Regierungen extrem präzise Maßnahmen diktiert worden: Renten- und Gehaltskürzungen. Die Gläubiger seien sich durchaus der schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Maßnahmen bewusst gewesen, meint Toussaint, der von einem Verstoß gegen internationale Menschenrechtsabkommen spricht.

Moratorium

Griechenland sei laut internationalem Recht berechtigt, die Rückzahlung von Darlehen zu stunden, wenn die Verschuldung auf illegale Art zustande kam und wenn die Rückzahlung grundlegende Menschenrechte verletzt.

Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras hat am Dienstag den IWF für die Schuldenkrise verantwortlich gemacht. Der IWF trage eine „kriminelle Verantwortung für die heutige Lage“. Sein Land muss Ende des Monats 1,5 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen, die Voraussetzung für die Ausbezahlung der letzten Rate aus dem zweiten Rettungspaket für Griechenland. Dieser erste Rettungsplan sei unter „illegalen, unbegründeten und regelwidrigen“ Bedingungen erstellt worden, betont Toussaint, Doktor der Wirtschaftswissenschaften, an den Universitäten von Liège und Paris VII. Er koordiniert die Arbeiten der „Wahrheitskommission über die staatliche Verschuldung Griechenlands“, die am 4. April 2015 eingesetzt worden ist.

Die Euro-Finanzminister werden sich am Donnerstag erneut mit der Griechenland-Frage befassen. Nicht ausgeschlossen ist ein EU-Sondergipfel am Sonntag, um doch noch zu einer Einigung zwischen Griechenland und Gläubigern zu kommen.