„CETA ist ein Schritt in die richtige Richtung“

„CETA ist ein Schritt in die richtige Richtung“
(Reuters)

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Ende des Monats soll beim EU-Kanada-Gipfel in Brüssel das Freihandelsabkommen CETA unterzeichnet werden. Wir sprachen mit dem deutschen Sozialdemokraten und Vorsitzenden des Ausschusses für internationalen Handel im Europäischen Parlament, Bernd Lange, über CETA und „ein totes Pferd“ namens TTIP.

Tageblatt: Sind Sie erleichtert, dass das Kapitel CETA bald abgeschlossen ist?

Zusatzerklärung steht

Die EU-Kommission hat die von mehreren Mitgliedstaaten geforderte Zusatzerklärung für das umstrittene Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) fertiggestellt. Der Entwurf sei am Mittwochabend an die EU-Mitgliedstaaten verschickt worden, hieß es aus EU-Kreisen. An diesem Freitag solle bei einem Treffen in der slowakischen Hauptstadt Bratislava über die Vorschläge der Kommission beraten werden.

„Der Text wird rechtlich verbindlich sein und hat zum Ziel, klare und eindeutige Aussagen zu einer Reihe von Ceta-Vorschriften zu treffen, die Anlass zu öffentlichen Diskussionen und Sorgen gegeben haben“, sagte ein Kommissionssprecher am Donnerstag. Nach dem Austausch in Bratislava sollen sich die ständigen Vertreter der EU-Staaten in Brüssel nächste Woche mit der Zusatzerklärung beschäftigen.

Erste Kritik an dem Papier äußerte am Donnerstag die Umweltorganisation Greenpeace. „In ihrem gegenwärtigen Zustand hat die Erklärung den Wert eines Reiseprospekts“, erklärte Greenpeace-Rechtsexpertin Andrea Carta in Brüssel mit. Der Kommissionsvorschlag enthalte nichts, was gegen die „Bedrohungen“ von Ceta schützen könne. Es sei bedauerlich, dass die Erklärung eine „PR-Übung“ geworden sei und nicht ein ernstzunehmender Versuch, mit den Ceta-Problemen umzugehen. (AFP)

Zeitplan

Die EU-Kommission hatte auf dem jüngsten Treffen der EU-Wirtschafts- und Handelsminister am 23. September in Bratislava zugesichert, Ceta durch eine Zusatzvereinbarung zu erweitern. Dadurch sollten die Zweifel an einigen Punkten aus der Welt geschafft werden. An dem bisherigen Zeitplan für die Unterzeichnung von Ceta hält die EU-Kommission weiter fest. Am 18. Oktober sollen alle EU-Mitgliedstaaten den Text auf einem Ratstreffen annehmen. Ceta soll dann am 27. Oktober auf dem EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet werden. Danach muss das Europaparlament über den Vertrag abstimmen. (AFP)

Bernd Lange: Ich bin erleichtert, wenn es wirklich abgeschlossen ist. So weit sind wir ja noch nicht. Wir müssen jetzt warten, dass der Rat wirklich unterschreibt am 27./28. Oktober. Ganz so sicher ist das noch nicht. Dann kommt es ins Parlament und dann werden wir auch noch einmal alle Aspekte genau abwägen, insbesondere, was noch zusätzlich an gemeinsamen Erklärungen auf den Tisch kommt. Wenn es hinreichend ist und wir nicht noch weitere Anforderungen stellen, könnte die Abstimmung im Januar oder Februar sein. Dann bin ich erleichtert.

Können noch andere Forderungen gestellt werden? Das Abkommen ist doch ausverhandelt.

Das hat die Kommission auch schon vor fünf Jahren gesagt, so ungefähr. Dann haben wir die privaten Schiedsgerichte rausgeschmissen. Und jetzt gibt es eine rechtsverbindliche gemeinsame Erklärung, in der es noch einmal um die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte geht, den Schutz der öffentlichen Dienste und die Rekommunalisierung von Dienstleistungen und anderen Elementen. Diese Klarstellungen haben wir in einer Diskussion im Parlament auch eingefordert und jetzt muss man schauen, ob das hinreichend ist oder nicht. Wenn nicht, dann werden wir sicherlich noch Nachforderungen stellen.

Kritiker und Gegner des Abkommens führen verschiedene Bedenken ins Feld. Was antworten Sie, wenn die sagen: … das Vorsorgeprinzip wird abgeschafft …?

Das stimmt nicht. Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen. Wir haben explizit vereinbart, dass die Rechtsauffassungen nicht angetastet werden. Wir haben vereinbart, einen Dialog über Risikoeinschätzung zu führen. Mehr nicht.

… die Europäer müssen künftig Hormonfleisch und genmanipulierte Lebensmittel importieren …?

Nein! Wir haben eine europäische Gesetzgebung, die eindeutig die Zulassung regelt, und da ändert sich durch ein Handelsabkommen nichts. Im Gegenteil: Wir haben sogar mit den Kanadiern vereinbart, die Produktion von Rindfleisch ohne künstliche Hormone zu stärken und für 50.000 Tonnen Rindfleisch hoher Qualität ohne künstliche Hormone zollfrei den Markt geöffnet. Was auch in Kanada für Konsumentinnen und Konsumenten gut ist, weil die inzwischen auch eine andere Sichtweise auf die Rindfleischproduktion haben und schon einige Rindfleischproduzenten die Produktion umstellen.

… für Unternehmen wird eine Paralleljustiz eingeführt …?

Das stimmt auch nicht. Es wird ein öffentliches Investitionsgericht geben, das die Frage, falls es Diskriminierungen von ausländischen Investoren gegenüber inländischen gibt, in den gegebenen Umständen überprüft. Ich gehe davon aus, in den meisten Situationen wird es überhaupt nicht zur Anwendung kommen. Denn in den meisten europäischen Ländern haben wir die Inländergleichbehandlung. Ich gehe nicht davon aus, dass dieses Gericht eine große Fallzahl haben wird.

… der Umwelt- und Verbraucherschutz sowie die Arbeitsrechte werden unterminiert …?

Nein! Wir haben ein klares Bekenntnis für hohe Umweltstandards und arbeiten in vielen Bereichen auch zusammen. Zum Beispiel haben wir die Nachhaltigkeitsziele vereinbart. Wir haben auch in der Praxis viele Bereiche, in denen wir uns gemeinsam mit Kanada um hohe Standards bemühen. Was die Arbeitnehmerrechte betrifft, muss man sagen, dass durch die Verhandlungen, aber auch durch die neue Regierung, die ausstehenden zwei Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert worden sind. Das Arbeitnehmergrundgesetz gilt nun auch in Kanada. Und wir sind sehr intensiv dabei, die Umsetzung auch möglichst verbindlich zu machen. Insofern sehe ich überhaupt keinen Ansatzpunkt dafür, dass Arbeitnehmerrechte unterlaufen werden. Im Gegenteil: In Artikel 23 ist auch noch einmal formuliert, dass beide Seiten mit eigenen Mitteln eine Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Arbeitnehmerrechte anstreben.

Glauben Sie, dass die Erklärung, die bis kommende Woche zwischen der EU und Kanada ausgearbeitet wird und zu mehr Klarheit zu verschiedenen Punkten des Abkommens führen soll, die Kritiker überzeugen wird?

Es gibt sicherlich einige Kritiker oder Gegner, die werden durch nichts überzeugt werden. Es gibt Menschen, die befürchten, dass Globalisierung ihre Lebenssituation beeinträchtigt und deswegen versuchen sie, sich abzuschotten. Ich glaube, das ist keine Perspektive. Ich glaube, wir müssen Regeln setzen und das macht man mit Handelsverträgen. Gerade mit den Kanadiern, das ist unser engster Partner. Wir haben seit 1976 ein Handelsabkommen mit Kanada. Wir sind ganz eng zusammen auf der politischen Bühne und handeln manchmal auch gemeinsam gegen die Vereinigten Staaten, wie zum Beispiel auf der letzten WTO-Konferenz.

Welches CETA hätten wir ohne den Widerstand der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft?

Ohne eine starke demokratische Kontrolle durch das Europäische Parlament und einen starken Diskurs mit der Zivilgesellschaft wären sicherlich einige Elemente, also die besondere Berücksichtigung des öffentlichen Dienstes, die Frage der Arbeitnehmerrechte in allen Ausprägungen und natürlich die Überwindung der privaten Schiedsgerichte, nicht so einfach gewesen.

Was passiert, wenn ein EU-Staat (oder mehrere) CETA nicht ratifiziert?

Es gibt drei Möglichkeiten: Das eine ist, es wird nachverhandelt, was eine ziemlich umfangreiche Operation, aber theoretisch möglich ist. Zweite Option ist: Es gibt ein ergänzendes Protokoll, wenn man genau identifizieren kann, was das Problem ist. Und die dritte Möglichkeit ist: Es ist gescheitert.

Bedeutet CETA eine Wende in der Aushandlung von Freihandelsabkommen?

Eine Wende würde ich nicht sagen, aber es ist ein Schritt hin zu modernen Handelsabkommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht mehr nur die Frage von Handelsbarrieren und Zöllen in den Fokus nehmen müssen, sondern die Frage von Regeln setzen: also hohe Verbraucherschutzstandards, hohe Arbeitnehmerrechte, damit Globalisierung fair gestaltet werden kann.

Ist TTIP mittlerweile Geschichte?

TTIP ist ein totes Pferd, das zurzeit keiner reiten kann. Und ich glaube, unter Obama wird es nicht mehr wiederbelebt werden. Auch rein technisch geht es überhaupt nicht. Da sind noch so viele ungelöste Fragen. Wie sich die neue Administration die Sache anschauen wird, weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass sich in den letzten drei Jahren die Vereinigten Staaten so gut wie überhaupt nichts bewegt haben.

Kann man sagen, dass CETA ein Modell ist für zukünftige Freihandelsabkommen?

CETA ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Stück weit ein Modell, wobei Handelsabkommen immer weiterentwickelt werden. Aber was klar ist: Es kann keinen Schritt mehr zurück geben. Das würde das Europäische Parlament nie und nimmer akzeptieren. Das heißt auch, dass es bei den TTIP-Verhandlungen bei allem, was Standardsetzung, Beteiligung der Öffentlichkeit, Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge und vor allen Dingen Arbeitnehmerrechte anbelangt – also allem, was in CETA so vereinbart ist – demgegenüber kein Zurückgehen geben kann bei TTIP. Und ich weiß nicht, ob die Vereinigten Staaten das jemals unterzeichnen würden.

Das heißt, ein Abkommen mit den USA ist noch weiter in die Ferne gerückt als es ohnehin schon ist?

In der Tat. Und es gibt ja auch Gerüchte, dass die Vereinigten Staaten versucht haben, das Kanada-Abkommen zu verhindern.