Patti Smith: Punk-Ikone wird zur Schriftstellerin

Patti Smith: Punk-Ikone wird zur Schriftstellerin

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Sie ist nicht mehr die Jüngste, aber immer noch agil. Patti Smith (72), in Chicago geboren, hat viel zu erzählen. Etwa davon, wie sie zu ihrer persönlichen Freiheit gelang. Schon als Kind empfand sie es als magisch, dass eine Wildheit in ihr rumorte, eine unerklärliche Unruhe, ein Drang, dem Weltenlauf, den starren Regeln und Dogmen der Gesellschaft zu widersprechen.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Mit 16 pfiff sie auf die Schule, brach aus dem steifen Unterricht aus und las die Bücher, die sie wirklich interessierten. Von T.S. Eliot, William S. Burroughs oder Arthur Rimbaud. Sie veröffentlichte ihre eigenen Gedichte („Traumsammlerin“, 1992), es folgten ihre Songtexte, gedruckt und in Alben; „Horses“ von 1975 war ihr größter Wurf. Und da war ja auch noch der Punk, laut, wild, unüberhörbar. Diese Frau hat ihren ganz eigenen Weg gefunden. Als Musikerin – und nun auch als Literatin. In „Hingabe“ erzählt sie, wie es dazu kam.

Das schmale Buch beginnt mit dem Satz: „Auf der Suche nach dem Anderen fand ich …“ Es ist ein persönliches Bekenntnis, wie sie zum Schreiben kam. Dazu gibt es noch Reiseberichte nach Europa und eine Kurzgeschichte, die aus der Perspektive einer 16-Jährigen verfasst worden ist. Sie erzählt von den Kufen ihrer Schlittschuhe, von New Yorker Cafés, von England, Paris und Südfrankreich mit den kleinen Städten mit Gassen und Friedhöfen. Dort überkommt sie ein „Schwindelgefühl, eine Zuspitzung des Abstrakten, eine Brechung der geistigen Luft“.

Sie hat immer etwas zum Schreiben dabei: Stift, Notizbuch im Flugzeug, in der Bahn, beim Herumlaufen. Sie legt offen, was in ihr vorgeht. Eigentlich ist das ein Werkstattbericht. Aber Handwerk steht nicht im Vordergrund, sondern Überwältigung, die Leidenschaft für ihr Künstlertum und die Liebe zu einzelnen Menschen.

Interessante Wagnisse, doch auch Klischees

Immer auf der Suche nach der richtigen Beschreibung dessen, was geschah, was ihr widerfuhr, nach einer eigenen Sprache. Deshalb flaniert sie auch dort, wo es andere taten, von denen sie beeindruckt ist. Läuft auf den Spuren von Patrick Modiano in Paris, die Tochter von Albert Camus lässt sie in seinem Zimmer übernachten und darf Camus’ letztes handgeschriebene Manuskript seines posthum veröffentlichten Romans „Der erste Mensch“ lesen. In England steht sie am Grab von Simone Weil.

Und sie traut sich etwas. In der Geschichte von Eugenie aus Estland, die ihre Eltern nicht kennt, die mit der Tante in die Schweiz zog, wo diese sich davonmachte. Eugenie tanzt auf dem Eis, ganz in sich versunken. Als ihr der doppelt alte Mann auffällt, der ihr Herumwirbeln auf dem gefrorenen Teich bewundert. Er stand zwischen den Bäumen, verdeckt. Er wird sie, die noch nicht mal 16 ist, verführen, missbrauchen und ausnutzen. Er war „ungewöhnlich beherrscht, abgehärtet und männlich“, ein Händler von Artefakten. Er ist reich, gibt ihr Geld. Er nennt sie Philadelphia.

„Für ihre Geschichte gab es keine Lösung“, heißt es. „Eine Geschichte, der eine mythische Kraft innewohnte.“ Eugenia tötet ihren Liebhaber schließlich, um freizukommen. Manches an den Texten ist klischeehaft, die Autorin wird mitunter banal, wenn sie etwa schildert, wie sie sich in einem Pariser Café aufhält („Ich gönne mir noch einen schwarzen Kaffee und eine Schale Blaubeeren“). Manche Bilder sind schief („Ich erklimme die Wand eines aus Eis gefrorenen Vulkans“), sie bekennt sich, Autodidaktin zu sein, auch die Gedichte überzeugen nicht immer. Warum schreibt Patti Smith? „Um sich abzusetzen, einzuspinnen, versunken in Einsamkeit“, klärt sie auf. Es ist ihr erstes fiktionales Werk, weitere werden vermutlich folgen. Patti Smith setzt sich mit dem Leben auseinander, dem eigenen und dem anderer, und das tut sie auf ganz eigene Weise.