Kunst am Limit: Rebecca Horn und ihr Theater der Metamorphosen

Kunst am Limit: Rebecca Horn und ihr Theater der Metamorphosen

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Gefangensein – Freiwerden; Verstecken – Entblößen; Schwere – Leichtigkeit; Starre – Beweglichkeit: Diesen Gegensatzpaaren begegnet man im facettenreichen, oft rätselhaft bleibenden Werk der international bekannten Künstlerin Rebecca Horn. Die wichtigsten Phasen ihres Schaffens zeigt das Centre Pompidou Metz in der umfangreichen Schau „Theater der Metamorphosen“ mit Body Art, Performances, Videokunst, lyrischen Texten und skulpturalen Raum-Installationen.

Von unserer Korrespondentin Martina Kaub

Rebecca Horn gehört zu den Künstlerinnen, deren Werk eng mit der eigenen Biografie und ihrem Weltverhältnis verbunden ist. Traumatische Erlebnisse in Kindheit und Jugend hinterließen ebenso Spuren wie die väterliche Autorität, die sich anfangs ihren Zukunftsplänen entgegenstellte.

Zunächst heimlich studierte sie ab 1963 an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Vier Jahre später entstanden erste Skulpturen; doch der ungeschützte Kontakt mit Dämpfen und Stäuben von Kunststoffen schädigte ihre Lungen und zwang sie zu langen Klinikaufenthalten. Die Nähe der Todesgefahr und die Erfahrung von Isolation und Abhängigkeit ließen sie nach Auswegen suchen, um wieder mit Menschen kommunizieren zu können.

Lange Klinikaufenthalte

Zeichnungen und Körperskulpturen aus Stoff und Bandagen bezeugen, wie sehr sie ihren kranken Körper als Gefängnis erlebt hat. Sie sind im ersten Teil der Metzer Ausstellung zu sehen und repräsentieren die Idee eines Kokons, in dem sie, wie sie selbst sagt, „dauerhaft Schutz gesucht“ hat.

Ab 1968 erarbeitete sie eine Reihe von Performances, bei denen sie Prothesen aus Stoff oder anderen Materialien an den Körper heftete. „Arm-Extensionen“, ein Paar monströser, dick wattierter roter Armstümpfe, die bis zum Boden reichen, dienten als Gleichgewichtsstützen für ihren eingeschnürten Körper. Im Laufe der Aktion sollte sich das Gefühl einstellen, dass ihre Arme allmählich den Boden berühren, mit ihm verwachsen und zu „Isolationssäulen“ am eigenen Körper werden.

Flucht in die Fantasie

Der Tastsinn als Mittler intimer Kommunikation steht auch im Fokus von Fingererweiterungen, um Kontakt mit dem umgebenden Raum aufzunehmen, oder in der Performance „Einhorn“, in der ein auf dem Kopf vertikal fixierter langer Stab in der Verlängerung des eigenen Körpers die Verbindung zwischen Himmel und Erde schafft.

Der angedeuteten Verwandlung in ein Wesen aus einer anderen Welt mit gesteigerter Wahrnehmungsfähigkeit und Sensibilität steht das unmittelbare physische Überschreiten der eigenen Dimension sowie der eigenen Reichweite im Raum gegenüber. „Körperfächer“ sind von den Fußgelenken bis zu den Achseln in gleichmäßigen Abständen an ihrem Leib befestigt. Halbrunde Segel kann sie wie Flügel eines Riesenschmetterlings öffnen und um ihren Körper schließen.

Concert for Anarchy (Foto: ADAGP, Paris, 1990)

Einen Fluchtraum für die Fantasie schafft sie mit Kleidern aus Federn, deren Materialität Schwerelosigkeit und Freiheit symbolisieren. Masken laden dazu ein, etablierte Kategorien zu überwinden, sich einem Gegenüber auf andere Weise zu nähern. Die hybriden Wesen ihres Universums erforschen die eigene Fremd- und Tierhaftigkeit. Sie reflektieren kritisch die Geschlechterrollen, das Gefangensein in Genderstereotypen, und spielen sowohl mit deren Umkehrung als auch der Lust des Betrachters, den die Künstlerin letztlich zum Voyeur werden lässt.

Ausloten von Grenzen

Die Performances bettet Horn bald in größere epische Zusammenhänge ein, verwandelt erscheinen sie in filmischen Sequenzen. Das unentrinnbare Gefangensein im Closed-Circuit-System wird Thema ihrer Spielfilme.

Menschliche Akteure begeben sich freiwillig in einen begrenzten Raum (Studio, Villa, Sanatorium), der sie fasziniert und festhält, dessen Rahmen jedoch von einer Gruppe definiert wird. Der Plot zeigt Menschen, die wie Maschinen wirken, und Maschinen, die Menschen zu spiegeln scheinen. Seine Bilder sind grotesk und irritierend, sie treiben das Spiel mit der Imagination auf die Spitze. Das Werk der Künstlerin wird hier um einen politischen Aspekt erweitert. Sie zeichnet eine Atmosphäre der Rast- und Ratlosigkeit, der Ohnmacht. Hoffnung kann der Betrachter aus den eingestreuten poetischen, ästhetischen, gelegentlich sogar schalkhaften Einsprengseln schöpfen.

Mensch und Maschine

In weiteren Kompositionen übernehmen minimalistisch agierende kinetische Skulpturen die Rolle des menschlichen Körpers. Metaphern obsessiver Gedanken finden sich in Installationen, in denen vertraute Alltagsgegenstände miteinander interagieren und prekäre Situationen evozieren.

Mit präziser physischer und technischer Funktionalität setzt Rebecca Horn diese Maschinen und deren Bewegungsabläufe in Szene. Pinsel spritzen Farbe an die Wand, Schuhe werden von heruntertropfender Farbe befleckt; zwei Gruppen von Messern, „Love“ und „Hate“ betitelt, richten in ständiger Wiederholung bedrohlich ihre Spitzen aufeinander.

Ein Klavier, das kopfüber von der Decke hängt, lässt von Zeit zu Zeit die Tasten wie Zungen heraushängen. Spiegelreflexe, Licht und Musik laden dabei den umgebenden Raum energetisch auf. Durch Schläuche, Trichter und Steinquader rinnen farbige Flüssigkeiten oder alchimistisches Material wie Quecksilber.

Bedrohung und Machtausübung, Freiheit und Erotik

Diese Objekte spüren dem Fluss des Lebens nach, sie stehen für existenzielle Mechanismen, für Bedrohung und Machtausübung, aber auch für Freiheit und Erotik. Ihre archaische Symbolik dringt in das Bewusstsein des Betrachters ein und regt zum Nachdenken an.

Das Ausstellungskonzept bedient sich durchgängig der Möglichkeit, Rebecca Horns Kunstwerke in direkter Begegnung mit Werken der Surrealisten wie Luis Buñuel, Salvador Dalí, Max Ernst, Meret Oppenheim zu präsentieren. Deren bildnerisches oder literarisches Schaffen waren für die Künstlerin wichtige Inspirationsquellen, ihre künstlerische Eigenständigkeit zeigt sich im Metzer Parcours trotz der Referenzdichte jedoch deutlich.

Rebecca Horn: Theater der Metamorphosen, bis zum 13.1.20 im Centre Pompidou Metz.
Noch bis Sonntag zeigt das Museum Tinguely Basel weitere Arbeiten von Rebecca Horn in der Präsentation „Körperfantasien“.

MartyMcFly
19. September 2019 - 22.52

Frage: Was ist auf dem Bild zu erkennen? Lösung: Boris Johnson hat in einem Wutanfall seinen Schreibtisch zerlegt. Das Kunstwerk ist ein Trümmerteil davon, an Seilen an der Decke aufgehängt.