Klangwelten: Altes, aber heißes Eisen …

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Von Tom Haas und Sascha Dahm

In unserer Rubrik Klangwelten werden regelmäßig Alben rezensiert. Diese Woche bieten wir altes, aber heißes Eisen, an dem man sich die Finger verbrennen kann. Unsere Musikspezialisten haben sie sich das neue Album von Judas Priest und ein Remake von Jimi Hendrix angehört.


Ausverkauf einer Legende

Jimi Hendrix war zu Lebzeiten ein Star, nach seinem Tod wurde er zur Legende. Inzwischen ist ihm das Schicksal zuteil geworden, das alle Lichtgestalten des goldenen Zeitalters der Rockmusik ereilt: Er wurde zur Marke.

In meinem Wohnzimmer hängt noch ein einziges Poster. Natürlich ist es Jimi Hendrix. Für ein Kind der Neunziger, dem sich die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts nur durch Zurückspulen erschließen konnte, sprich dem Herumstöbern in der väterlichen Plattensammlung, war Hendrix natürlich eine Offenbarung. Jimi, hat mich quasi an der Hand genommen, mich freundlich aber bestimmt von Hardrock und Metal weggeführt und die Tür zum Blues weit aufgestoßen.

Hendrix stand in der Tradition des Chicago Blues von Muddy Waters und B.B. King, er hat deren Stil aufgegriffen und konsequent weiterentwickelt. Auf „Axis: Bold as Love“ schlug er endgültig die Brücke zum Funk und zum Soul, die sich auf „Are You Experienced“ bereits angedeutet hatte. Die Virtuosität des Gitarristen hatte seine Wurzeln neben dem unbestritten beachtlichen Talent allerdings auch in einer Form des Experimentierens, die dem Blues und dem Jazz entwachsen war: der Jam-Session. Hendrix traf sich regelmäßig mit bekannten Rockgrößen (z.B. Jim Morrison von The Doors) und unbekannteren Studiomusikern zu solchen Sessions im Studio, ließ die gemeinsamen Experimente aufzeichnen, um sie sich anhören und die brauchbaren Parts weiterentwickeln zu können.
Dieses Vorgehen ist gängige Praxis und unglaublich produktiv. Wenn einen jedoch der frühe Musikertod ereilt und man es versäumt hat, die Vernichtung der betreffenden Bänder dem Nachlassverwalter seines Vertrauens zu überantworten, passieren schreckliche Dinge. Zum Beispiel Both Sides of the Sky. Zunächst aber die positiven Aspekte: Hendrix ist gewohnt großartig, das Mastering wurde behutsam vorgenommen und schlägt einen gelungenen Spagat zwischen dem ursprünglichen Sound und den digitalen Hörgewohnheiten von heute, die Gastmusiker – vor allem Lonnie Youngblood beim „Georgia Blues“ – sind größtenteils sehr gut. Trotzdem ergibt die Mischung der besten Zutaten nicht unbedingt ein gutes Album.

Lieblos zusammengewürfelt

Man hört vielen Aufnahmen an, dass sie nicht zur Veröffentlichung gedacht waren. Es sind Rehearsals, Recordings aus dem Proberaum, unfertige Entwürfe von Songs, die vielleicht einmal strahlende Schlösser des Rocks und Blues geworden wären. Das Gitarrenspiel, obwohl virtuos vorgetragen, klingt bei Stepping Stone wie ein Platzhalter für etwas Besseres, das irgendwann noch kommen sollte. „Hear my Train a Comin’“ ist ein Blues-Song – weiter nichts. Es fehlt alles, was Hendrix in irgendeiner Weise besonders machen würde. Das Durcheinander von „Power of Soul“ könnte man mit gutem Willen für Jazz halten – nüchtern betrachtet ist es nichts als Herumprobieren, auf der Suche nach einem Sound für einen guten Song. Jede Idee ist für sich genommen ansprechend, zusammen aber entsteht ein unübersichtliches Chaos.

Dazwischen wirken die Perlen der Platte geradezu verloren – das erwähnte „Georgia Blues“ oder das einfühlsame Cover von Joni Mitchells Woodstock mit Stephen Stills am Mikrofon stechen hervor, stellen aber keinen Bezug zu den anderen Songs auf der Platte her. Lieblos zusammengewürfelt kommt „Both Sides of the Sky“ daher, wie ein Ramschstand auf dem örtlichen Flohmarkt. In einem Sammelsurium an Erinnerungsstücken tauchen zwar wirkliche Raritäten auf, jedoch ob des chaotischen Gesamtbildes drohen sie, einem zu entgehen. Auf dem Albumcover prangt das Porträt des legendären Gitarristen – und man fühlt sich unweigerlich an ein Che-Guevara-T-Shirt erinnert. Der Ausverkauf einer Legende mag für die Nachlassverwalter ein lohnenswertes Geschäft sein; der posthumen Integrität des Künstlers erweist sie mit dieser Veröffentlichung jedoch einen Bärendienst.


Metal-Lehrstunde

Es ist nicht ungewöhnlich, dass legendäre Bands im Spätsommer ihrer Karriere das eine oder andere Album veröffentlichen, allerdings entsteht aus eben diesen Platten nur sehr selten zugkräftiges Material für anstehende Shows – völlig anders verhält es sich mit den Dinos der New Wave of British Heavy Metal Judas Priest, die mit ihrem 18. Album
Firepower einen brennenden Querschnitt aus 49 Jahren Metal-Musikgeschichte mit neuen, Priest-ungewohnten, balladigen Sphären kombinieren.

Mit dem Titelsong „Firepower“ wird dem Hörer eine fast 60-minütige musikalische Lehrstunde vom Allerfeinsten eröffnet, gefolgt vom rapiden „Lightning Strike“ und dem unglaublich hämmernden „Evil Never Dies“. Bei diesem Track kommt Halfords durchdringende, reibeisige Falsetto-Stimme in all ihren Exzessen (tief, hell und schreiend) zur Geltung.

Monumental

Wer nach diesen drei Tracks immer noch die Teufelshörner nicht in die Luft streckt und sein Haupt von vorne nach hinten wirft, der wird dies spätestens bei „Never the Heroes“, „Necromancer“ und dem stoner-angehauchten „Children of the Sun“ voller Überzeugung nachholen. Zur kurzen Erholung der nun auch etwas in Mitleidenschaft gezogenen Nackenmuskulatur dient das etwa einminütige Piano-Intro mit unterschwellig-herantretenden Gitarren bei „Guardians“, bevor dann in bester Metalmanier die Gitarren-Maschine wieder angeworfen wird und die Riffs und perfekt arrangierten Soli nur so auf einen herunterprallen („Flame Thrower“, „Spectre“).

Wer nun noch immer ein bisschen Restenergie besitzt, der darf sich auch die letzten 20 Minuten des Albums noch zu Gemüte führen und verspürt bei „Traitors Gate“ und vor allem „No Surrender“ die Lust auf ein (weiteres) Judas-Priest-Konzert, da man sich unter tausenden Gleichgesinnten einfach am besten hingeben kann. Mit dem etwas dezent-balladigeren „Sea Of Red“ schließt „Firepower“ und kann mit Fug und Recht jetzt schon zu einem der besten Metal-Alben der neueren Geschichte gezählt werden.