LibyenWidersacher treffen sich in Moskau, Strippenzieher verabreden sich für Berlin

Libyen / Widersacher treffen sich in Moskau, Strippenzieher verabreden sich für Berlin
Kämpfer von Milizen der anerkannten Regierung Al-Sarradschs verschanzen sich auf einem Dach: Tripolis wird seit neun Monaten belagert (Foto: AFP/Mahmud Turkia)

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Die Verhandlungen in Moskau über die Modalitäten einer Waffenruhe in Libyen sind am Montag zunächst ohne Durchbruch zu Ende gegangen. Trotzdem: Die internationale Diplomatie hat Fahrt aufgenommen, Libyen soll befriedet und stabilisiert werden. Die Folgen eines offenen regionalen Konflikts wären unabsehbar. Doch viele Staaten haben massive strategische Interessen in dem rohstoffreichen Wüstenstaat. 

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel telefonierte mit US-Präsident Donald Trump, war beim russischen Staatschef Wladimir Putin und organisiert eine Konferenz am Sonntag, zu der zwar nicht Trump, dafür aber der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kommt. Italiens Premierminister Giuseppe Conte war in Ankara, Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian in Kairo. Sogar die beiden, um die es geht, die libyschen Kriegsgegner Fajes al-Sarradsch und Chalifa Haftar, flogen herum. Vergangene Woche war Al-Sarradsch in Brüssel, Haftar in Rom. Am Montag waren beide in Moskau.

Der internationale Druck steigt, der libysche Konflikt soll endlich gelöst werden. In den acht Jahren nach dem Sturz Gaddafis versank das Land erst in einem Bürgerkrieg, der sich dann zu einem Stellvertreterkrieg unter Regionalmächten auswuchs – und der schließlich zu einem offenen regionalen Krieg zu werden drohte.

Auf Drängen der Türkei und Russlands, die beide in dem Konflikt verstrickt sind, sollten gestern die Modalitäten der seit dem Wochenende geltenden Waffenruhe ausverhandelt werden. Sieben Stunden dauerten die Gespräche. Am Ende erbat sich General Haftar, der den Osten des Landes repräsentiert, Bedenkzeit bis zum Dienstag. Haftar habe „um etwas Zeit bis morgen“ gebeten, um über die Unterzeichnung zu entscheiden, erklärte Russlands Außenminister Sergej Lawrow auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem türkischen Kollegen Mevlut Cavusoglu. Al-Sarradsch, der international anerkannte, aber bloß dank der Unterstützung von vier Milizen die Hauptstadt Tripolis kontrollierende Premierminister, hatte da schon unterschrieben. Al-Sarradsch hatte zuvor in einer Fernsehansprache an die Libyer appelliert, „einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen“ und die „Zwietracht“ zu beenden. Das Land solle die Reihen schließen, um „Stabilität und Frieden“ zu erreichen.

Sorge vor ausgewachsenem Krieg

Mit der Unterzeichnung des Abkommens sollen die seit neun Monaten andauernden Kämpfe zwischen den Truppen der international anerkannten Einheitsregierung und des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar vor den Toren Tripolis‘ eingestellt werden. Zuletzt drohte sich der libysche Bürgerkrieg in einen regionalen Konflikt auszuweiten. Während Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Haftar und damit den Osten unterstützten, stehen hinter Al-Sarradsch Katar und besonders die Türkei, die vergangene Woche sogar eigene Soldaten nach Libyen entsandte. Von den Europäern sind besonders Frankreich (auf Seiten Haftars) und Italien (aufseiten Al-Sarradschs) eingebunden. Russland soll Haftar unterstützen, weist dies aber zurück. Die Hunderten russischen Kämpfer, die aufseiten von Haftars Truppen kämpfen, seien ohne Weisung Moskaus vor Ort, heißt es.

Der direkte militärische Einsatz der Türkei schürte nun die Sorgen vor einer Eskalation. Die Einmischung einer modernen Armee wie der türkischen hätte das Kräfteverhältnis verschoben. Haftars Truppen wären ihrerseits auf eine noch umfangreichere Unterstützung vor allem aus Ägypten angewiesen gewesen. Und die Konsequenzen dessen, wenn sich ägyptisches sowie türkisches Militär in Libyen direkt bekriegen würden, wollte sich offensichtlich keiner ausmalen. Auch wenn die Türkei bislang bloß drei Dutzend Militärberater entsandte, nahm die internationale Diplomatie endlich Fahrt auf.

So war die Lage in Libyen auch Gegenstand eines Treffens zwischen Erdogan und Conte gestern in Ankara. „Wir bemühen uns um einen dauerhaften Waffenstillstand“, sagte Erdogan in einer vom Fernsehen übertragenen Pressekonferenz nach dem Treffen.

Zwei Seiten, viel Schatten

Russland und die Türkei nutzen in dem Konflikt die Schwäche der westlichen Staaten, denen es in den vergangenen neun Jahren nicht gelungen ist, Libyen zu befrieden. Moskau will insbesondere seinen Einfluss im Nahen Osten ausbauen. Beobachter bezweifeln jedoch, dass der Waffenstillstand von Dauer sein wird. „Haftar hat ein Ziel: die militärische Eroberung der Hauptstadt. Dies würde es ihm ermöglichen, am Verhandlungstisch seine Vorstellungen durchzusetzen“, sagte Federica Saini Fasanotti vom Brookings Institute.

Moskau macht den Westen maßgeblich für den Konflikt in Libyen verantwortlich, da die NATO die Aufständischen beim Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 militärisch unterstützte. Russland und die Türkei erhoffen sich neben größerem geopolitischem Einfluss auch einen privilegierten Zugang zu den reichen Ölvorkommen des Landes.

Die internationale Gemeinschaft fürchtet hingegen, dass der nordafrikanische Staat sich zu einem „zweiten Syrien“ entwickeln und eine neue große Flüchtlingsbewegung beginnen könnte.
Frankreich sorgt sich besonders um die Sicherheitslage in der südlich von Libyen liegenden Sahelzone, wo der 2014 gestartete Kampfeinsatz „Barkhane“ (Sicheldüne) mit rund 4.500 französischen Soldaten die Islamisten nicht stoppen kann. In den afrikanischen Ländern Mali, Niger, Tschad, Burkina Faso und Mauretanien kommt es immer wieder zu Anschlägen. Der bisher tödlichste Angriff in der Sahelzone seit Jahren ereignete sich erst vor wenigen Tagen, als Islamisten 89 Soldaten in einem Militärstützpunkt im Niger töteten. Die französische Luftwaffe trug dazu bei, die Extremisten zurückzuschlagen.

Für kommenden Sonntag plant die deutsche Regierung nach Auskunft aus Teilnehmerkreisen eine internationale Libyen-Konferenz in Berlin. Sie soll unter UN-Ägide stattfinden. Putin, Erdogan und Conte haben ihr Kommen demnach bereits bestätigt. Die internationalen Bemühungen zur Beendigung des Bürgerkriegs in Libyen laufen also weiter auf Hochtouren. Auf der Konferenz soll insbesondere die ausländische Unterstützung für die Kampfhandlungen eingedämmt werden. Das dürfte schwer genug werden. Die strategischen Interessen der verstrickten Kriegsparteien wiegen schwer im ölreichen Wüstenstaat, für dessen Wiederaufbau einmal viel Geld fließen wird. (mit Material von Reuters und AFP)