The show can’t go on

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Sascha Ley leiht derzeit im TNL der 1969 verstorbenen Künstlerin Judy Garland ihre Stimme, um die bewegte Geschichte ihrer letzten Tage zu erzählen.

Es begann mit einem (angedeuteten) Blowjob und endete mit dem Tod. Ein direkter kausaler Zusammenhang besteht diesbezüglich nicht, vielmehr liegt zwischen der dargestellten Liebkosung und dem Tod von Judy Garland ein gesungener Suizid auf Raten. Sascha Ley leiht derzeit im TNL der 1969 verstorbenen Künstlerin ihre Stimme, um die bewegte Geschichte ihrer letzten Tage zu erzählen.

Eigentlich ist es Zynismus in seiner pursten Form: Man kann weltbekannt sein, ohne dass jemand einen wirklich kennt oder gar kennen möchte. Das Publikum verliebt sich nicht selten in Projektionen, folglich versucht der jeweilige Star verkrampft, diesen gerecht zu werden. Es wird einem absurden Abbild seiner Selbst hinterhergerannt. Das Risiko, bei dieser Zweckentfremdung der eigenen Persönlichkeit zugrunde zu gehen, ist nicht gerade klein. Davon zeugen etliche prominente, mittlerweile verscharrte, tote Körper, bei denen sogar die Beisetzung noch dem Entertainment diente.

Frances Ethel Gumm, so der bürgerliche Name Judy Garlands, die ihren Namen schon in frühen Jahren ändern ließ und die neue „Judy“ wie ein dauerhaftes Kostüm überstreifte, wurde auch als „Königin des Comebacks“ bezeichnet. Dies rührte daher, dass die Schauspielerin und Sängerin trotz mehrfacher Kündigungen, Zusammenbrüche und Aufenthalte in Kliniken sowie Entziehungsanstalten immer wieder auf die Beine kam und den Weg auf die Bretter, die angeblich die Welt bedeuten, fand.

Schon von Kindesbeinen an (bereits damals unter dem Einfluss von Aufputsch- wie Schlafmitteln, die ihr ihre Mutter verabreichte) hatte sich Garlands Leben auf einer Bühne abspielt, auf der das Rampenlicht nie ganz erlosch. Dementsprechend gab es keinen Notausgang, kein Entrinnen aus dem eigenen Scheinleben. Deswegen scheint ihr wohl auch das Comeback zu sich selbst stets verwehrt geblieben zu sein. Vielleicht auch, weil sie zeitlebens nie wirklich bei sich gewesen war.

Genau hier setzt die Inszenierung von Marion Poppenborg an, die sich zwar an Peter Quilters Musical Drama „End of the Rainbow“ anlehnt, aber den Fokus verstärkt auf die inneren Kämpfe der Künstlerin legt, die kurz vor ihrem Tod (durch eine angeblich versehentliche Überdosis) weder alltäglichen noch beruflichen Zerreißproben gewachsen war. Während des Stücks verfängt sich die Garland verkörpernde Sascha Ley mehrfach im Laufe eines Auftritt in ihrem Mikrofonkabel und es gelingt ihr nicht, es zu entwirren; sich selbst zu befreien. Dieses symbolträchtige Bild der in der (Lebens-)Situation und sich selbst Gefangenen steht stellvertretend für das Hauptthema des Abends.

Die eigentlichen Auftritte, die Garland mit ihrem langjährigen Freund und Pianisten Anthony (Daniel Große Boymann) in Begleitung von ihrem künftigen (und fünften) Ehemann Mickey Deans (Tim Olrik Stöneberg) im Londoner „The Talk of the Town“ im Rahmen eines fünfwöchigen Engagements ableisten sollte, um endlich ihre hohen Schulden tilgen zu können, rücken in den Hintergrund, während ihre Krisen den eigentlichen Inhalt des Stücks darstellen.

Das Dreiergespann, das auf menschlicher Ebene eigentlich vielmehr zwei sich abwechselnden und nicht kompatiblen Duos gleichkommt, fällt immer mehr in sich zusammen. Zum einen, weil die beiden Männer zu unterschiedliche Sichtweisen davon haben, wie der im wahrsten Sinne des Wortes himmelhoch jauchzenden und zu Tode betrübten Judy dabei geholfen werden soll, sowohl vor ihren Panikattacken und der Medikamentensucht sowie auch vor dem Publikum standhaft zu bleiben. Andererseits, weil Garland es als Person scheinbar verstand, sich festzubeißen, bis klaffende innere Wunden entstanden und dann nicht mehr nur losließ, sondern die Menschen um sich herum mit voller Wucht wegstieß. Die Aufgabe, in diesem Nicht-Miteinander-Funktionieren-Können gemeinsam auf der Bühne zu agieren, wurde ohne Zweifel durch drei sehr starke darstellerische Leistungen vollends erfüllt.

Die Bühne in „End of the Rainbow“ vervielfältigt sich insofern, als dass die langsam eskalierende Show nicht nur auf der „richtigen“ Bühne stattfindet. Schauplatz für einen von Garland inszenierten, potenziellen Suizid ist beispielsweise der Flügel von Anthony, auf dem sie leicht bekleidet stehend behauptet, sich in die Tiefe zu stürzen, wenn der Hoteldirektor nicht davon absehe, sie zur Zahlung der bereits angehäuften Kosten aufzufordern. Dass sie das gerade verdiente Geld bereits verprasst hat, reflektiert sie zu keinem Moment. Sie erweitert die Bühne nur, indem sie neben Anthony und Mickey noch weitere Akteure in ein (Schau-)Spiel mit hineinzieht, über das sie längst die Kontrolle verloren hat.

Auf den ersten Blick kommt die meisterhaft durchgeführte musikalische Untermalung des Abends, etwa durch den Gesang Leys sowie das Klavierspiel Große Boymanns, wie ein konventioneller Griff herüber, der lediglich dazu dienen soll, die Auftritte Garlands in „The Talk of the Town“ darzustellen. Jedoch wird bei näherem Hinhören klar, dass der Musik eine essenzielle narrative Funktion zukommt, da Garland hier den Soundtrack ihres eigenen Untergangs wiedergibt, obwohl viele der Songs nicht eigens für sie geschrieben wurden. Und zwar ohne Pathos, aber dafür auf eine niederschmetternde, tieftraurige Art und Weise.

So heißt es beispielsweise in „Get Happy“ von Harold Arlen und Ted Koehler: „It’s all so peaceful on the other side / Forget your troubles c’mon get happy / you better chase all your cares away / shout hallejulah c’mon get happy, / get ready for the judgement day.“

Auch „Just in Time“ beschreibt ihre verzweifelte Suche nach Liebe und die daraus resultierenden, aber immer wieder verunglückenden Beziehungen zu unzähligen Männern, die versuchten, sie zu retten, etwas zu passend: „I found you just in time / Before you came my time was running low / I was lost.“ Einer der Schlusszeilen des Lieds, nämlich „No more doubt or fear, I’ve found my way / For love came just in time, you found me just in time“ wohnt eine eigene Tragik inne, bedenkt man, dass ihr Partner Deans sie letztendlich tot im Badezimmer auffand.

Nachdem Garlands Stimmgewalt und ihre Grenzüberschreitungen diesbezüglich überzeugend von Ley zur Geltung gebracht wurden, schafft die abschließende Wahl des Klassikers „Over the Rainbow“, aufgrund dessen Interpretation im Film „Der Zauberer von Oz“ Garland international bekannt wurde, nicht nur einen musikalischen, sondern auch einen emotionalen Wechsel. Ley flüstert und haucht den Song förmlich, bis Garlands letzter Atemzug getan ist.

Zu dem ohnehin bedrückenden Textinhalt kommt die Tatsache hinzu, dass Garland sich gegen Ende ihres Lebens häufiger selbst auf Kassetten aufnahm, was nicht selten im Delirium passierte. Auf einer dieser Aufnahmen betonte sie einmal wütend und verzweifelt, dass sie mehr könne, als nur zu singen. Auf ihre eigene Menschlichkeit beharrend lallte sie damals: „I wanted to believe and I tried my damn best to believe in a rainbow that I tried to get over and I couldn’t! So what?“

Dramatisch ist, dass das Stück keinen Deut an Aktualität verloren hat. Es folgten und es werden noch viele moderne Judy Garlands folgen. Und viele ihrer
Geschichten werden bühnenreif sein. Es ist am Publikum zu entscheiden, ob und vor allem wann es dem Geschehen nur zuschauen oder doch handeln möchte.

Weitere Vorstellungen am 18., 19., 21. und 22. April

Robbes
31. März 2018 - 8.55

Eine phantastische Rezension, würdig der bedeutendsten internationalen Zeitungen. Meine Hochachtung, Frau Schaaf.