Nilgänse in Luxemburg: Unerforschte Neuzugänge

Nilgänse in Luxemburg: Unerforschte Neuzugänge

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Nilgänse sind eigentlich in Afrika zu Hause, breiten sich aber immer mehr in Europa aus. Auch in Luxemburg sind sie mittlerweile angekommen. Rund 40 Paare brüten hier ihren Nachwuchs aus. Wie groß ist die Gefahr für heimische Tierarten?

„Sie quaken den ganzen Morgen lang. Ansonsten machen sie keinen Ärger.“ Der Mitarbeiter des Campingplatzes an der Luxemburger Sauer kann über seine neuen Gäste, eine Schar von Nilgänsen, wenig Negatives sagen. Offenbar hat der Mann nicht die deutschen Medien verfolgt. Denn im Luxemburger Nachbarland haben sich die Tiere mittlerweile einen fragwürdigen Ruf erschnattert.

„Sie gehören nicht zu den Zeitgenossen, die wir als angenehm empfinden. Besonders grazil oder ansehnlich sind sie nicht“, schreibt beispielsweise die Wormser Zeitung. Damit nicht genug. „Nilgänse sind aggressiv, wenn man sich ihnen nähert“ (Stuttgarter Zeitung), gehen gar „Jogger wütend an, laufen unbeirrt Radfahrern in den Weg oder verfolgen zischend kleine Kinder“ (Die Welt). In Baden-Württemberg schrecken die Tiere offenbar auch vor kaltblütigem Mord nicht zurück.

So berichtet die Ludwigsburger Kreiszeitung von einem wahren Massaker an heimischen Vögeln: „Es gibt, so wurde an der Enz beobachtet, dramatische Todeskämpfe einheimischer Arten, sodass Nilgänse auch heimische Stockenten, die Reiherenten oder Teichhuhnküken so lange unter Wasser drücken, bis diese ertrinken.“

Elegante Ausbrecher

Nilgänse sind Neozoen. Das heißt, dass sie in unseren Breiten eigentlich nicht heimisch sind. Ursprünglich kommen die Tiere aus Afrika, wegen ihres eleganten Aussehens importierten Vogelfreunde einige Individuen nach Europa. In Ostengland, den Niederlanden, Belgien und Polen stolzierten sie dann als Ziergefieder durch Zoos und Parks – oder flogen über die Mauer und machten sich an die Familiengründung.

Seit Ende der 1970er breiten sich die Nilgänse immer mehr in der freien mitteleuropäischen Wildbahn aus. Auf 10.000 Brutpaare wird der derzeitige Bestand in Deutschland geschätzt.
Inzwischen haben sie auch Luxemburg erreicht. „Die Nilgans hat das erste Mal 2007 in Luxemburg gebrütet“, sagt Nora Elvinger vom Umweltministerium. Seit 2011 steigt der Bestand kontinuierlich, 2014 sogar „rasant“. 2016 wurden in Luxemburg 39 Brutpaare entdeckt, 885 Mal wurden ein oder mehrere Tiere beobachtet.

Besonders gerne halten sich die Tiere auf Flächen mit niedriger Vegetation und in der Nähe von Wasser auf. „Zum Beispiel an den Uferpromenaden entlang von Flüssen und Seen sowie in urbanen Parks“, sagt Elvinger. Also genau da, wo auch der Mensch sich gerne eine Auszeit nimmt.

Müssen Jogger und Schwimmbadgäste nun um Leib und Leben fürchten? „Nein“, sagt Katharina Klein vom Naturschutzverband „natur&ëmwelt“. Zwar sei aggressives Auftreten während der Brutzeit zum Schutz des Nachwuchses nicht ausgeschlossen – das sei allerdings ein Verhalten, das in der Tierwelt generell sehr verbreitet ist. Den Menschen belästigt das Federvieh in der Regel eher durch anderes Gebaren, wie Nora Elvinger klarstellt: „Die Art stellt eine Bedrohung für das Wohlbefinden der Menschen dar – durch die Exkremente, die sie entlang der Uferpromenaden oder in Schwimmbädern hinterlässt.“

Der Horrorvorstellung, dass die (eingewanderte) Nilgans andere (einheimische) Vögel oder gar deren Küken tötet, steht Ornithologin Klein skeptisch gegenüber. Wissenschaftlich belegt sei dieses Phänomen bis jetzt nicht wirklich, sagt sie. Aber selbst die EU-Kommission scheint den Geschichten von vogelmordenden Nilgänsen einigen Glauben zu schenken. Die Kommission zitiert in ihrer offiziellen Nilgans-Risikoanalyse eine Studie, die den Vögeln eine „heftige Territorialität“ bescheinigt, die dazu führe, dass sie „andere Spezies ertränken“. Dabei stammt die Publikation, in der die entsprechende Beobachtung notiert wurde, aus dem Jahr 1973 – und bezieht sich auf ein einzelnes Paar von Nilgänsen, das auf einem Landwirtschaftsbetrieb im niederländischen Leeuwarden in Gefangenschaft gehalten wurde.
„Es ist nicht eindeutig wissenschaftlich belegt, dass Nilgänse die Küken anderer Spezies töten“, sagt Klein. Gleiches gelte für die Verdrängung einheimischer Arten. Dass die Gänse die Nester von anderen Vögeln übernehmen, sei zwar tatsächlich schon beobachtet worden, fundierte wissenschaftliche Studien bezüglich potenziell negativer Einflüsse der Tiere auf das Ökosystem gebe es aber schlichtweg noch nicht.

Gans auf der Blacklist

Sind Medien und Europa-Politik in Sachen Nilgans etwa einer Ente aufgesessen?
Nicht ganz. „Die Nilgans steht auf der EU-Blacklist, weil sie eine nicht-einheimische Art ist“, sagt Klein. Das bedeutet: Die Vögel müssen „gemanagt“ werden. Das umfasse letztendlich auch die Erstellung eines Grundstocks an wissenschaftlichen Studien, um Gerüchten und Schauermärchen entgegenzuwirken. Und dabei könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Bestandszunahme der Nilgans tatsächlich einen negativen Effekt auf die heimische Flora und Fauna hat, sagt Klein. „Es ist deshalb sinnvoll, sich frühzeitig Gedanken über ein Management der Art zu machen.“

Das Luxemburger Umweltministerium sowie „natur&ëmwelt“ arbeiten derzeit an einem Nilgans-Aktionsplan. Darin werden Maßnahmen geplant, die die weitere Ausbreitung der Gänse verhindern könnten. Zum Abschuss freigegeben sind sie in Luxemburg noch nicht. Stattdessen will das Umweltministerium zunächst den Bruterfolg der Tiere vermindern. Und die Vogelfreunde aufklären: Denn noch immer füttern Menschen die Tiere mit schmackhaftem Brot. Das erhöht nicht nur ihren Bruterfolg, sondern lockt sie auch näher an die Siedlungsgebiete. Was deshalb bei Joggern und Schwimmern für tierische Schrecksekunden sorgen könnte.


„Alopochen aegyptiaca“

Nilgänse – oder Alopochen aegyptiaca, wie ihr wissenschaftlicher Name lautet – sind nicht nur am Nil, sondern fast überall in Afrika verbreitet. Besonders häufig sind sie an den Gewässern Ost- und Zentralafrikas.

Die Vögel werden bis zu 73 Zentimeter groß und haben ein graues oder braunes Federkleid. Sie ernähren sich überwiegend pflanzlich. Charakteristisch ist für die Vögel der dunkle Fleck um die Augen.

Als Ziervögel kamen sie bereits im 18. Jahrhundert nach Europa. Aus Tierparks in Ostengland, den Niederlanden, Belgien und Polen büxten einige Tiere aus oder wurden freigelassen. Seit den 1970er Jahren breiten sich vor allem die Vogel-Exemplare, die aus den niederländischen Parks geflohen sind, über Mitteleuropa aus.
Bei den alten Ägyptern galten die Tiere als heilig.


Feuer frei in Frankfurt

In Frankfurt richtete sich laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung eine Gruppe Nilgänse in einem Freibad ein, lehrte dem Nachwuchs im Planschbecken das Tauchen und nutzte die Liegewiese – sehr zum Unbehagen ihrer menschlichen Mitschwimmer – als Toilette.

Als das Gesundheitsamt schließlich Salmonellen in einer Kotprobe fand, stimmte der Stadtrat nach einigem Hin und Her zur „Anwendung von lethalen Maßnahmen“. Ein Jäger setzte sich daraufhin auf den Bademeister-Hochsitz und knallte sechs Schwimmbadgänse ab. Die Abschreckung funktionierte: Die restlichen Nilgänse verkrümelten sich in einen Stadtpark in der Nähe – und koteten ab dann dort auf die Liegewiese.