Macklemore: Brot für die Welt, Kuchen für uns und nach mir die Sintflut

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Konzertkritik

Vom Mainstream wird er gefeiert, im Feuilleton diskutiert: der amerikanische, in den vergangenen Jahren stark gehypte Rapper Macklemore macht an mehreren Fronten von sich reden. Die Diskrepanz zwischen den Lobpreisungen und dem eigentlich Geleisteten ist derart augenscheinlich, dass man sich nicht nur Gedanken über den Künstler selbst, sondern auch über die Rezeption von Kunst innerhalb der Gesellschaft machen sollte. Eine persönliche Einschätzung.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde Ben Haggerty, so der bürgerliche Name eines der am stärksten mediatisierten weißen Rapper der letzten Jahre, von zahlreichen namhaften Zeitschriften als „Ausnahmerapper“ bezeichnet, da er sich im Gegensatz zu anderen Kollegen aus der Szene wichtigerer Themen annehme als nur, um es mal salopp auszudrücken, „Koks und Nutten“.

Er trat beispielsweise mit seinem Song „Same Love“ für gleichgeschlechtliche Liebe ein, was dann auch (recht medienwirksam) 2014 bei der Grammyverleihung Umsetzung fand, indem 33 homosexuelle Paare getraut wurden, während er mit seinem Kollegen Ryan Lewis das Lied vortrug. Haggerty sang auch gegen die Pharmaindustrie (durch die eine Zeit lang sein Bedarf an Codein gesichert wurde) an und stellte in „White Privilege II“ die Frage, ob er als Weißer das Recht habe, auf einer „Black Lives Matter“-Demo mitzumarschieren und sich die Slogans der dunkelhäutigen Community anzueignen. (Was nicht wenige mit der Antwort, er solle lieber die Klappe halten, quittierten.)

Sein (perfekt an Hitradiocharts angepasster) Megahit „Thrift Shop“ glorifiziert Fundstücke aus Secondhandshops als Gegenstück zum überteuerten vestimentären Einheitsbrei. Als ignorant werden in benanntem Song sogar jene beschimpft, die schwachsinnig genug seien, 50 Dollar für ein einziges T-Shirt zu zahlen.

Das vorgestrige Konzert in Luxemburg kostete übrigens knapp 40 Euro, also genau 44 Cent weniger. Hier sei kurz ein Verweis auf einige Zeilen aus „White Privilege II“ erlaubt: „Damn, a lot of opinions, a lot of confusion, a lot of resentment. Some of us scared, some of us defensive. And most of us aren’t even paying attention“. Trifft Letzteres etwa auch auf (Teile) sein(es) Publikum(s) zu?

Esch, 10.4., 19.20 Uhr
Die Schlangen sind lange. Vor dem Bier-, dem Grill-, ja sogar vorm Falafel-Stand. Und dies bereits 1,5 Stunden bevor der Main Act ohne Pauken, aber dafür mit Trompeten in Erscheinung tritt. Es darf sich kräftig und deftig vollgefressen und reichlich Alkohol getankt werden, bevor auf der Bühne unreflektiertes Konsumverhalten angeprangert wird.

Die Eingangshalle der Rockhal füllt sich relativ zügig. Die sich ansammelnde Masse ist auf den ersten Blick keineswegs homogen. Dies würde eigentlich für den Künstler sprechen, wäre da nicht dieses klitzekleine Detail, dass bis auf sehr wenige Ausnahmen nur weiße, mehr oder weniger sichtlich privilegierte Menschen in dem lautstarken Getümmel vernehmbar sind. Dies ist kein Verbrechen, indes mutet es im Rahmen der Debatte um kulturelle Aneignung im Hip-Hop durch weiße Möchtegern-Rapper ein wenig ironisch an, dass der ach so weltoffene „Ich-hab-euch-alle-lieb-Rapper“ doch schon ein ganz bestimmtes Publikum anzieht.

Darunter unter anderem Gäste, die sich in eine amerikanische Flagge gehüllt haben, die, sobald ein Eldoradio-Fotograf auftaucht, erhobenen Hauptes vor die Linse gehalten werden muss. Make America great again? Nachtigall, ick hör dir trapsen …

Der Altersdurchschnitt im Raum ist relativ niedrig. Wenn man mal einen Blick auf einen halbwegs erwachsenen Menschen erhascht, so huscht nicht selten plötzlich ein minderjähriges Kind hinterher. Eine Mutter hält sogar ein kleines Bänkchen in der Hand, wahrscheinlich damit der Knirps später wenigstens was zu sehen bekommt. Denn in dem Alter muss man sich wohl oder übel am Visuellen festklammern, da sich die Texte Kindern mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht erschließen. Es ist anzunehmen, dass sich ihr Verständnis für die propagierten Inhalte auch nicht dadurch erweitert, dass sie, wie viele an diesem Dienstagabend, keinen Hörschutz tragen. Direkter Kontakt mit Kunst hin oder her.

Es wäre durchaus spannend, zu erfahren, wie viele der Eltern sich im Voraus mit den entgegen der allgemeinen Thesen durchaus vorhandenen Genitalen, Plattitüden und zahlreich vertretenen „Bitches“ in den Songs befasst haben und welches dieser drei Elemente ihre Sprösslinge ihrer Auffassung nach am besten auf ihr späteres Leben vorbereitet. Vielleicht sind es ja die letzten Zeilen von „Corner Store“, das zu Anfang in der Rockhal gespielt wurde: „God, grant me the serenity to accept the things I cannot change. The courage to change the things I can. And the wisdom to know the difference.“ Diese nicht allzu frisch gedreschten Phrasen können sie dann nämlich schon fleißig üben, damit sie, wenn sie groß sind, den anderen anonymen Alkoholikern einen Schritt voraus sind.

Irgendwie, irgendwo, irgendwann

Der Menschenauflauf hält ebenfalls Personen bereit, die sich schon halbwegs in der postpubertären Phase ihres Lebens befinden (und diese vielleicht sogar überwinden werden) und sich unterhalten. Sie sind gespannt, ob die zwei Lieder, die sie aus dem Radio kennen, heute Abend auch gespielt werden. Ein Phänomen, das luxemburgischer nicht sein könnte. Ausverkaufte Shows, bei denen ein nicht gerade geringer Prozentsatz an Menschen rumsteht, die es sich schlicht und ergreifend leisten können, das Konzert eines Stars zu besuchen, mit dem sie sich eigentlich überhaupt nicht auseinandergesetzt haben.
Dies macht sich längst nicht nur in der Rockhal u.a. dadurch bemerkbar, dass das nach Konzertanfang zügig einsetzende Geplapper ab und an die Musik übertönt. Let’s make it happen! Nicht „yes“, sondern „because we can“.

21.00 Uhr
Ben Haggerty nannte sich vor seinem großen Durchbruch nicht ganz ohne Grund „Professor Macklemore“ – denn er versteht es, komplexe Inhalte (etwas zu) vereinfacht darzulegen. (Eventuelle Parallelen zu einem bestimmten luxemburgischen Geografielehrer sind rein zufällig.)So verkündet er beim pompös in Szene gesetzten Konzertbeginn mit dem Track „Ain’t gonna die tonight“: „History is ours tonight.“ Frei nach dem Prinzip: „So lasset uns fröhlich Anachronismen produzieren“ wird sich nach Ringli-ringli-Rosen-Manier an den Händen gepackt und so zusammen gesungen, dass auch wirklich jeder den Parolen folgen kann.
Macklemores Songs sind praktischerweise so gehalten, dass sich Leute, die sich eigentlich wenig für Hip-Hop interessieren, nicht allzu sehr durch die Rap-Parts gestört fühlen. Im Grunde hat man es mehr mit einer Art Pop-Rap zu tun, der mit konsensfähigen Elementen aus Trap, Funk und EDM vermischt wird. Je nachdem, was die schunkelnde Masse gerade braucht.

Bevor jemand den Verdacht hegen könnte, dass der ganze Zirkus nur auf Party ausgelegt ist, wird kurz Trump erwähnt und erklärt, dass dieser versuche, die Gesellschaft durch ihre Unterschiede zu spalten, während bei Macklemore-Konzerten aber jeder willkommen sei. Natürlich kann man Haggerty nicht direkt einen Vorwurf deswegen machen, aber nordbuzz.de formulierte es nur allzu treffend, als es dort hieß, das wäre alles nicht so schlimm, würde der Rapper seine humanistische Attitüde „nicht mit diesem perfekten Lächeln bei jeder Möglichkeit neu aufgießen und zum Vollpreis wieder verkaufen“.

Wer Interviews mit Haggerty liest, trifft zusehends auf die gleichen einstudierten Sätze und merkt schnell, dass er – wie in seinen Songs – zwar wichtige Themen anschneidet, aber selten bis gar nicht in die Tiefe geht. Pointierten Fragen von Journalisten wird mehr oder weniger elegant ausgewichen. Er scheint nur regelmäßig genug zu sagen, um im Gespräch zu bleiben, ohne aber wirklich und wahrhaftig anzuecken.

In diesem Kontext bekommt der am Dienstag interpretierte Song „Glorious“ eine andere Konnotation: „I heard you die twice, once when they bury you in the grave. And the second time is the last time that somebody mentions your name. So when I leave here on this earth, did I take more than I gave? Did I look out for the people or did I do it all for fame?“

Nach dem Konzert
Gegenüber dem deutschen Hip-Hop-Magazin Juice betonte Haggerty 2012, dass er sich stets frage, ob der Inhalt gut genug sei, um für sich alleine stehen zu können. Das ist bei all dem Brimborium, das die Gemini-Tour umgibt, äußerst fraglich. Muss ein Rapper mit Credibility sich während einer Show mehr als fünfmal umziehen? Braucht er unbedingt Konfetti-Kanonen und eine riesige Leinwand, auf der verkitschte Videos mittlerer Qualität gezeigt werden? Oder sind all diese Gimmicks willkommene Ablenkungsmanöver vom Umstand, dass man eigentlich nicht wirklich etwas zu sagen hat?

Warum heischt man (ähnlich wie manche Chamberwahl-KandidatInnen auf Instagram) dadurch um kollektive Seufzer, dass man von einem Telefonat mit der eigenen Tochter erzählt, die scheinbar ebenso wie ihre Mutter nicht da ist, weil die Kleine ein Geschwisterchen bekommen hat, um gleich danach das Gemächt an den straffen Booties der Tänzerinnen zu reiben? Warum fordert man das Publikum auf, den Moment zu leben und das Smartphone beiseitezulegen und verlangt dann genau das Gegenteil drei Lieder später? Mit Mühe und Not könnte man diese Inkohärenz ja noch als schrägen Humor auffassen, aber dafür kommt das ganze Theater einfach zu wenig mit einem Augenzwinkern und Subtilität daher.

In solchen Situationen interessiert sich das Volk gar nicht für das Brot, weil es den Kuchen auf einem güldenen Tablett aus Plastik serviert bekommt.

Anne Schaaf
20. April 2018 - 14.37

Verdéischt emol Merci fir Aere Feedback, well fir deen si mir oppen, op e lo negativ oder positiv ausfällt. Haaptsach ass, dass e konstruktiv ass. Et ass duerchaus méiglech, dass Dir eng aner Opfaassung dovun hutt, wat d'Aufgab vun engem Kulturjournalist ass wéi ech. Als Journalistin am Allgemengen, mee eben och als Kulturjournalistin am Spezifeschen, gesinn ech meng Aufgab doranner, Saachen, an dësem geneen Fall Konscht ze hannerfroen. Bei dësem Artikel handelt es sech ausserdem em eng Concertskritik, déi explizit als solch "ausgeschëldert" ass. Den "anstännegen Resumé" vun deem Dir an Aerem Kommentar schreiwt, dat wier e Bericht. A menger Intro stellen ech kloer, wat de Lieser oder d'Lieserin erwaard: "...dass man sich nicht nur Gedanken über den Künstler selbst, sondern auch über die Rezeption von Kunst innerhalb der Gesellschaft machen sollte." Deen/déi huet dann, wann en/si op der Sich no engem Bericht; enger Oplëschtung vun den gespillte Songs, asw ass, nach emmer de Choix, den Text net ze liesen. E ganz wichtegen weideren Punkt ass, dass an der Intro steht, dass et sech beim Text em eng "persönliche Einschätzung" handelt. Et ass eng vu ganz ville méiglechen Vuen op een an deen selweschten Owend. Et ass keng Vue besser wéi eng aner, soulaang deen, deen se huet, propper mat Fakten argumentéiren kann. Dir hutt absolut Recht domadder, dass de Macklemore längst net deen eenzegen ass, deen mat Showeffekter schafft. An genee dofir froen ech jo klipp a kloer am Text firwat hien dat mëcht: " sind all diese Gimmicks willkommene Ablenkungsmanöver vom Umstand, dass man eigentlich nicht wirklich etwas zu sagen hat?" Ech froen mech dat och bei villen aneren Kënschtlerinnen a Kënschtler, well dat, wéi virdrun scho geschriwwen, zu mengem Job gehéiert. Wéi een op déi Fro an och op aner opgeworfen Froen a mengem Text äntwert, dat ass jidderengem selwer iwwerloos. Mee dass se iwwerhaapt mol gestallt ginn, ass menger Opfassung no wichteg.

Neko
19. April 2018 - 19.47

"Vom Mainstream wird er gefeiert"! Daat heescht also d'Journalistin ass der Meenung dat sie aanecht wei den "Mainstream" ass, oder villeicht souguer besser? Wei een un mengem Beispill grad kann erkennen, kann een alles sou interpreteieren wei een sech daat grad well dreinen, dofir sinn ech der Meenung dat den Artikel net objektiv geschriwwen gouf mais do vill perseinlech Gefiller dran verweckelt sinn.. Ween den Artikel liest wiert warscheinlech der selwechter Meenung wei ech sinn. Ech well och net op alles eenzel drop weider angoen, mais fierwat sou extrem negativ iwwert den Macklemore schreiwen wann dei meechten Bekannten Kenschtler an Bands et genausou maachen? Queen, Guns 'n Roses, Rolling Stones, Beetles.. Ech wier immens gespaant op der Madame hier Kritiken zu denen Concerten. Show ass eben Show, den Freddie Mercury huet sech während verschiddenen Concerten bestemmt 15 Mol aanecht ungedoen, an dei Shows vun Queen woren insgesamt extrem pompös an opfaalend, also hunn sie dann automatech och neicht anstänneges ze soen gehaat? Wei gesoot hänkt alles vum 'Auge des Betrachters' oof, allerdengs geif ech als Journalist fir eng anstänneg an allgemeng Zeitung meng perseinlech Gefiller aus dem Spill loossen, well bei allem Respekt an Meenungsfreiheed, den Artikel ass eng eenzeg Hetzried geint alles an jiddereen dei matt dem Concert eppes ze din gehaat hunn.. ;) Ech sinn mir secher dat d'Leit hei leiwer en anstännegen Resumé vun Concert gehaat hätten wei eng perseinlech Meenung. :)